Eine Untersuchung beim Arzt hat ihren Preis. Wie eine Bürgerversicherung das finanzieren könnte, ist unklar. (Foto: Imago/Westend61)
Gesundheit

Teuer, unsicher, fragwürdig

Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: SPD, Grüne und Linke wollen eine Bürgerversicherung einführen. Die Befürworter versprechen bessere Leistungen. CSU-Gesundheitspolitiker Reiner Meier erklärt, warum das Konzept viele Menschen benachteiligen würde.

Bürgerversicherung – was ist das?

Im Kern sollen alle Bürger in einer Krankenversicherung versichert sein. Neben Arbeitslohn oder Rente sollen künftig alle Einkünfte des Versicherten für den Beitrag erfasst werden. Die private Krankenversicherung (PKV) soll entfallen. Bei genauerem Hinsehen merkt man aber schnell, dass es die eine Bürgerversicherung gar nicht gibt.

Freibier für alle?

Die Bürgerversicherung dient als Projektionsfläche für alles, was Versicherte am dualen System aus gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und privater (PKV) kritisieren. Gesetzlich Versicherten verspricht sie gleiche Leistungen für alle und ein Ende der „Zweiklassenmedizin“. Privatversicherte werden mit niedrigeren und stabilen Beiträgen gelockt. Was die vielzitierte Zweiklassenmedizin sein soll, wird aber nicht klar. Die Mehrheit der Ärzte lehnt es aus ethischen Gründen ab, Privatpatienten zu bevorzugen. Seit 2016 gibt es zudem Terminservicestellen, die binnen vier Wochen einen Facharzttermin anbieten müssen. Mit 25 Millionen privat abgeschlossenen Zusatzversicherungen sichern viele Menschen in Deutschland darüber hinaus bestimmte Sonderleistungen ab.

Ohne kräftige Steuererhöhungen ist schlicht kein Geld da, um eine Bürgerversicherung zu stützen.

Reiner Meier, CSU-MdB

Richtig ist, dass die Verfahrensabläufe in der GKV manchmal schwerfällig sind. Innovationen und neue Behandlungsmethoden kommen dadurch oft nicht so schnell beim Patienten an wie in der PKV. Mit Zusatzversicherungen wird dieser Unterschied zunehmend ausgeglichen. Von einer Zweiklassenmedizin zu reden, ist eine Verallgemeinerung, die der Realität nicht gerecht wird!

Wer zahlt die Zeche?

Wenn die Bürgerversicherung bessere Leistungen verspricht, müssen diese bezahlt werden. Denn Spitzenmedizin gibt es nicht zum Nulltarif. Im Detail liegen Linke, Grüne und SPD bei der Finanzierung ziemlich weit auseinander. Wo die Linken und Grünen (erwartbar) vor allem Arbeitgeber und Bezieher weiterer Einkommensarten schröpfen wollen, fordert die SPD mehr Steuermittel. Beides ist nicht ohne Tücken: Der Ruf nach mehr Steuergeld kann schon deshalb keine Lösung sein, weil auch Steuern erst einmal erwirtschaftet werden müssen.

Wenn der Bürger nun GKV-Beiträge spart, die er letztlich beim Finanzamt nachzahlt, dann ist das ein billiger Taschenspielertrick. Ohne kräftige Steuererhöhungen ist jedenfalls schlicht kein Geld da, um eine Bürgerversicherung zu stützen. Aber auch Linke oder Grüne, die neue Einkunftsarten heranziehen wollen, sollten sich das gut überlegen: Nicht wenige Rentner vermieten Zimmer in ihrem Haus, um ihre Haushaltskasse aufzubessern. Ebenso haben viele ältere Menschen Ersparnisse für ihren Ruhestand oder für eine Pflegebedürftigkeit. Nicht ohne Grund sind diese Einkünfte bislang bei der allgemeinen GKV außen vor. Wie man es dreht und wendet: Bessere Leistungen kosten Geld. Das bleibt am Ende immer beim Bürger hängen, sei es über höhere Beiträge oder Steuern oder aber, weil der Arbeitsplatz unrentabel wird und gestrichen wird.

Konkurrenz belebt das Geschäft!

Das deutsche System der GKV und PKV ist in seiner Art einzigartig. Auch wenn die PKV Innovationen schneller zur Verfügung stellt: Unumstritten ist auch, dass dadurch manche Innovationen überhaupt erst in Deutschland ankommen, wovon dann auch die gesetzlich Versicherten profitieren. Wohin eine zentrale Staatsversicherung führt, kann man gut in den Niederlanden oder in Großbritannien beobachten. Lange Wartezeiten für knappe Leistungen sind dort eher die Regel als die Ausnahme. Ohne nennenswerte Konkurrenz fehlt in diesen Systemen der notwendige Druck für Innovation und Effizienz.

