Kein Zwang zum humanitären Visum
Neue Migrationswelle abgeblockt: Deutschland und andere EU-Staaten sind nicht verpflichtet, Asylbewerbern ein humanitäres Visum zur legalen Einreise auszustellen. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden.
Asylrecht

Kein Zwang zum humanitären Visum

Neue Migrationswelle abgeblockt: Deutschland und andere EU-Staaten sind nicht verpflichtet, Asylbewerbern ein humanitäres Visum zur legalen Einreise auszustellen. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

Deutschland und andere EU-Staaten sind nach europäischem Recht nicht dazu verpflichtet, Asylbewerbern ein humanitäres Visum zur legalen Einreise auszustellen. Aus dem Unionsrecht ließen sich keine derartige Verpflichtungen ableiten, urteilte der Europäische Gerichtshof am Dienstag. Die Mitgliedstaaten könnten alleine auf Basis ihrer nationalen Gesetzgebung über die Visa-Vergabe in Auslandsvertretungen entscheiden.

Kein Visum für Asylantrag

Die zuständigen Richter widersprachen dem EuGH-Generalanwalt Paolo Mengozzi. Dieser war Anfang Februar in einem aufsehenerregenden Gutachten zu der Auffassung gelangt, dass EU-Staaten schutzbedürftigen Menschen eigentlich Einreisegenehmigungen erteilen müssten.

Der EuGH hat Rechtssicherheit in Fragen der Asylpolitik wiederhergestellt.

Monika Hohlmeier

Links zu verortende Hilfsorganisationen wie Pro Asyl bezeichneten das Urteil erwartungsgemäß als traurig für den Flüchtlingsschutz. Sie behaupten, dass Migranten und Flüchtlinge damit weiter auf die Unterstützung krimineller Schleuserbanden angewiesen blieben. Was die Hilfsorganisationen nicht sagen: Schlepper und Schleuser können nur tätig werden, solange Migrationsrouten und EU-Außengrenzen nicht ausreichend geschützt sind. Von Politikern europäischer Regierungsparteien wurde der Richterspruch hingegen begrüßt. „Der EuGH hat Rechtssicherheit in Fragen der Asylpolitik wiederhergestellt”, kommentierte die Sprecherin der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Monika Hohlmeier (CSU). Ein anderslautendes Urteil hätte zu einer Flut von Anträgen in Botschaften und Konsulaten führen können. In der Tat: Die EU-Außengrenzen, ob geschützt oder nicht, hätten dann jede Bedeutung verloren.

Jede andere Entscheidung hätte das europäische Asylrecht auf den Kopf gestellt und eine neue Fluchtwelle nach Europa ausgelöst.

Beate Merk, Bayerns Europaministerin

Das Asylrecht bedeute eben nicht, dass Asylbewerber in den Mitgliedstaat ihrer Wahl einreisen und dort Asyl beantragen könnten, lobte auch Bayerns Europaministerin Beate Merk das Urteil: „Jede andere Entscheidung hätte das europäische Asylrecht auf den Kopf gestellt und eine neue Fluchtwelle nach Europa ausgelöst, vor allem in Staaten mit hohen Versorgungsstandards wie Deutschland.” Aus der Praxis der Flüchtlingsaufnahme wüsste man, dass ein Großteil der Asylsuchenden dauerhaft im Land bliebe, ergänzte Integrationsministerin Emilia Müller: „Das ist und bleibt auch ohne neue Zugangswege die größte Herausforderung für unsere Gesellschaft seit der deutschen Wiedervereinigung.” Merk forderte zudem, jetzt weiter mit Hochdruck an einer Reform des europäischen Asylsystems zu arbeiten: „Wir müssen endlich die Regeln so ändern, dass die Zuwanderung wirksam gesteuert und begrenzt wird.”

Gefährlicher Präzedenzfall vermieden

In dem Ausgangsverfahren für das EuGH-Urteil geht es um ein syrisches Ehepaar, das mit seinen drei kleinen Kindern aus dem lange umkämpften Aleppo nach Europa fliehen will. Es beantragte dazu im belgischen Konsulat im libanesischen Beirut Visa. Das belgische Ausländeramt lehnte die Anträge allerdings ab. Die Behörde argumentierte, dass sich die Familie länger als die mit einem Visum bewilligten 90 Tage in Belgien aufhalten wolle − schließlich wollten die Syrer dort Asylanträge stellen. Der EuGH bestätigte diese Rechtsauslegung nun. Es wies darauf hin, dass der EU-Visakodex nur für geplante Aufenthalte von höchstens drei Monaten gelte.

Die Visavergabe an die syrische Familie hätte einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen, durch den EU-Staaten die Kontrolle über ihre Grenzen hätten verlieren können.

Über das Schicksal der Syrer muss nun der belgische Rat für Ausländerstreitsachen entscheiden. Er hatte den EuGH um eine Einschätzung zu dem Fall gebeten. Die belgische Regierung zeigte sich erleichtert. Der zuständige Staatssekretär Theo Francken schrieb über den Kurznachrichtendienst Twitter: „Jaaa! Gewonnnen!” Er hatte wiederholt davor gewarnt, dass eine Visavergabe an die syrische Familie einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen könnte, mit dem EU-Staaten die Kontrolle über ihre Grenzen vollständig verlieren könnten.

Verfolgung wegen christlich-orthodoxem Glauben

Von der syrischen Familie wurde zunächst keine Reaktion auf das Urteil bekannt. Sie war wieder in ihre Heimatstadt Aleppo zurückgekehrt, nachdem sie im vergangenen Oktober im Libanon die Visa für die Einreise nach Belgien beantragt hatte. Als Grund für ihr Gesuch hatte die Familie unter anderem ihren christlich-orthodoxen Glauben abgegeben, der sie der Gefahr einer Verfolgung aussetze. Zudem gab einer der Ehepartner an, er sei von einer bewaffneten Gruppe entführt, geschlagen und gefoltert worden. Doch die Gefahr für Syriens Christen ist jetzt wahrscheinlich geringer geworden: Das lange in Regierungs- und Rebellengebiete geteilte Aleppo ist mittlerweile wieder ganz in der Hand der syrischen Regierung. (dpa/BK/H.M.)