Fiat 500 liefern die Basis für das Dreirad aus dem Allgäu. (Bild: K. Mergel)
Allgäu

Ein Dreirad für Teenager

Wenzel Ellenrieder ist ein genialer Tüftler aus dem Ostallgäu. Der Kfz-Meister entwickelte einen Umbau, mit dem 16-Jährige vollwertige Autos fahren dürfen. Sein „Ellenator“ ist inzwischen in ganz Deutschland unterwegs. Aus dem BAYERNKURIER-Magazin.

Abgesehen von Käse und Bergen gibt es eine Allgäuer Spezialität, die die Region im Südwesten Bayerns erfolgreich macht: den „Mächeler“. So nennt man dort einen geschickten Menschen, der nach Feierabend nützliche Dinge erfindet. Mal sind das filigrane mechanische Apparaturen, mal simple landwirtschaftliche Werkzeuge. Weltfirmen wie Feinmechanik Haff in Pfronten, Landmaschinen Fendt in Marktoberdorf oder der Kemptener Autotuner Abt sind Zeugnisse dieses Erfindungsgeistes.

Mit 16 Auto fahren

Wenzel Ellenrieder aus Dösingen (bei Kaufbeuren) ist so ein Mächeler: Sein Autoumbau wird inzwischen von Fahranfängern bis in Flensburg gelenkt. Der „Ellenator“ ermöglicht es, bereits mit 16 Jahren legal ein richtiges Auto zu fahren.

Ich habe schon immer gern geschraubt.

Wenzel Ellenrieder

Wäre es nach Ellenrieders Schulnoten gegangen, wäre nichts aus ihm geworden. „In der Schule war ich ein recht ‚nixiger’ Hund“, bekennt der 57-Jährige. Sprich: einer, der lieber am Moped schraubte als zu lernen. So musste er als Bub täglich bis Füssen fahren, wo die Tante ihm „über Vitamin B“ eine Lehrstelle besorgt hatte. Doch in der Autowerkstatt blühte sein handwerkliches Talent auf. „Ich bin ein leidenschaftlicher Mechaniker“, sagt Ellenrieder mit bescheidenem Stolz. „Ich habe schon immer gern geschraubt: beim Vater in der Werkstatt. Oder ich hab den Bauern geholfen, wenn etwas kaputt war.“

Alternative zum Moped

Sein Allgäuer Tüftlergeist kam auf Hochtouren, als im Herbst 2013 sein Sohn Markus 16 Jahre alt wurde. Den Führerschein Klasse A1 für Leichtkrafträder hatte der schon in der Tasche, fehlte nur noch der fahrbare Untersatz unterm „Fiedle“ (allgäuerisch für „Hintern“). Zumindest eines, das Vater Wenzel als sicher empfand. Ein Motorrad war das schon mal nicht: Sein Bruder Peter verunglückte als 17-Jähriger tödlich mit dem Moped. „So etwas vergisst du nicht. Da machst du dir als Vater Sorgen. Und der Verkehr ist seither viel mehr geworden.“ Seine Begeisterung für Mikrocars, die man mit 16 Jahren fahren darf, fällt ebenso gering aus: „Mit 45 Stundenkilometern sind das Bremsklötze im Verkehr“, sagt er. „Und die Ersatzteile – eine Katastrophe! Von der Sicherheit in so einer Blechschachtel braucht man nicht zu reden.“

Ich baue keine Autos, sondern liefere nur einen gesetzeskonformen Umbau mit Zulassung.

Wenzel Ellenrieder

So grübelte der Mann an einem Novemberabend 2013 vor sich hin. Im Blaumann, das Feierabendbier in der Hand. Auf der Hebebühne stand ein VW Polo. Da kam ihm die Idee: warum nicht ein Dreirad? Damit kannte er sich aus. Man muss wissen, dass Ellenrieder seit über 20 Jahren für die italienische Firma Piaggio die große Schwester der Vespa, die Arbeitsbiene Ape vertreibt. Er wusste: Die 200-Kubik-Version darf man seit 2013 mit dem Führerschein A1 fahren. Dreiräder bis 15 Kilowatt sind ab 16 Jahren legal.

Doch wie kann man das auf ein „richtiges“ Auto übertragen? Weihnachten 2013 verbrachte Ellenrieder mehr oder weniger in der Werkstatt. Trug Material zusammen, plante seine Konstruktion. Die Dösinger flachsten und sagten: „Der Wenzel musste daheim ausziehen und schläft jetzt in der Werkstatt.“ Ständig brannte dort Licht. Ellenrieder schweißte und flexte. Schraubte, vermaß, tüftelte, verwarf, testete – und fluchte. Das Hinterrad passte nicht so recht und die Lastverteilung stimmte nicht. Mit den Bremsen gab es Probleme.

Zwei Räder statt einem

Die Lösung: Warum nicht die beiden Hinterräder dicht nebeneinander montieren? „Mit 46,5 Zentimeter Abstand von zwei Rädern gilt das Fahrzeug legal als Dreirad“, sagt Ellenrieder. Ähnlich wie die legendäre BMW Isetta. Das verschaffte seinem Prototypen die nötige Stabilität. Musste nur noch der Motor gedrosselt werden. Nun lief das Projekt.