Was tun mit der PKV und ihren Versicherten?

Umstritten ist zwischen den Befürwortern der Bürgerversicherung auch das Schicksal der PKV. Linke und Grüne fordern die harte Abschaffung, während die SPD das klassische PKV-Modell auslaufen lassen und in die Bürgerversicherung überführen möchte. Einen Wirtschaftszweig mit Zehntausenden Arbeitsplätzen einfach zu verbieten dürfte verfassungswidrig sein. Das Grundgesetz schützt ausdrücklich die Berufsfreiheit, die hier gravierend verletzt wäre.

Ohne die Rücklagen der PKV kämen auf eine Bürgerversicherung Mehrkosten in Milliardenhöhe zu.

Reiner Meier

Keineswegs alle Privatversicherten sind jung und gesund. Deshalb bilden die PKV-Unternehmen Rücklagen, damit die Beiträge im Alter stabil bleiben. Aktuell betragen sie etwa 220 Milliarden Euro. Auch wenn diese Rücklagen bei der Bürgerversicherung fest einkalkuliert sind, ist juristisch nicht sicher, dass man diese Gelder einfach einkassieren kann. Auch hier darf man auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gespannt sein. Andererseits wäre es höchst ungerecht, Privatversicherte einfach so zu übernehmen. Die Beiträge zur GKV sind in jungen Jahren ein Verlustgeschäft für den Versicherten, denn er zahlt höhere Beiträge, als er Kosten verursacht. Mit zunehmendem Alter kehrt sich dieses Verhältnis. Wer nun im fortgeschrittenen Alter zurück in die GKV wechselt, würde eine Solidarität beanspruchen, zu der er selbst nie beigetragen hat. Ohne die Rücklagen der PKV kämen auf eine Bürgerversicherung Mehrkosten in Milliardenhöhe zu.

Was geschieht mit den Beamten?

Noch schwieriger ist es bei den Beamten, Polizisten und Soldaten: Sie haben Anspruch auf Beihilfe oder auf Heilfürsorge, die aus Steuermitteln bezahlt werden. Klar ist, dass Bund und Länder den Arbeitgeberanteil zur GKV bezahlen müssten, wenn sie ihre Beamten, Polizisten und Soldaten gesetzlich versichern wollten. Derzeit gibt es rund 2,8 Millionen Beamte und Pensionäre. Davon sind etwa die Hälfte älter als 55 und könnten damit nach aktuellem Recht nicht zurück in die GKV wechseln. Sie wären bei einem Wechsel ein Verlustgeschäft zulasten der Bürgerversicherung. Damit nicht die übrigen Versicherten die Beamten über höhere Beiträge mitfinanzieren, müssten Bund und Länder eine solidarische Ausgleichszahlung in Milliardenhöhe leisten.

Was ist gerecht?

Auch wenn es sich zunächst gut anhört: Eine Zwangs-Bürgerversicherung produziert vielfältige Probleme und Ungerechtigkeiten. Sie kostet Zehntausende von Arbeitsplätzen und kann nicht einmal gewährleisten, dass die Leistungen für alle besser werden. Stattdessen droht sie teuer zu werden, und zwar auch für Klein- und Normalverdiener. Nicht zu beziffern sind die Qualitäts- und Effizienzgewinne durch den Wettbewerb der Systeme. Es gibt in Europa genug negative Beispiele für ineffiziente und teure Staatsmedizin. Zur Wahrheit gehört nämlich auch, dass schon die heutige GKV für jeden Versicherten über 200 Euro Steuerzuschüsse bekommt, während sich die PKV selbst trägt.

Die Einbeziehung der Beamten in die Bürgerversicherung würde die Haushalte von Bund und Ländern in Milliardenhöhe belasten. In Zeiten von Schuldenbremsen und weltpolitischen Unsicherheiten ist die Versuchung nur zu groß, diese Kosten heimlich auf die Versicherten abzuwälzen. Dass es in unserem dualen Versicherungssystem Reformbedarf gibt, steht außer Frage. Am drängendsten ist gewiss eine gerechte Verteilung der Beitragslasten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Auch sollten Beamte ein echtes Wahlrecht zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung bekommen. Aus ideologischen Gründen eines der besten Gesundheitssysteme der Welt in eine gefährliche Schieflage zu steuern, ist aber ganz sicher nicht angezeigt.

Reiner Meier, CSU, ist Abgeordneter im Bundestag und Mitglied im Gesundheitsausschuss.