Vater und Mutter sind die besten Garanten für eine gesunde Entwicklung der Kinder. (Bild: Drubig/Fotolia)
Entwicklungspsychologie

Kinder brauchen Vater und Mutter

Gastbeitrag In der aktuellen Debatte um eine „Gleichstellung homosexueller Paare“ mit der grundgesetzlich geschützten Ehe von Mann und Frau wird ein Aspekt immer vernachlässigt: Das Wohl des Kindes. Dabei sind sich Kinder- und Entwicklungspsychologen einig, dass Kinder sowohl Vater als auch Mutter als Rollenmodell benötigen, betont die Expertin Michaela Heereman.

Wir erleben zur Zeit zwei völlig entgegengesetzte Bewegungen: Einerseits erschallt wegen der Benachteiligung der Buben in unserem stark feminisierten Bildungssystem der Ruf nach mehr männlichen Erziehern und Lehrern. Dies umso mehr, als die beunruhigenden Risiken der „Vaterlosigkeit“ – neun von zehn Alleinerziehenden sind Mütter – inzwischen bestens belegt sind (u.a. von Prof. Matthias Franz im Magazin PAPA-YA (2/2013) und von Michael Matzner im Handbuch der Jungenpädagogik). Andererseits verlangen Homosexuelle das Adop­tionsrecht für homosexuelle Partnerschaften, weil diese den Kindern ein ebenso gutes Zuhause böten wie die Original-Familie mit Vater und Mutter.

Als ich vor Jahren unseren damals 13-jährigen Sohn fragte, wofür mein Mann und ich in seinen Augen jeweils zuständig seien, gab er eine Antwort, die für Gender-Ideologen und Feministinnen niederschmetternd, für erfahrene Psychologen wenig erstaunlich gewesen wäre: „Du sagst uns, wie es geht und wir schauen, obs der Vatter auch so macht.“

Urvertrauen zur Mutter, Normensetzung durch den Vater

Seine lapidare Antwort erfasst nicht nur die unterschiedlichen Erziehungsstile der Eltern: Mütter erklären und reden deutlich mehr als Väter; sondern sie beschreibt auch die unterschiedliche Wirkung der Eltern: Durch die normalerweise enge emotionale Bindung an die Mutter entstehen Urvertrauen und Bindungsfähigkeit – auch die Bindungsfähigkeit an Kategorien von Gut und Böse, also das Gewissen. Welche normativen Standards allerdings das Gewissen inhaltlich prägen, richtet sich vor allem bei den Söhnen meist nach dem Vorbild des Vaters. (vgl. Franz, Matzner u.a.)

Aber zurück zu den Anfängen. Kinder brauchen nicht nur zu ihrer Entstehung einen Vater und eine Mutter, sondern auch für ihre gelingende psychosoziale Entwicklung. Schon ein Säugling braucht den Vater, um sich altersgemäß aus der engen Zweierbeziehung mit der Mutter (Mutter-Kind-­Dyade) angstfrei lösen zu können; eine ­„Freiheitsbewegung“, die schon mit etwa drei Monaten beginnt und für die das Vorhandensein eines dritten, ganz anders gearteten, aber ebenso verlässlichen und liebenden Menschen die Voraussetzung ist ­(Triangulierung).

Im Hinblick auf die psychische Strukturbildung des Kindes hält der Psychiater Ernst Abelin dessen Bereitschaft, sich schon in diesem Alter dem Vater anzuschließen, für so wichtig, dass er von einem „quasi triebhaften Durst nach dem Vater“ spricht. Wo dieser Durst nicht gestillt wird, kann es, wie der Neurologe und Psychiater Horst Petri in seinem Buch das „Drama der Vaterentbehrung“ darstellt, zu ebenso schweren psychischen Problemen kommen wie bei einer Mutterentbehrung.

An die Stelle fehlender Väter treten meist schlechte Vorbilder

Kinder lernen am gleichgeschlechtlichen Elternteil, was es heißt, Mann oder Frau zu sein. An einem zugewandten, beteiligten Vater erleben sie von Liebe gebändigte Kraft: sie beschützt, fördert und fordert. Haben Söhne keinen oder einen weitgehend unbeteiligten Vater, so entnehmen sie häufig ihr Männerbild der „Peergroup“, den Gangs auf Schulhof und Straße oder den aggressiven Siegertypen der Actionfilme.

Gerade weil ihr Selbstbewusstsein schwach und ihr Selbststand unsicher ist, tendieren sie unter Umständen dazu, sich in ihrer Sehnsucht nach männlichen Vorbildern den Gruppierungen anzuschließen, durch deren gewaltbereites Machogehabe sie sich angezogen und beschützt fühlen.

