Gauck warnt vor Radikalisierung
Der Bundespräsident forderte in einer Rede anlässlich der Veröffentlichung des Grundgesetzes, Menschen, die zu Hass und Gewalt aufstachelten, energisch entgegenzutreten. Gauck mahnte die Politik, Kontroversen nicht zu vermeiden. Spannungen löse man nicht, in dem man andere ausgrenze und Meinungen stigmatisiere.
Bundespräsident

Gauck warnt vor Radikalisierung

Der Bundespräsident forderte in einer Rede anlässlich der Veröffentlichung des Grundgesetzes, Menschen, die zu Hass und Gewalt aufstachelten, energisch entgegenzutreten. Gauck mahnte die Politik, Kontroversen nicht zu vermeiden. Spannungen löse man nicht, in dem man andere ausgrenze und Meinungen stigmatisiere.

Bundespräsident Joachim Gauck hat angesichts des Erstarkens rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen vor einer „Radikalisierung“ in Deutschland gewarnt. Gauck sprach in Berlin vor etwa 750 Vertretern aus den Kommunen bei einer Veranstaltung zum Tag des Grundgesetzes. Es wurde vor 67 Jahren, am 23. Mai 1949, veröffentlicht.

In seiner Rede sagte Gauck, er habe selten ein so großes Bedürfnis nach Diskussion erlebt wie in den vergangenen Monaten. Im Land sei ein Unbehagen zu spüren. „Das Gefühl der Unsicherheit oder Ungewissheit bei so vielen Themen: Schulden und Renten, Freihandel und europäische Einigung, Flucht und Einwanderung, Terrorismus und Kriege im Osten und im Nahen Osten.“ Das alles verbinde sich mancherorts zu einer brisanten Mischung, so das Staatsoberhaupt.

Radikalisierung ist der falsche Weg

Gauck sagte in seiner Rede, „Radikalisierung“ sei der falsche Weg. Radikalisierung schüre Unfrieden und vergifte das öffentliche Klima. „Bei einigen Menschen hat sich ein Denken in Freund-Feind-Bildern breitgemacht, weil sie sich von `der Politik´ und `den Institutionen´ übergangen, nicht gehört und nicht repräsentiert fühlen“, sagte Gauck. Diese Polarisierung münde in Kampfbegriffe wie „Lügenpresse“ oder „System“. Diese Begriffe, so führte der Bundespräsident aus, könnten aber die Demokratie unterhöhlen. Manche Kritiker, so Gauck weiter, verbänden sich im Netz zu Wutgemeinschaften. Manche trügen ihr Ressentiment auf die Straße, und manchmal werde „aus Ressentiment sogar Hass und aus Hass eine Straftat“.

Die Toleranz des demokratischen Verfassungsstaates endet dort, wo zu Hass und Gewalt aufgestachelt wird.

Joachim Gauck

Gauck forderte derartigen Entwicklungen energisch entgegenzutreten: „Die Toleranz des demokratischen Verfassungsstaates endet dort, wo zu Hass und Gewalt aufgestachelt wird. Mit Verfassungsfeinden, also Menschen, die den Verfassungsstaat in seinen Kernbestandteilen ändern oder abschaffen wollen, gibt es keine gemeinsame Gesprächsgrundlage. Und Straftäter werden selbstverständlich mit allen Mitteln des Rechtsstaats verfolgt.“

Gewählte Politiker als wahre Volksvertreter

Gauck wandte sich explizit gegen Populisten und selbsternannte Wortführer: „Denen, die auf gewissen Demonstrationen behaupten, den Willen des sogenannten `wahren Volkes´ zu vertreten, sei in aller Deutlichkeit gesagt: Das `wahre Volk´ hat in wahren – nämlich freien, gleichen und geheimen – Wahlen entschieden, welche Vertreter seine legitimierten Repräsentanten sein sollen.“ Sollten Bürger mit der Arbeit dieser politischen Vertreter unzufrieden sein, hindere sie niemand, bei den nächsten Wahlen anderen Repräsentanten ihre Stimme zu geben. Es hindere sie auch niemand, in der öffentlichen Debatte ihre Stimmen zu erheben, um zwischen den Wahlperioden Einfluss auf die öffentliche Meinung, auf Regierungs- und Parlamentsentscheidungen zu nehmen. „Unsere Landesverfassungen bieten den Bürgern die Möglichkeit, sich direkt über Volksbefragungen, Volksbegehren und Volksentscheide zu beteiligen. Auch viele Kommunalverfassungen lassen eine unmittelbare Bürgerbeteiligung zu. So sind unsere repräsentative Demokratie und die direkte Demokratie miteinander verbunden.“

Bundespräsident lobt Arbeit der Kommunen

Der Bundespräsident würdigte die Arbeit der Kommunen. Vor Ort werde umgesetzt, „was in Bund und Ländern entschieden wird – was oft großer Anstrengungen bedarf, wie jüngst in der Flüchtlingspolitik“, sagte Gauck und ergänzte: „Sie sorgen nicht nur für eine menschenwürdige Unterbringung, Sie werben auch um Akzeptanz und stärken den Zusammenhalt, wo er verloren zu gehen scheint.“

Gauck forderte die anwesenden Kommunalpolitiker auf, mit allen, die das Argument schätzten, in das politische Gespräch eintreten. „Kontroversen sind kein lästiges Übel, sondern notwendige Voraussetzung für das Gelingen der Demokratie“, mahnte Gauck. Spannungen löse man nicht, indem man andere ausgrenze und Meinungen stigmatisiere. Spannungen löse man durch Offenheit und durch Gegenargumente. Je überzeugender diese wären, umso weniger könne Stimmungsmache verfangen.

„Demokratie muss Unterschiede nicht glattbügeln,“ so Gauck, „sondern Raum geben für Differenz und Widerspruch, vor allem in einer Zeit, in der das politische Meinungsspektrum in Deutschland wieder breiter wird. Nur im Disput der Verschiedenen können Alternativen geprüft und Kompromisse gefunden werden, kann Erneuerung in der Demokratie stattfinden.“

Gauck lässt erneute Amtszeit offen

Zu einer mit Spannung erwarteten Frage äußerte sich Gauck nicht. Zuletzt hatten ihn mehrere Politiker aufgefordert, zu erklären, ob er für eine weitere Amtszeit kandidieren werde. Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hatte sich zuletzt für eine weitere Amtszeit Gaucks ausgesprochen: „Ich wünsche mir, dass Joachim Gauck auch der nächste Bundespräsident ist. Herr Gauck hat seine Sache als deutsches Staatsoberhaupt sehr gut gemacht. Er sollte bei der nächsten Wahl durch die Bundesversammlung wieder antreten.“ Gaucks Amtszeit endet im März 2017.