Im Wirtshaus wird gemeinsam gelacht, gefeiert, gestritten und Bier getrunken. (Foto: Imago/Karo)
Gastronomie

Rettet das Wirtshaus!

Gastbeitrag In immer mehr Gemeinden gibt es kein Gasthaus mehr. Damit verschwindet nicht nur ein wichtiges Stück Lebensqualität, sondern auch eine wichtige soziale Einrichtung, warnt Bayerns Wirte-Chefin Angela Inselkammer und verlangt Hilfe von der Politik.

Das Wirtshaus ist ein Kulturgut erster Güte, fester Bestandteil bayerischer Tradition. Doch Sie glauben nicht, wie viele Dörfer mittlerweile ohne Wirtshäuser dastehen. Mittlerweile spricht die Branche schon von „Wirtshausfreien Zonen“. Ein knappes Viertel aller bayerischen Gemeinden existieren – oder soll ich besser sagen „vegetieren“ – heute ohne Wirtshaus. Erst wenn es zur Betriebsaufgabe des letzten Wirts in einem Ort gekommen ist, merken viele, was ihnen da verloren gegangen ist.

Dabei ist eine Dorfwirtschaft seit je her mehr als nur ein Platz, an dem man seinen Hunger befriedigen und seinen Durst stillen kann. Eine Dorfwirtschaft ist der Kommunikationsplatz einer Dorfgemeinschaft, sein Stammtisch ist legendär. Hier treffen „Schwarze“ auf „Rote“, „Weltliche“ auf „Geistliche“, „Großkopferte“ auf „Kleinbürgertum“, Singles auf Familien. Hier werden Entscheidungen ausgekartelt, Geschäfte mit Handschlag besiegelt, hier wird gemeinsam gelacht, gefeiert und getrauert.

Stammtisch als Standortfaktor

In Bayern gehört es zur Tradition, dass politische Entscheidungen in Wirtshäusern vorbereitet und diskutiert werden. Es gehört zur Tradition, dass man zusammen rutscht und nicht die Wirtschaft voll ist, wenn an jedem Tisch nur einer sitzt. Gerade um diese Tradition beneiden uns viele in Deutschland und über dessen Grenzen hinaus. Vielleicht trägt diese Tradition auch dazu bei, dass es uns in Bayern besser geht, als fast überall auf der Welt, weil man sich eben auf einer gemeinsamen Ebene, an einem neutralen Ort – dem Wirtshaus – trifft und Sachen in angenehmer Atmosphäre regelt.

Mittlerweile arbeitet jeder 20. Erwerbstätige und nahezu jeder 10. Auszubildende Bayerns in Hotellerie oder Gastronomie.

Angela Inselkammer

Wirtshäuser zählen mittlerweile zu den ganz wichtigen weichen Standortfaktoren bei Unternehmen, denn ohne Wirtshaus gibt es kein „sozial-kulinarisches“ Zentrum im Ort, aber auch keinen Tourismus. Ebenso sprechen knallharte Fakten für dessen Systemrelevanz. Vielen ist es gar nicht bewusst, dass mittlerweile jeder 20. Erwerbstätige und nahezu jeder 10. Auszubildende Bayerns in Hotellerie oder Gastronomie arbeitet. Die wenigsten wissen, dass sich aus dem erwirtschafteten Umsatz in Höhe von 16 Milliarden Euro nochmals 150.000 Vollzeitarbeitsplätze direkt dem Gastgewerbe zurechnen lassen. Auch ist die Bedeutung des Gastgewerbes hinsichtlich der Stärkung des ländlichen Raums zu wenig bekannt. Bei der Erreichung des in der Bayerischen Verfassung verankerten Staatsziels, gleichwertige Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in Stadt und Land zu fördern und zu sichern, spielt das Gastgewerbe zweifelsohne eine zentrale Rolle. Denn gastgewerbliche Betriebe sind mittlerweile die regionalen Wirtschaftsmotoren, man findet sie (noch) in allen Landesteilen, auch in Regionen, aus denen sich andere Wirtschaftszweige zum Teil seit langem zurückgezogen haben.

