Nah am Korn: Getreide-Verladung aus den Baywa-Silos am Donau-Osthafen in Regensburg. (Foto: Baywa)
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Kartoffeln, Kohle – und jetzt auch Kiwis

Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: Die rasante Entwicklung vom Versorger der bayerischen Bauern zum internationalen Agrar-Konzern: Die Baywa expandiert aus ihrem Kerngeschäft mit landwirtschaftlichen Produkten. Mehr als ein Drittel des Gewinns erwirtschaftet sie mit regenerativer Energie.

Zünftig, bei Blasmusik und bayerischen Schmankerln, feierte die Baywa im Sommer mit 400 Gästen Richtfest an ihrem Firmensitz im Münchener Stadtteil Bogenhausen. Das 1960er-Jahre-Hochhaus im Arabellapark wird modernisiert und um drei weitere auf insgesamt zwanzig Etagen aufgestockt. Von ganz oben hat die Belegschaft nach dem Einzug im Herbst nächsten Jahres freien Panoramablick auf die Alpen.

Das Projekt ist Symbol für den Expansionskurs des weltweit im Agrar-, Energie- und Bausektor tätigen Handels-, Logistik- und Dienstleistungskonzerns. Die wegen ihrer vier gegeneinander versetzten Flügel „Sternhaus“ genannte Konzernzentrale geht nach dem Umbau für insgesamt 280 Millionen Euro in den Besitz eines Münchener Immobilien-Investors über. Die Baywa wird dann Mieter des Gebäudes. Hintergrund dieses Verkaufs ist, dass der Konzern einen Teil seines in Immobilien gebundenen Kapitals auflöst, um die Fortsetzung seiner Wachstumsstrategie zu finanzieren.

Bilanzsumme verdoppelt

Mit welcher Dynamik der Konzern seine Expansion vorantreibt, zeigen die Zahlen: Die Bilanzsumme hat sich seit 2009 verdoppelt, die neu erschlossenen Märkte steuern inzwischen über 55 Prozent zum operativen Gewinn bei. Mit 14,9 Milliarden Euro Umsatz ist die Baywa die Nummer Eins unter den europäischen Agrarhandelsunternehmen und unter den zehn größten weltweit. Die Geschäfte sind seit diesem Jahr neu in die Segmente Agrar, Energie und Bau geordnet. Über das geographische Kerngebiet Deutschland und Österreich hinaus ist die Baywa inzwischen auf allen Kontinenten tätig. Mehr als 16.000 Mitarbeiter beschäftigt der Konzern.

Erzeugnisse der Landwirte vermarkten

Als Handelsorganisation der bayerischen Raiffeisengenossenschaften wurde die „Bayerische Warenvermittlung landwirtschaftlicher Genossenschaften AG“ am 16. Februar 1923 im Handelsregister eingetragen. Bis dahin war sie ein Teil der genossenschaftlichen Bayerischen Zentral-Darlehenskasse. In der Wirtschafts- und Finanzkrise der Weimarer Republik sollte der Handel mit Getreide, Maschinen und Betriebsmitteln von den unkalkulierbar gewordenen Finanzgeschäften getrennt werden. Zu den zentralen Aufgaben des neuen Unternehmens gehörte es seither, die Erzeugnisse der Landwirte zu vermarkten. Gleichzeitig sollte für die Bauern ein kostengünstiger Einkauf von Produktionsmitteln wie Maschinen, Saatgut und Futtermitteln organisiert werden. Über die Zielgruppe der Landwirte hinaus widmete sich die Baywa zusätzlich den Verbrauchern als Handelspartner. Sie verfolgte dabei das Ziel, die Grundbedürfnisse nach Ernährung, Wohnen, Wärme und Mobilität zu erfüllen. So gehörten zum Angebot der Baywa stets auch Kohlen und Baumaterialien.

Die Baywa will und wird weiter wachsen. Durch kluge Expansionspolitik, nachhaltiges Wachstum und eine zielstrebige Internationalisierung.

Klaus Josef Lutz, Vorstandsvorsitzender

1972 erhielt die „Bayerische Warenvermittlung landwirtschaftlicher Genossenschaften“ offiziell die im Volksmund etablierte Bezeichnung „Baywa“. Als neues Logo wird das bekannte grüne Quadrat eingeführt, das von dem berühmten Grafiker Otl Aicher stammt, der damals auch das Erscheinungsbild der Olympischen Sommerspiele in München gestaltet hat.

Auf Expansionskurs

Wer über Land durch Bayern fährt, kennt die Baywa noch in ihrem traditionellen Erscheinungsbild: Am Ortsausgang vieler Dörfer steht die lokale Niederlassung – mit einer Betonrampe, über welche die Bauern ihre Waren ab- und antransportieren können, und daneben einem Siloturm, an dem das Baywa-Logo prangt. Weiten Teilen seiner Geschäftsfelder ist das Unternehmen bis heute treu geblieben, wenngleich in einem radikal veränderten Umfeld. Der rasante Internationalisierungs- und Expansionskurs ist eng mit Klaus Josef Lutz verbunden. Der Jurist und gebürtige Münchner ist seit 2008 Vorstandsvorsitzender der Baywa AG und soll bis 2022 in diesem Amt bleiben. „Für eine Baywa, die weiter wachsen will und wird. Durch kluge Expansionspolitik, nachhaltiges Wachstum und eine zielstrebige Internationalisierung“, sagt Lutz.

