Die elektronische Gesundheitskarte soll die Vernetzung von Ärzten, Therapeuten und Krankenhäusern für digitale Anwendungen ermöglichen. (imago/epd-bild/Norbert Neetz)
Digitalisierung

Fünf vor zwölf

Gastbeitrag Trotz hoher Zufriedenheit unter den Bayern mit dem Gesundheitswesen besteht Reformbedarf. Der Bayern-Chef der Techniker Krankenkasse, Christian Bredl, sieht diesen besonders im Bereich E-Health. Das Feld will er nicht US-Konzernen überlassen.

Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) versichert über 70 Millionen Menschen in Deutschland, davon mehr als 10 Millionen in Bayern. Die Prinzipien von Solidarität, Selbstverwaltung und Wettbewerb erweisen sich schon seit mehr als 130 Jahren als krisenfest und wandlungsfähig. Deshalb befürworten acht von zehn Menschen das Solidarprinzip wie der aktuelle TK-Meinungspuls* zeigt. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hatte dazu im Auftrag der TK im Anfang 2017 zum elften Mal bevölkerungsrepräsentativ 2001 Erwachsene in Deutschland zum Gesundheitssystem befragt. Bei den Jüngeren im Alter von 18 bis 29 Jahren ist die Zustimmung mit 89 Prozent am höchsten. Doch obwohl 90 Prozent der Bayern mit dem Gesundheitswesen zufrieden sind, sehen gleichzeitig 77 Prozent an einigen Stellen Reformbedarf.

Fairer Finanzausgleich und Digitalisierung

Ganz oben auf der Reformagenda stehen ein fairer Ausgleich der Risiken und eine gerechte Verteilung der Beitragseinnahmen – sowohl regional als auch unter den Krankenkassen. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Stützen des Gesundheitssystems wie die TK oder das Land Bayern können auf Dauer nicht für enorme Einnahmen sorgen, um dann „zum Dank“ unzureichende Finanzmittel aus dem Gesundheitsfonds zu erhalten.

Bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens müssen wir in Deutschland ebenfalls deutlich zulegen. Die Akzeptanz von E-Health und Telemedizin in der Bevölkerung ist groß – die digitalen Erwartungen an das Gesundheitswesen ebenfalls. Die Digitalisierung hat das Potenzial, die Effizienz und Transparenz im Gesundheitswesen zu steigern und die Versorgung der Menschen zu verbessern. Mit dem E-Health-Gesetz wurde der Rahmen für ein digital vernetztes Gesundheitswesen geschaffen.

Bei denen gehört jedoch der Handel mit Daten zum Geschäftsmodell.

Christian Bredl, über US-amerikanische Konzerne im Gesundheitswesen

Es geht nicht mehr darum, ob wir digitalisieren, sondern wie wir es tun. Wenn die bisherigen Akteure wie Krankenkassen, Ministerien, Ärzte oder Krankenhäuser nicht die Vorreiter der Digitalisierung sind, werden es US-amerikanische Konzerne sein. Bei denen gehört jedoch der Handel mit Daten zum Geschäftsmodell. Wir sollten alles daran setzen, bei der Digitalisierung unsere rechtlichen Standards, beispielweise beim Datenschutz, selbst zu gestalten.

Patient als Herr seiner Daten 

Um ihre digitale Vorreiterrolle weiter zu stärken, wird die TK ihren Versicherten eine transparente und sichere elektronische Gesundheitsakte (eGA) anbieten. Diese moderne patientengesteuerte Datenplattform ist essenziell für Versorgungsqualität und Patientensicherheit. Die Krankenversicherer müssen daher verpflichtet werden, ihren Versicherten die Einrichtung einer eGA bei einem von den jeweiligen Kassen ausgesuchten Dienstleister anzubieten. Die Kasse übernimmt die Kosten und stellt sicher, dass Daten der Versicherten ausreichend geschützt sind. Allein der Versicherte entscheidet, ob er die eGA nutzen möchte. Er muss stets Herr seiner Daten sein und nur er bestimmt, wer Einsicht hat. Weder Arzt noch Krankenkasse dürfen ohne seine Genehmigung auf die Daten zugreifen können. Die Freigabe durch den Versicherten kann auch einen teilweisen Zugriff umfassen und er kann seine Entscheidung jederzeit ohne Angabe von Gründen widerrufen.

Der Versicherte muss stets Herr seiner Daten sein und nur er bestimmt, wer Einsicht hat.

Christian Bredl

Herausforderungen: Telemedizin und Gesundheits-App

Bei der Telemedizin müssen wir ebenfalls vorankommen. Die Erstattung von Online-Videosprechstunden ist nun gesetzlich geregelt, aber das ärztliche Fernbehandlungsverbot erschwert die Umsetzung. Es schließt eine telemedizinische Behandlung ohne vorherigen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt aus. Die Bundesärztekammer hat bereits detailliert beschrieben, unter welchen Umständen eine telemedizinische Behandlung zulässig ist. Erste Landesärztekammern erweitern bereits ihre Berufsordnungen, um die Telemedizin durch Modellprojekte zu forcieren. Dem sollten so schnell wie möglich die bayerischen Ärzte folgen, damit der Freistaat weiter Vorreiter in der Medizin bleibt.

Auch bei den sogenannten Gesundheits-Apps muss ein klarer Rahmen geschaffen werden. Die digitalen Anwendungen benötigen ein nach Risikoklassen gestaffeltes Klassifikationsmodell. Apps, die in medizinische Entscheidungsprozesse eingreifen, sind mit einem höheren Gefahrenpotenzial in ihrer Anwendung verbunden. Sie sollten bei der Zulassung in eine höhere Risikoklasse eingestuft werden als beispielsweise reine Informationsangebote. Die Beteiligung der Krankenkasse an den Kosten von Gesundheits-Apps darf nur möglich sein, wenn die Sicherheit und Wirksamkeit der App nachgewiesen ist.

Vorhandene Routinedaten besser nutzen

Die TK will die Versorgung ihrer Versicherten kontinuierlich auf Basis von Routinedatenauswertungen überprüfen und weiterentwickeln. Dafür muss es für die Krankenkassen möglich sein, sektorenübergreifend Behandlungssequenzen und Behandlungspfade zu analysieren. Das kann deutlich verbessert werden, wenn die gesetzlichen Aufbewahrungsfristen für Abrechnungsdaten in allen Sektoren aufgehoben werden sowie alle Diagnoseangaben tagesgenau dokumentiert werden. Die Gesetze sollten so angepasst werden, dass Erkenntnisse aus der Versorgungsforschung bezüglich Krankheiten und Risiken den betroffenen Versicherten unmittelbar zur Verfügung gestellt und von diesen genutzt werden können.

*Der 52-seitige Studienband

„TK-Meinungspuls Gesundheit 2017“ mit den Ergebnissen steht unter www.presse.tk.de (Webcode: 945984) zum Download bereit.

Über den Autor:

Christian Bredl, Jahrgang 1966, leitet seit 2008 die TK-Landesvertretung Bayern, ist Vorstandsmitglied bei Health Care Bayern e.V. und stellvertretender Landesvorsitzender des Gesundheits- und Pflegepolitischen Arbeitskreises der CSU (GPA). Der gelernte Sozialversicherungsfachangestellte arbeitet seit 1984 in der GKV. Bredl führte von 2001 bis 2007 den Verband der Ersatzkassen (vdek) in Bayern. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.