Flexible Arbeitszeiten, fairer Wettbewerb

Umso wichtiger ist es, das Dorfwirtshaus politisch zu stärken. Denn, so eine Studie, „Wo die Wirtschaft stirbt, stirbt der Ort“. Hierbei gibt es drei konkrete Handlungsfelder, die unseren Betrieben helfen würden:

Wir benötigen erstens ein flexibleres Arbeitszeitgesetz. Dabei geht es uns explizit nicht um eine Erhöhung des Arbeitsvolumens oder weniger Arbeitsschutz, denn die Arbeits- und Tarifverträge sowie die gesetzlichen Regelungen der Ruhezeiten gelten ja weiterhin. Das, was wir benötigen, ist die Legalisierung der längst gelebten Realität. Es geht lediglich um etwas mehr Flexibilität, so, wie sie die EU-Arbeitszeitrichtlinie bereits vorsieht. Von der Umstellung von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit profitieren alle: Unternehmer, Mitarbeiter und Gäste. Eine aktuelle Studie belegt den dringenden Handlungsbedarf: Seit 2015, dem Beginn der Dokumentationspflicht der Arbeitszeiten, haben bereits 54,2 Prozent der Hoteliers und Gastronomen ihre Öffnungszeiten aufgrund des starren Arbeitszeitgesetzes reduziert. Über die Hälfte der Betriebe hat ihr Leistungsangebot, insbesondere die Küchenzeiten, eingeschränkt und 32,5 Prozent ihre Ruhetage erhöht. Diese Zahlen untermauern, wie sehr dies dem Standort Bayern schadet, denn wo keine gastronomische Verpflegung über den Tag gewährleistet ist, verliert der Freistaat nicht nur an essentieller Lebensqualität, sondern kann auch kein Tourismus stattfinden.

Gleiche Chancen für Gastronomen

Zweitens bedarf es fairer Wettbewerbsbedingungen, insbesondere in Bezug auf einen reduzierten Umsatzsteuersatz auf alle Lebensmittel, unabhängig davon, wo gekauft, wie zubereitet und wo gegessen. Gleiche Steuer für Essen würde den Betrieben direkt die zum Überleben so notwendige finanzielle Luft verschaffen, zudem würden die im Anschluss stattfindenden Investitionen positive Wirtschaftseffekte im ländlichen Raum auslösen. Faire Wettbewerbsbedingungen müssen aber auch hinsichtlich einer Gleichbehandlung mit Vereinen gelten. Eines ist mir hierbei sehr wichtig: Vereine sind für das gemeinschaftliche Miteinander unabdingbar, ich bin ja selbst Vorsitzende eines Vereins. Doch warum sollen Gastro-Profis immer alles dokumentieren und belegen, während für Laien im Umgang mit Lebensmitteln und Hygiene großzügige Ausnahmen gelten? Gesundheits- und Verbraucherschutz ist nicht teilbar. Wenn Vereine nicht unsere Auflagen erfüllen können, dann lasst uns alle auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Gleiches Recht für alle.

Heimat für alle

Drittens benötigen unsere Unternehmer wieder ein Umfeld, das mehr selbstverantwortliches Handeln zulässt. Eine Regelung ähnlich wie in der Landwirtschaft, die Auflagen und Dokumentationspflichten erst ab einer gewissen Unternehmensgröße vorsieht, könnte hier leicht Abhilfe schaffen, ohne den Staat finanziell zu belasten.

Meine Kolleginnen und Kollegen sind Gastgeber mit Leib und Seele. Wir schaffen unvergessliche Momente und glückliche Erinnerungen. Unsere Türen sind offen für Gäste unterschiedlichster Kulturen aus aller Welt. Für sie sind wir die Repräsentanten unseres Landes. Bei uns findet jedes Talent seine Heimat, Persönlichkeit ist gefragt. Wir verstehen Menschen. Wir sind fester Bestandteil des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens. Wir sind Garanten einer positiven ländlichen Entwicklung, wir sind die Visitenkarte Bayerns. Tragen Sie Ihren Teil dazu bei, diese Tradition zu schützen und zu wahren.

Angela Inselkammer

ist Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA Bayern.