Horst Petri weist nachdrücklich darauf hin, dass fast alle straffällig gewordenen männlichen Jugendlichen vaterlos aufgewachsen sind; was natürlich nicht heißt, dass alle vaterlosen Söhne kriminell werden. Aber der Mangel an väterlicher Autorität ist eine wichtige Problemanzeige: Väter setzen im Allgemeinen engere Grenzen als Mütter und fordern deren Einhaltung unnachgiebiger ein. Diese Erfahrung fester, unverrückbarer Grenzen ist eine wichtige Voraussetzung für die Bereitschaft, sich in Schule an Regeln und später an Gesetze und Gebote zu halten.

Unterschiedliche Spielstile von Vater und Mutter

Desweiteren haben Mütter und Väter unterschiedliche Spielstile. Spielen erstere meist sitzend, den Kindern auf dem Schoß Nähe und Wärme vermittelnd, sie mit verbalen Impulsen zum Sprechen animierend, die Feinmotorik fördernd, so spielen die meisten Männer, so der Verhaltensbiologie Eibl-Eibesfeldt, weltweit körperbetonter, sportlicher und herausfordernder mit ihren Kindern, je älter diese sind, desto wettbewerbsorientierter.

Vaterlos aufgewachsene Kinder, denen diese wilderen, konkurrenzbejahenden, männlichen Umgangsformen fehlen, haben oft Probleme, sich auf neue Menschen und unbekannte Situationen ­einzustellen. Sie sind eher ängstlich und unsicher; ihr mangelndes Selbstbewusstsein führt bei Buben häufig zu störenden Clownerien und provokantem, bei Mädchen zu zurückgezogenem, resignierten Verhalten; beides zieht Probleme in der Schule nach sich und führt mehrheitlich zu weniger qualifizierten Schulabschlüssen als denen der Eltern. Auch selbstschädigendes Verhalten durch Alkohol und Drogen ist signifikant häufiger bei vaterlosen Jugendlichen.

Kinder brauchen also einerseits den gleichgeschlechtlichen Elternteil zur Entwicklung ihrer psychosozialen Identität als Mann oder als Frau; aber sie brauchen auch den gegengeschlechtlichen Elternteil, um in der Familie den Umgang mit dieser anderen „Sorte Mensch“ zu erlernen. Für Mädchen, so der Erziehungswissenschaftler Albert Wunsch, „ist der Vater eine Art ‚Übungs-Mann‘. Der erste, mit dem sie sich auseinandersetzen, an dem sie ihre eigene Rolle ausprobieren kann – ohne dass er ihnen emotional ‚gefährlich‘ wird.“

Australische Studie: Kinder aus „Regenbogenfamilien“ haben Hemmungen

Wie wichtig dieser familiäre Lernprozess ist, zeigt unter anderem die australische Untersuchung von Sarantakos über Kinder aus „Regenbogenfamilien“. Diese hatten Hemmungen, im Team mit Mitschülern zu arbeiten, deren Geschlecht ein anderes war als das ihrer „Eltern“, wobei besonders Kinder aus lesbischen Haushalten dazu neigten, ihren männlichen Mitschülern zu miss­trauen.

In der Pubertät kann diese „Vorsicht“ vor dem männlichen Geschlecht bei Mädchen umschlagen: Die Sehnsucht nach männlicher Zuwendung führt unter vaterlos aufgewachsenen Mädchen zu einem deutlich erhöhten Risiko von Frühschwangerschaften. (s. Franz u.a.)

Auch Buben lernen an der Mutter den Umgang mit dem anderen Geschlecht. Konnten sie sich allerdings mangels Vater oder anderer männlicher Bezugspersonen nicht altersgemäß ablösen, so besteht die Gefahr der Angst vor Nähe und Hingabe: eine Belastung für die spätere eigene Partnerschaft.

Vater und Mutter befähigen zu Selbstbewusstsein und Dialogfähigkeit

Die Psychologen Klaus und Karin Grossmann belegen in einer Längsschnitt-Untersuchung ebenfalls, wie wichtig das Zusammenspiel beider Eltern für die spätere Bindungsfähigkeit ihres Kindes ist: der väterliche Umgangsstil befähigt zu offenen, selbstbewussten und vertrauensvollen Beziehungen; der mütterliche zu Dialogfähigkeit: Die meisten Mütter verbalisieren Liebe, Kummer, Sorge oder Ärger und locken so ihr Kind in einen offenen, klaren und begründeten Dialog – eine der wichtigsten Voraussetzungen gelingender Partnerschaft.

Kurz und gut: Das Vorhandensein von Vater und (!) Mutter ist für Kinder die beste Startbedingung in ein glückliches Leben.

 

Cover Heereman Zur Freiheit erziehen

Michaela Heereman: Zur Freiheit erziehen. Wie Kinder zu selbstbewußten und verantwortungs­vollen Menschen werden. Sankt Ulrich Verlag, Augsburg, 176 Seiten, 14,90 Euro.