Es sollte den Kfz-Meister 16.000 Arbeitsstunden, 60.000 Euro Entwicklungskosten und etliche Ordner voll Behördenkommunikation kosten, bis er am 22. Dezember 2014 den „Ellenator“ Nummer 1 zulassen konnte. Seine erste Kleinserie startete mit Autos der VW-Gruppe: einem VW Polo, einem Seat Ibiza und einem Skoda Fabia. Doch bald fand Ellenrieder mit dem  Fiat 500 die perfekte Basis für seinen Umbau.

Er erklärt: „Ich baue keine Autos, sondern liefere nur einen gesetzeskonformen Umbau mit Zulassung.“ Damit muss er nicht für den Rest des Fahrzeugs haften. Kostenpunkt: 5800 Euro. So funktioniert es: Der Kunde kauft bei einem seiner Fiat-Händlerpartner einen neuwertigen 500er, dessen Motorisierung zum Drosseln geeignet ist. Dann wird das Fahrzeug in der Dösinger Werkstatt modifiziert und die Änderungen werden in den Fahrzeugbrief eingetragen. Und los geht’s ab 16 Jahren.

Wie ein normales Auto

Bis zu 90 Stundenkilometer ist ein Ellenator schnell. Er fährt sich im Test wie ein normales Auto. Man hat sechs Airbags, ABS und eine richtige Karosserie mit Knautschzone. Aus optischen Gründen werden die nun leeren Radkästen mit Karosserieblech verschlossen. Front und Heck zieren ein eigenes Logo mit einem „E“ – wie Ellenator. Über ein Elektromodell hat der Allgäuer auch schon nachgedacht. Geht aber (noch) nicht. „Leider hat Fiat genau dort die Batterien verbaut, wo ich mit meinem Umbau rein muss“, bedauert er.

Beliebt ist das Gefährt vor allem in ländlichen Regionen, wo öffentliche Verkehrsnetze spärlich ausgebaut sind. Wer am Land aufgewachsen ist, weiß: Ein Bus pro Stunde in die nächste Kleinstadt macht keinen Jugendlichen froh.

Man muss auch die eigene Zeit und die Kilometer rechnen, die man als Elterntaxi aufwendet.

Wenzel Ellenrieder

Ein Rückbau wäre theoretisch machbar. Doch Ellenrieder winkt ab. „Will keiner.“ Der Ellenator ist beliebt, genau so, wie er ist. Ein Kunde habe ihm vorgerechnet, dass er in zwei Jahren Fahrbetrieb null Wertverlust hatte. „Man muss auch die eigene Zeit und die Kilometer rechnen, die man als Elterntaxi aufwendet.“ 300 Umbauten verkauft Ellenrieder mittlerweile pro Jahr – mit steigender Tendenz. Seine drei Firmengebäude platzen inzwischen aus allen Nähten. Darum hat Ellenrieder im Frühjahr 2019 ein südlich angrenzendes Grundstück gekauft: Im Frühjahr 2020 baut er dort eine zusätzliche Halle, der Bauantrag ist bereits gestellt. 23 Mitarbeiter hat er inzwischen. Darunter auch zwei Eritreer, die in der Werkstatt beim Umbau und der Motordrosselung helfen. „Das sind tüchtige Burschen, die sind geschickt.“

Die Komponenten für seine Fahrzeuge stammen übrigens fast alle aus Bayern: die Achselemente von einer Firma aus Penzberg, die Karosserieteile aus Schwabsoien. Nur das elektronische Steuergerät wird in Laupheim jenseits der Landesgrenze in Baden-Württemberg hergestellt. Unterm Strich: eine bayerische Erfolgsstory. „Am meisten freut mich, dass ich ein sicheres Auto für Jugendliche geschaffen habe“, sagt Ellenrieder.

Die Söhne machen mit

Für Sohn Markus kam der Umbau altersmäßig zu spät. Doch der jüngere Spross Thomas kam noch voll in den Genuss. Jeden Tag fuhr er mit seinem Ellenator rund 20 Kilometer zur Ausbildung bei der Firma Umformtechnik Hirschvogel nach Denklingen. Inzwischen arbeiten beide Söhne in der väterlichen Werkstatt: Markus absolvierte gerade seinen Kfz-Meisterbrief – er wird später den Betrieb weiterführen. Thomas will Fahrzeugtechnik studieren.

Vater Wenzel aber bleibt weiterhin ein echter Mächeler. Er erzählt: „Ich hab erst 2018 wieder zwei Gebrauchsmuster zum Patent angemeldet. Eines davon ist eine Schuhinnensohle, die per Induktion beheizt wird. Das hab ich mir für Leute überlegt, die im Kühlhaus arbeiten oder am Skilift.“ Man darf also weiter gespannt bleiben, welche Innovationen aus dem Allgäu kommen werden.