Ein Schild an einem älteren Haus weist in der kleinen Gemeinde Saulgrub (Bayern) auf eine Arztpraxis hin (Foto: picture alliance).
Versorgung

Rezepte gegen Landarztmangel

Mehr als 53.000 Mediziner praktizieren in Bayern. Aber einige Regionen auf dem Land sind unterversorgt. Mit millionenschweren Förderprogrammen will der Freistaat den Notstand beheben – und zusätzlich zum finanziellen Niederlassungszuschuss eine Landarztquote bereits während des Medizinstudiums einführen.

Wenn der Doktor in seinem Wohnhaus am Ortsrand aus dem Fenster schaut, blickt er in die sanften Wellen der niederbayerischen Landschaft, die zum Bayerischen Wald hin abfällt. Wenn er in seiner Praxis im Dorfzentrum einmal Zeit haben sollte, aus dem Fenster zu schauen, sieht er ohnehin nur den Parkplatz der örtlichen Pizzeria. Das Wirtshaus „Zum Amthof“ ein Stück die Straße hinunter hat schon vor langer Zeit geschlossen. Immerhin sind in Kirchberg im Wald zwei Supermärkte, zwei Metzgereien, eine Bäckerei und ein Sonnenstudio geblieben – nicht mal wenig im strukturschwachen Landkreis Regen an der tschechischen Grenze.

In der Mischung der beiden Ausblicke erkennt der Internist Wolfgang Blank, 51, die Vorzüge der ländlichen Region: „Wir können hier wunderbar wandern oder mountainbiken. Aber zu arbeiten gibt es hier trotz Entvölkerung mehr als genug.“ Er findet, die Balance stimmt. Blank liebt sein Leben als Landarzt. „Von der einfachen Grippe bis zu den psychischen Folgen von Mobbing“ kriegt er in seiner Praxis auf dem Dorf alle möglichen Krankheiten zu sehen. Ohnehin habe er „zu viele Patienten“, sagt Blank. Denn der demografische Wandel bringt erhebliche Probleme mit sich: Immer mehr Landärzte gehen in Rente, von den jungen Kollegen rücken zu wenig nach – während die Menschen auf dem Land immer älter werden und gute Ärzte in Wohnortnähe dringend benötigen.

Wir haben in Bayern eine gute ärztliche Versorgung. Aber: Die Ärzte sind ungleich über das Land verteilt.

Melanie Huml, bayerische Gesundheitsministerin

Um den Landarztmangel zu beheben, hat der ohnehin nicht unterbeschäftigte Dr. Blank das Projekt „Gute Ärzte braucht das Land“ angeschoben. Jungen Medizinstudenten bietet er die Möglichkeit eines Praktikums – in der Hoffnung, dass von sieben Praktikanten später auch wirklich einer bei ihm anfängt. Denn Blank hat mit seinem Praxispartner Thomas Oldenburg die Praxen von Kollegen auf dem Weg in die Pension in den Nachbarorten Schöfweg und Lalling und nun auch in Rinch übernommen. Dieses Netzwerk aus Niederlassungen muss er auf Dauer mit ärztlichem Personal versorgen. „Dabei ist die Work-Life-Balance wichtig. Junge Leute müssen wissen, dass sie mit ihrer Familie hier leben können“, sagt Blank. Er beschäftigt sogar zwei Headhunter, die für etwaige Ehepartner ebenfalls einen Job in der Region suchen sollen.

