Mehr als 500 Opfer
"Gefängnis, Hölle und Konzentrationslager" - der Abschlussbericht über den Missbrauchsskandal bei den Regensburger Domspatzen verdeutlicht das Ausmaß der Übergriffe. Mindestens 547 Chorknaben wurden Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt.
Domspatzen

Mehr als 500 Opfer

"Gefängnis, Hölle und Konzentrationslager" - der Abschlussbericht über den Missbrauchsskandal bei den Regensburger Domspatzen verdeutlicht das Ausmaß der Übergriffe. Mindestens 547 Chorknaben wurden Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt.

Mindestens 547 Chorknaben der Regensburger Domspatzen sind Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt geworden. Das geht aus dem am Dienstag vorgelegten Abschlussbericht zum Missbrauchsskandal bei dem weltberühmten Chor hervor. Vor allem in der Vorschule, aber auch im Gymnasium sei es zu Gewalt gegen Schüler gekommen, sagte der mit der Aufklärung beauftragte Rechtsanwalt Ulrich Weber. Die Vorfälle körperlicher Gewalt seien mit wenigen Ausnahmen verboten und strafbar gewesen, die sexuellen Übergriffe ohnehin.

Die Untersuchung umfasst Fälle zwischen 1945 und Anfang der 1990er Jahre. Die Fälle sind jedoch verjährt und somit strafrechtlich nicht mehr verfolgbar. Die Betroffenen sollen mit jeweils bis zu 20.000 Euro entschädigt werden.

Kultur des Schweigens

Verantwortlich für die Gewalt seien in vielen Fällen der Direktor der Vorschule und sein Präfekt gewesen, sagte Weber. Es müsse aber davon ausgegangen werden, dass nahezu alle Verantwortungsträger bei den Domspatzen zumindest ein Halbwissen über Gewaltvorfälle gehabt hätten. Weber sprach von einer „Kultur des Schweigens“. Der Schutz der Institution habe im Vordergrund gestanden. Weber gab auch dem früheren Domkapellmeister Georg Ratzinger, dem Bruder des emeritierten Papstes Joseph Ratzinger, eine Mitschuld: Ihm seien „sein Wegschauen, fehlendes Einschreiten trotz Kenntnis vorzuwerfen“.

Ich kann es nicht ungeschehen machen und die Opfer nur um Vergebung bitten.

Bischof Rudolf Voderholzer

Betroffene hätten ihre Schulzeit als „Gefängnis, Hölle und Konzentrationslager“ bezeichnet, sagte Weber. Die physische Gewalt sei alltäglich und brutal gewesen. Viele Opfer schilderten die Jahre als „schlimmste Zeit ihres Lebens, geprägt von Angst, Gewalt und Hilflosigkeit“.

Selbstkritik der Kirche

Die katholische Kirche hat Versäumnisse bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle eingeräumt. „Wir haben alle Fehler gemacht und haben viel gelernt. Wir sehen heute, dass wir früher manches besser hätten machen können“, sagte der Regensburger Generalvikar Michael Fuchs anlässlich der Vorstellung des Berichts. So sei es nicht richtig gewesen, darauf zu warten, dass sich Betroffene meldeten. Man hätte vielmehr aktiv auf die Menschen zugehen müssen.

Der ehemalige Domkapellmeister Georg Ratzinger nehme großen Anteil an der Aufarbeitung, sagte Fuchs. Ratzinger sei ein emotionaler Mensch und habe früher auch Ohrfeigen ausgeteilt. Dies habe er aber mittlerweile bedauert und sich auch entschuldigt. Von sexuellem Missbrauch habe er mit Ausnahme eines Falles nichts gewusst. Auch das Ausmaß der Gewalt habe Ratzinger falsch eingeschätzt, sagte der Generalvikar.

Als 2010 die ersten Meldungen über die Vorfälle kamen, habe man mit bestem Wissen und Gewissen versucht, damit umzugehen, sagte Fuchs. Dabei habe man sich nach dem Regelwerk für die deutschen Diözesen gerichtet. „Wir haben aber gemerkt, es reicht nicht.“ 2011 sei deutlich geworden, dass es viele Körperverletzungen gegeben habe, für die dieses Regelwerk nichts vorgesehen habe.

Opfer-Vertreter sind zufrieden

Bischof Rudolf Voderholzer hatte sich bereits im vergangenen Herbst tief bewegt gezeigt angesichts des Leids der Opfer. „Jeder Einzelne ist einer zuviel, es schmerzt mich zutiefst und ich will alles in meiner Kraft Stehende tun, um durch persönliche Begegnung auch Wunden zu heilen“, erklärte er. „Ich kann es nicht ungeschehen machen und die Opfer nur um Vergebung bitten.“ Voderholzer ist seit Anfang 2013 Bischof in Regensburg und hat die Aufklärung des Skandals seitdem maßgeblich vorangetrieben.

Peter Schmitt, einer der Opfer-Vertreter und im Aufarbeitungsgremium aktiv, hofft, mit dem Abschlussbericht einen Schlussstrich ziehen zu können, wie er jüngst der Deutschen Presse-Agentur sagte. Er habe im Aufarbeitungsgremium nicht nur fordern, sondern vor allem bei der Suche nach Lösungen helfen wollen. „Mit dem Ergebnis bin ich letztlich zufrieden.“

(dpa)