Szenenbild der „Tristan“-Inszenierung der Bayreuther Festspiele: König Marke (Georg Zeppenfeld) reinigt sich am Ende des 2. Akts mit seinem Schnappmesser die Fingernägel, während Tristan (Stephen Gold) im Gestänge auf den Tod gefasst ist. (Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath)
Bayreuther Festspiele

„Tristan“ – endlich staatstragend

Gastbeitrag Mit ihrer „Tristan“-Neuinszenierung versucht Katharina Wagner, es allen recht zu machen. Die Aufführung wurde mehrheitlich wohlwollend aufgenommen. Ein Festspiel-Resümee von der Bayreuther Festspiele-Kennerin und -Rezensentin Monika Beer.

Wer über „Wandel und Wechsel“ in Bayreuth spricht, zitiert damit nicht nur Wagners Göttervater Wotan. Sondern landet fast zwangsläufig bei Giuseppe Tomasi di Lampedusa, der seinen Weltruhm der Familiensaga „Der Leopard“ verdankt, deren zentraler Satz lautet: „Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert.“ Wie es scheint, ist das nicht nur das Motto des Romanhelden Tancredi, sondern auch der Ära von Neuneubayreuth – beziehungsweise von Katharina Wagner.

Zwar ist es schon zehn Jahre her, als mit Christoph Schlingensiefs „Parsifal“-Inszenierung erstmals Berliner Volksbühnen-Ästhetik ins Festspielhaus einzog und viele Wagnerianer schockierte. Aber das Bayreuth-Debüt der Wagner-Urenkelin 2007 polarisierte noch mehr. Wie konnte ein waschechter Wagner-Nachkomme ausgerechnet bei den heiteren „Meistersingern“ alles wüst auf den Kopf stellen? Würde, so die bange Frage, Katharina weitermachen als Publikumsschreck und „Tristan und Isolde“ mit den hinlänglich bekannten Zutaten des deutschen Dekonstruktionstheaters auf die Bühne des Festspielhauses werfen?

Kritik und Publikum reagierten wohlwollend

Die gute Nachricht ist ein klares Jein, die schlechte Nachricht ebenso. Nein, die im Vorfeld von etlichen Medien als regieliche Meisterprüfung ausgerufene „Tristan“-Inszenierung wurde mehrheitlich wohlwollend aufgenommen. Als ob die lange Vorbereitungszeit von acht Jahren auch ein entsprechend intensives Ergebnis gezeitigt hätte, wovon aber leider nicht die Rede sein kann. Denn erstens scheitert die Regisseurin darin, allen Figuren der Handlung ein schlüssiges und die Zuschauer berührendes Profil zu geben. Dass ein Bühnentier wie Evelyn Herlitzius schauspielerisch eine packende Isolde abgeben würde, war von vornherein klar, hat aber handwerklich kaum etwas mit der Personenführung zu tun. Was sich unschwer an dem eher bräsig wirkenden Tristan von Stephen Gould ablesen lässt. Erst recht an Georg Zeppenfeld als König Marke, den die Widersprüche zwischen dem, was er zu singen und zu spielen hat, eigentlich zerreißen müssten.

Die Regie behauptet nur und sagt nichts

Zweitens setzt Katharina Wagner eher halbherzig ein papierenes, die Gegebenheiten der Oper umstülpendes Konzept um, das nur behauptet und nichts beglaubigt. Zwar hat schon Thomas Mann konstatiert, dass es den Liebestrank gar nicht bräuchte, nur müsste das szenisch plausibel untermauert werden. Es reicht eben nicht, dass Tristan und Isolde im Treppenlabyrinth des 1. Akts aufeinander zurasen, in der Folterkammer des 2. Akts unter Suchscheinwerfern ihr Liebesnest mit Leuchtsternen behängen und später Selbstmord in einem Theaterblut spendenden Fahrradständer begehen wollen. Wozu dann noch der 3. Akt? Damit Tristan in seinem Fieber- oder Sterbewahn in magischen Dreiecken immer wieder surreale Isolden sieht? Damit, weil das so noch keiner gemacht hat, Marke als Bösewicht in Senfgelb und wie ein Mafioso mit Schnappmesser agiert?