In Kliniken und Praxen

Die Entwicklung verläuft widersprüchlich. In Bayern ist die Zahl der niedergelassenen Ärzte und Krankenhausmediziner in den vergangenen zehn Jahren um fast ein Viertel auf 53.177 angestiegen. Der rasante Zuwachs beschränkt sich jedoch auf die städtisch geprägten Gebiete – auf dem Land fehlen oft Hausärzte. Gemeinden wie Thurmansbang müssen teils Jahre suchen, bis sie einen neuen finden. „In der älter werdenden Gesellschaft brauchen wir eine gute und wohnortnahe Versorgung mit Hausärzten“, hat deshalb Gesundheitsministerin Melanie Huml, selbst Ärztin, erkannt. Der Freistaat unterstützt Mediziner bei der Niederlassung in kleinen Gemeinden. Rund 27,2 Millionen Euro hat das Land seit 2012 für die Förderung von Landärzten ausgegeben. „Wir haben in Bayern eine gute ärztliche Versorgung“, sagt Ministerin Huml, „aber: Die Ärzte sind ungleich über das Land verteilt.“

Deshalb drängt sie mittlerweile auf eine Landarztquote schon während des Medizinstudiums: Bis zu fünf Prozent der Studienplätze will sie für Bewerber reservieren, „die sich verpf lichten, später als Hausarzt in Regionen zu arbeiten, die bereits unterversorgt oder von Unterversorgung bedroht sind“. Der Kirchberger Landarzt Blank geht mit seinem von Humls Ministerium bereits prämierten Projekt einen anderen Weg. „Viele Studenten können so früh nicht festlegen, wo sie später leben und arbeiten“, meint Blank. Er setzt darauf, die Begeisterung bei grundsätzlich Interessierten für den Einsatzort Provinz zu wecken oder zu steigern – in der Hoffnung, dass es sie lebenslänglich packt.

Seit einer Woche arbeitet Theres Fuchs, 24, versuchsweise in seiner Praxis über der Pizzeria. Sie studiert in Jena im 11. Semester Medizin. „Ich finde Hausarzt toll“, gesteht sie mit strahlenden Augen. Dabei sehe man so viele verschiedene Erkrankungen wie in keinem großen Klinikum, wo jeder Arzt auf seinen Spezialisierungsbereich beschränkt sei. „Außerdem betreut man die Menschen über längere Zeiträume. Das finde ich sympathisch“, sagt die junge Frau. Gut möglich also, dass sie sich nach dem letzten Staatsexamen für die Arbeit auf dem Land entscheidet. Auch wenn Mentor Blank ihr erklärt, dass sie dabei wohl weder atemberaubend reich noch weltberühmt werde: „Karriereheinis müssen in der Stadt bleiben. Dafür kann man bei uns Medizin vollumfänglich anwenden.“

Ministerin Huml glaubt fest an die Quotenlösung: „Es gibt auch Studierende, die bereits am Anfang des Studiums genau wissen, dass sie einmal Hausarzt werden wollen. Diese Gruppe wollen wir mit der Landarztquote gezielt ansprechen.“ Wer auf dieser Basis jedoch einen Medizinstudienplatz antritt und später doch in der Stadt Karriere machen will, muss mit sechsstelligen Ausgleichszahlungen rechnen. Den Staat koste die Ausbildung eines Mediziners etwa 200.000 Euro. Da sei es nur gerecht, dass diejenigen einen Teil der Kosten zurückzahlen, die über die Quote ins Studium gelangen, aber am Ende die Vereinbarung nicht einhalten.

Claudia Ilten, 34, hat es ohne Quote aufs Land geschafft. Dass sie dort einmal als Hausärztin praktizieren würde, stand für sie schon während der Ausbildung fest. Ihr Praktisches Jahr absolvierte die Medizinerin in Randersacker bei Würzburg. „Es war eine Bilderbuch-Landarztpraxis“, schwärmt Ilten noch heute. Die enge Bindung zu den Patienten, die Hausbesuche und das breite Spektrum der medizinischen Fälle hinterließen bei ihr einen bleibenden Eindruck.