Der Landhandel von einst ist längst modernen, mit Elektronik ausgestatteten Erfassungs-, Aufbereitungs- und Lagerstrukturen gewichen, die Verkehrsanbindung zum Verkauf der landwirtschaftlichen Rohwaren ist – wie am Regensburger Osthafen – international. Saatgut, Dünger oder Ersatzteile kann der Landwirt heute online im Baywa-Shop bestellen. Anstelle von Kohlen sind Heizöl und Holzbriketts zusammen mit Kraft- und Schmierstoffen zu haben. Weit wichtiger im Segment Energie sind aber inzwischen die „Erneuerbaren“: Seit 2009 ist die Baywa aktiv im Betrieb und Verkauf von Solar-, Windkraft-, Biomasse- und Geothermie-Anlagen und im Handel mit EEG-Strom. Mit seiner Tochter Baywa r.e. hat der Konzern den Sprung auf den derzeit größten Wachstumsmarkt nach Südostasien gewagt und Niederlassungen in Singapur, Bangkok und Tokio eröffnet. Der Gewinn vor Steuern und Zinsen (EBIT) aus dem Bereich der regenerativen Energien betrug im letzten Jahr 61,8 Millionen Euro (gesamter Unternehmens-EBIT 2015: 158 Millionen Euro).

Der kombinierte Agrar- und Baumarkt

Im Segment Bau ist der Vertrieb von Baustoffen aller Art in Deutschland und Österreich gebündelt – samt Dienstleistungen zur Errichtung, Renovierung und energetischen Sanierung von Gebäuden. Die Baywa-Bau- und Gartenmärkte sind seit 2012 in eine neue Gesellschaft ausgegliedert. Denn aufgrund ihrer zu geringen Größe und des harten Wettbewerbs in der Baumarktbranche sind sie für den Konzern unrentabel geworden.

Die Baywa steigt seit 2012 vom europäischen zum globalen Agrarhändler auf.

Der bedeutendste Geschäftszweig ist das Segment Agrar. Im wiedervereinigten Deutschland expandierte das Unternehmen erstmals außerhalb der weiß-blauen Grenzen, bald darauf auch in Österreich und Osteuropa. 2002 folgte die Übernahme der Württembergischen Warenzentrale WLZ Raiffeisen AG.

Die Baywa steigt seit 2012 vom europäischen zum globalen Agrarhändler auf.  Sie  kündigt  den  Erwerb  des  weltweit  agierenden  Getreidehändlers  Cefetra  B.V.  aus  den  Niederlanden  an  und  eine  Mehrheitsbeteiligung  von  60  Prozent  an  der  norddeutschen  Bohnhorst  Agrarhandel  GmbH.  Mit  diesen  Akquisitionen  will  der Konzern  das  Eintrittstor  zu  den  Getreidemärkten  aller  Kontinente  öffnen.  Das  konzernweite Handelsvolumen  von  Getreide  steigt  von  5,5  auf  rund  28  Millionen  Tonnen. Cefetra will die Handelsmengen an nachhaltigen Rohstoffen wie Soja erhöhen, da die Kundennachfrage zunimmt. Eine Kooperation mit Bayer soll dabei Landwirte in Südamerika bei der Umsetzung landwirtschaftlicher Methoden unterstützen,  „die umweltschonend, sozialverträglich und wirtschaftlich tragfähig sind“, wie die beiden Unternehmen betonen. Sie setzen dabei auf Zertifizierungsstandards wie ProTerra oder RTRS. Letzterer erlaubt gentechnisch verändertes Saatgut, das aufgrund der genetischen Resistenz den Einsatz von Glyphosat ermöglicht. Für Baywa-CEO Lutz kein Problem, der in Sonnenlicht und Alkohol ein vergleichbares Krebsrisiko sieht.

Akquise in Neuseeland

Die Übernahme von 73 Prozent an Turners & Growers Ltd., Marktführer im neuseeländischen Obstgeschäft, stellt 2011 die bis dahin größte internationale Transaktion der Baywa dar und positioniert sie als weltweiten Anbieter von Kernobst.

Die Neuakquise T&G hält zudem eine 70-Prozent-Beteiligung an Delica Limited – dem größten neuseeländischen Exporteur für Frischobst.

National wie international wird auch das Spezialitätengeschäft ausgebaut, weil sich laut Lutz damit deutlich bessere Margen erzielen lassen als mit Massenprodukten: In Deutschland in der Verarbeitung von Hopfen, international mit dem Handel von Braugetreide und tropischen Früchten, die bei den Verbrauchern stark im Trend liegen. Die ökonomische und ökologische Zukunft der Landwirtschaft liegt für Lutz in der Digitalisierung. Die Baywa-Tochter FarmFacts im niederbayerischen Pfarrkirchen entwickelt Softwarelösungen zur Optimierung der betrieblichen Verwaltung, Anbauplanung und Bewirtschaftungsmaßnahmen wie Düngung, Pflanzenschutz oder Beregnung.

Was nützen die innovativsten Ideen, wenn man diese PS nicht schnell genug auf die digitale Autobahn bekommt?

Klaus Josef Lutz

Unter Berücksichtigung der Qualitätsparameter eines Standorts steuert die Software die Sensoren der Landmaschinen, die dann die exakt benötigten Mengen an Saatgut, Dünger oder Pflanzenschutzmitteln ausbringen. Die erwartete Produktivitätssteigerung macht für die Landwirte jedoch hohe Investitionen erforderlich. In ländlichen Regionen fehlt bislang allerdings noch häufig eine flächendeckende Breitbandversorgung. „Was nützen die innovativsten Ideen, wenn man diese PS nicht schnell genug auf die digitale Autobahn bekommt?“, fragt Lutz.  Bis 2018 muss er sich noch gedulden. Dann, so das Ziel der Bundesregierung, soll in Deutschland eine flächendeckende Mindestversorgung von 50 Mbits pro Sekunde erreicht sein. In Bayern könnte er bereits früher loslegen. Bereits im nächsten Jahr soll im Freistaat zumindest jede Gemeinde einen Anschluss ans schnelle Internet haben.