Zeitlos abstrakte Ausstattungsästhetik

Natürlich hat die Wagner-Urenkelin von klein auf jede Menge gute, wirksame, ja geniale  Theaterbilder gesehen und verinnerlicht, derer sie sich auf ihre Weise bedient. Zudem gibt es immer wieder Szenen – meist sind es die eher ruhigen, statischen, um nicht zu sagen langweiligen – , die es dem kundigen Publikum ermöglichen, den regielichen Dekonstruktionshammer zu verdrängen und auf der gegebenen Oberfläche in andere, eigene „Tristan“-Welten einzutauchen, was, selbstredend unter anderen Vorzeichen, schon bei den Regiearbeiten ihres Vaters prima funktioniert hat. Zumal sie sich diesmal einer zeitlos-abstrakten Ausstattungsästhetik bedient, die zwar in sich nicht schlüssig ist, dafür aber sängerfreundlich und eine Folie für schöne Momentaufnahmen (Bühne: Frank Philipp Schlößmann, Matthias Lippert; Kostüme: Thomas Kaiser, Licht: Reinhard Traub).

Ein Hauch von Metaphysischem

Das schönste und längste Bild liefert der 2. Akt, wenn Tristan und Isolde Hand in Hand, mit dem Rücken zum Publikum, die herniedersinkende Liebesnacht besingen und sich gespiegelt in einer Projektion langsam und voneinander getrennt entfernen. Hier verbinden sich Szene und Musik am stärksten, wenigstens hier streift die Produktion das Metaphysische. Zum Ende hin klappt das weniger gut. Wenn Isolde ihr verklärtes „unbewusst – , höchste Lust!“ verhaucht hat, müssen die letzten Takte unschön gedehnt werden, damit Marke Isolde an sich reißen und wie ein Beutetier abschleppen kann ins künftige Eheleben. Warum die brutale Schlusslösung nicht ausgebuht wurde, liegt unter anderem am brillanten Festspielorchester und dem auch bei der zweiten Vorstellung souverän, frisch und analytischer dirigierenden Christian Thielemann.

Die neue Chefin als „starke Frau“

Nachdem auch die Wiederaufnahmepremieren überwiegend bejubelt wurden – Frank Castorf darf nach wie vor Bayreuths Buhmann sein, selbst wenn der Protest gegen seine zynische „Ring“-Sicht nur noch ein Protestlein ist – , und nachdem etliche Medien ein wenig realistisches, dafür umso mehr idealisierendes Bild von Katharina Wagner als starker Frau verbreitet haben, sieht es so aus, als könnte die 37-Jährige gelassen in die Zukunft blicken. Ihr Name steht nach außen hin jetzt für eine Regie, die gewissermaßen als staatstragend ankommt; ihr Name steht für die Neuerungen, Umstrukturierungen und Veränderungen der letzten sieben Jahre bei den Festspielen.

Kein Ende der Machtkämpfe in Sicht

Mit Kinder-Oper, Public-Viewing, Kino- und Fernsehübertragungen und Online-Kartenverkauf hat sie für Schlagzeilen gesorgt – und erst recht mit Pleiten, Pech, Pannen und Peinlichkeiten aller Art. Der vormals patriarchalisch geführte Familienbetrieb wurde in ihrer ersten Amtszeit, die sie bis Festspielende noch mit ihrer Halbschwester teilt, in offenbar nur schwer zu lenkende Staatsfestspiele umgebaut, bei denen vielfach die Gesellschafter der Festspiel-GmbH das Sagen haben. Aber selbst wenn die neue Chefin am Grünen Hügel in ihren Entscheidungen nur noch selten frei ist, ging und geht es letztlich immer auch darum, den eigenen Besitzstand, die eigene Macht zu sichern – wie beim „Leoparden“, wie bei Wotan in  Wagners unvergleichlichem „Ring“, dessen Botschaft auch für Wagner-Urenkelinnen lehrreich sein dürfte, ob sie nun Amélie, Dagny, Daphne, Eva, Katharina, Nike, Verena oder Winifred heißen.