Heim nach Oberfranken

Am Ende ihrer Facharztausbildung in Passau begann die junge Ärztin sich umzusehen – nach einer Praxis in ihrer fränkischen Heimat. Anfang 2015 wurde sie fündig. Ein 70-jähriger Allgemeinmediziner in Teuschnitz im oberfränkischen Landkreis Kronach wollte seine Praxis abgeben. Ein halbes Jahr arbeitete lten mit dem Arzt zusammen, lernte Abläufe und Patienten kennen. Dann wagte sie den Sprung in die Selbstständigkeit und übernahm im Sommer 2015 die Praxis.

Dabei geholfen hat ihr die Förderung des Freistaats: Mit bis zu 60.000 Euro bezuschusst der Freistaat Ärzte bei der Niederlassung in Gemeinden mit höchstens 20.000 Einwohnern. Insgesamt standen zur Stärkung der medizinischen Versorgung in ländlichen Regionen im Doppelhaushalt 2015/2016 rund 11,7 Millionen Euro zur Verfügung.

Ich finde Hausarzt toll. Man sieht so viel. Außerdem behandelt man die Menschen über längere Zeiträume.

Theres Fuchs, Medizinstudentin

Medizinerin Ilten hat ihren Zuschuss „für die Ausstattung der Räume, Geräte und die EDV verwendet“. Das Geld vom Staat habe ihr sehr geholfen. „Wer sich selbstständig macht, braucht einen Batzen Geld“, erklärt sie, „die Unterstützung macht diesen Schritt viel, viel leichter.“ Zur Eröffnung ihrer Praxis reiste eigens Ministerin Huml an. Ilten bekam den 150. Förderbescheid für eine Hausarztniederlassung überreicht. „Es ist eine tolle Sache, wenn sich eine junge Ärztin in ihrer Heimatstadt niederlässt und dort für die Patienten sorgt“, freute sich Huml. „Wir können Förderprogramme auflegen. Aber um die Arztversorgung im ländlichen Raum zu sichern, brauchen wir die Menschen, die diese umsetzen.“ Und lobte zudem: „Ich finde es klasse, dass Sie die Praxis übernehmen.“

In der Scheu vor der Selbstständigkeit sieht Claudia Ilten einen der Gründe, warum nur wenige Mediziner eine Praxis auf dem Land übernehmen. „Im Studium wird man darauf nicht vorbereitet, einen eigenen Betrieb zu führen“, erzählt sie. Viele junge Mediziner zögen daher die Karriere an einer Klinik vor.

Ihr dagegen ging die Spezialisierung am Krankenhaus zu weit. „Ich hätte als reine Nierenspezialistin gearbeitet“, erzählt sie. In der Praxis werde sie stattdessen mit dem ganzen Spektrum medizinischer Fälle konfrontiert. „Das ist viel interessanter.“

Nicht verstehen kann sie das schlechte Image des Landarztes. „Die Arbeit in der Klinik war viel anstrengender“, erzählt Ilten. Bis zu zwölf Tage am Stück habe sie Dienst gehabt. „Das lässt sich mit einer Familie nur schwer vereinbaren.“ Als niedergelassene Ärztin müsse sie ebenfalls viel arbeiten, gibt Ilten zu. „Aber ich kann mir die Arbeit viel besser einteilen.“ Ihre Entscheidung habe sie noch „keine Sekunde bereut“. Im Gegenteil: „Ich finde meine Arbeit super.“

Wie die Fränkin und ihr niederbayerischer Kollege Blank sehen das offenbar immer mehr Ärzte, die aus dem Stress in großen Metropol-Kliniken aussteigen wollen. Zu Blanks Team stießen zum Jahresanfang eine Neurologin aus Berlin, die auf Hausarzt umschulen möchte, und ein Chirurg, der den Perspektivwechsel für eineinhalb Jahre ausprobieren will: unter der Woche der Blick ins volle Wartezimmer, und am Wochenende in die sanft gewellte Landschaft westlich des Bayerischen Waldes.

Dieser Artikel erschien erstmals am 28.1.2017 im Magazin. Lesen Sie hier mehr über unser BAYERNKURIER-Magazin.