„Ein großes Unrecht ist verhindert worden”
Auch drei Tage nach dem Freispruch der Christin Asia Bibi halten in Pakistan Proteste an. Radikale Islamisten fordern die Ermordung der Richter und rufen die Armee zur Meuterei auf. Premierminister Imre Kahn droht mit dem Einsatz staatlicher Gewalt.
Pakistan

„Ein großes Unrecht ist verhindert worden”

Auch drei Tage nach dem Freispruch der Christin Asia Bibi halten in Pakistan Proteste an. Radikale Islamisten fordern die Ermordung der Richter und rufen die Armee zur Meuterei auf. Premierminister Imre Kahn droht mit dem Einsatz staatlicher Gewalt.

Auch drei Tage nach dem Freispruch einer im November 2010 wegen Gotteslästerung verurteilten Christin in Pakistan halten wütende Proteste radikaler Islamisten weiter an.

„Geraten Sie nicht in Konflikt mit dem Staat”

Regierungschef Imran Khan rief am Mittwochabend in einer kurzen Fernsehansprache zur Ruhe auf und warnte Demonstranten davor, den pakistanischen Staat anzugreifen: „Ich appelliere alle: Kommen Sie nicht in Konflikt mit dem Staat.” Die Regierung werde weder Vandalismus noch Straßenblockaden hinnehmen, so der Premier: „Ich appelliere an Sie, treiben sie den Staat nicht bis zu dem Punkt, an dem er keine andere Wahl mehr hat, als zu handeln.”

Wir werden unser Leben opfern, aber wir werden niemals weichen.

Khadim Rizvi, radikalislamischer Prediger

Gespräche der Regierung mit der radikalislamischen Gruppe Tehreek-e-Labaik Pakistan (TLP) zur Entschärfung der Lage seien in der Nacht gescheitert, sagte dagegen der TLP-Anführer Khadim Rizvi am Freitag in der nordöstlichen Metropole Lahore. „Wir werden uns nicht zurückziehen, bis die Richter, die das Todesurteil aufgehoben haben, entlassen sind und Bibi gehängt wird”, warnte der dschihadistische Parteiführer. „Wir werden unser Leben opfern, aber wir werden niemals weichen.”

Maulana Fazlur Rehman, einer von zwei Führern der radikal-islamischen Partei Jamiat Ulema-i-Islam (JUI), warf der Regierung vor, Pakistan in einen „weltlichen Staat” verwandeln zu wollen. Der Freispruch der Gotteslästererin sei „auf westlichen Druck” zustande gekommen.

Todesstrafe auf Gotteslästerung

Ausgebrochen waren die Straßenproteste am Mittwoch, nachdem die wegen angeblicher Blasphemie verurteilte Christin Asia Bibi nach acht Jahren in der Todeszelle vom Obersten Gerichtshof in Islamabad freigesprochen worden war.

Der heute 51-jährigen Bibi war vorgeworfen worden, sich bei einem Streit mit muslimischen Frauen in ihrem Dorf abfällig über den Propheten Mohammed geäußert zu haben. Die fünffache Mutter war 2009 festgenommen und im Jahr darauf nach einem umstrittenen Blasphemie-Gesetz in dem vorwiegend muslimischen Land zum Tode verurteilt worden.

Dies hatte weltweit Kritik ausgelöst. Der damalige Papst Benedikt XVI. setzte sich erfolglos für die Freilassung der Frau ein. 2011 wurde der liberale Gouverneur von Pakistans größter Provinz Punjab am hellichten Tag mitten in Islamabad erschossen, weil er Bibi verteidigt und die Blasphemie-Gesetze kritisiert hatte. 2014 bestätigte ein höheres Gericht in Lahore, der Hauptstadt von Punjab, das Todesurteil.

Freispruch nach acht Jahren

Der Oberste Gerichtshof in Islamabad befand nun, dass die Vorwürfe gegen Bibi juristisch schwach begründet seien, dass Zeugen sich widersprochen und in offenkundige Unwahrheiten verwickelt hätten, und es darum keinen Grund gebe, sie zu bestrafen: „Alle diese Widersprüche reichen aus, um einen Schatten des Zweifels auf die Faktendarbietung der Staatsanwaltschaft zu werfen, der allein schon dem Berufungskläger das Recht gibt, für sich die Unschuldsvermutung in Anspruch zu nehmen”, so der Oberste Gerichtshof in seiner Erklärung.

Was ist aus uns als Nation geworden, und wie sind wir dahin gekommen?

Dawn, pakistanische Tageszeitung

Die drei Richter hätten darum ihre sofortige Freilassung angeordnet, teilte ihr Anwalt Saiful Malook am Mittwoch mit. Islamisten starteten daraufhin landesweite und teils gewalttätige Proteste. Anführer der radikalen TLP forderten den Tod der Richter und riefen die Armee zur Meuterei auf. Zugleich schworen sie, die Proteste fortzusetzen.

Einsatz des Militärs

Schon vor dem Urteil hatten die Behörden die Sicherheitsmaßnahmen rund um das Gericht verstärkt. Angesichts der gewalttätigen Reaktionen ordnete die Regierung den Einsatz des Militärs an, um die Ordnung wiederherzustellen. Soldaten einer paramilitärischen Einheit bewachten in Islamabad die Gerichtsgebäude und das Parlament.

Zum derzeitigen Aufenthaltsort Bibis gab es zunächst keine offiziellen Angaben. Örtliche Medienberichte deuteten aber an, sie sei möglicherweise wegen Sicherheitsbedenken aus Pakistan geflohen.

Stimme der Vernunft

„Ein großes Unrecht ist verhindert worden”, kommentiert die pakistanische Tageszeitung Dawn. Das in der Hafenstadt Karachi erscheinende englischsprachige Blatt (Auflage 109.000) ist sozusagen eine einsame Stimme der Vernunft in einem Lande, in dem radikalislamische Töne dominieren und immer lauter werden. „Dies ist auch der Moment, in dem wir darüber nachdenken müssen”, so das Blatt weiter, „was aus uns als Nation geworden ist, und wie wir dahin gekommen sind.”

Dawn fährt fort: „Im heutigen Pakistan ist die Religion von derart emotionaler Kraft, dass die bloße Unterstellung der Blasphemie, und sei sie noch so fadenscheinig, entsetzliche Gewalt auslösen kann. Sogar ein Freispruch vom höchsten Gericht − wie in diesem Fall − kann Elemente vom rechten Flügel dazu provozieren, mit Chaos auf den Straßen zu drohen.” Dawn schließt mit der Forderung: „Das Parlament muss nun dringend erwägen, wie es den Missbrauch des Blasphemie-Gesetzes verhindern und die Straflosigkeit jener beenden kann, die falsche Anschuldigungen machen.” (dpa/BK/H.M.)