Ende 1998 geht das Neonazi-Trio Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in den Untergrund. Was folgt, ist eine der schwerwiegendsten und erschütterndsten Mordserien der deutschen Nachkriegsgeschichte. (Foto: SWR / Stephan Rabold)
TV-Tipp

Eine beklemmende Studie über Abgründe

Jahrelang konnten sie unbehelligt in Deutschland leben: Der rechtsradikale NSU hat zehn Menschen getötet. Und trotz des Prozesses gegen Beate Zschäpe bleiben viele Fragen offen. In drei Filmen unternehmen drei Regisseure nun einen Annäherungsversuch an die Frage nach dem Warum.

Was trieb Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und ihre Freunde an? Wer half ihnen bei den Taten? Und wie gestalteten sich die Ermittlungen? Der dreiteilige Fernsehfilm „Mitten in Deutschland: NSU“ versucht, diesen und weiteren Fragen nachzugehen. Ab 30. April zeigt die ARD diese „Spurensuche“, aufgeteilt in die Episoden „Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“ (Mi, 30.03., 20:15 Uhr), „Die Opfer – Vergesst mich nicht“ (Mo, 04.04., 20:15 Uhr) und „Die Ermittler – Nur für den Dienstgebrauch“ (Mi, 06.04., 20:15 Uhr), geschaffen jeweils von den Regisseuren Christian Schwochow, Züli Aladag und Florian Cossen.

Drei Teile – drei Episoden

Die drei Teile der Trilogie greifen dabei ineinander, wechseln die Perspektive: Teil 1 zeigt, wie sich die Thüringer Neonazi-Szene vernetzt und radikalisiert. Erstes NSU-Ziel ist der Blumenhändler Enver Şimşek, den Böhnhardt und Mundlos im September 2000 töten, nur weil er Türke ist. Welche Demütigungen die Angehörigen der griechischen und türkischen Opfer erdulden müssen, schildert Teil 2 am Beispiel des Şimşek-Mords. Die Fahnder verfolgen mehrere Theorien; Neonazis kommen nicht darin vor. Erst als Böhnhardt und Mundlos 2011 tot in ihrem Wohnmobil gefunden werden, kommt die NSU-Mordserie ans Licht. Jahrelang schon hatten Thüringer Ermittler nach den abgetauchten Rechtsextremisten gesucht, oft ausgebremst von Vorgesetzten und vom Verfassungsschutz. Der dritte Teil stellt brisante Fragen: Wer behinderte wen und warum bei den Ermittlungen? Oder war das alles nur eine gewaltige Pannenserie? Der Regisseur von Teil 3, Florian Cossen, hat diesbezüglich seine Zweifel: „Wenn ein Zufall zu oft hintereinander passiert, dann verdient er nicht mehr den Namen ‚Zufall’“, so Cossen.

Fiktion im Einklang mit Fakten

Viel Recherche steckt nach Angaben des Senders und der Verantwortlichen in dem Dreiteiler. Und doch kann er nur erzählen, wie es gewesen sein könnte, nicht aber, wie es gewesen ist. Manche offenen Fragen werden vielleicht nie beantwortet. „Womöglich können wir aber mit einem Spielfilm – durch das Brennglas der Fiktion – etwas Wahrhaftiges aussagen, treffen und emotional beschreiben; und womöglich kann diese Wahrhaftigkeit ein Stück von der Wahrheit übernehmen oder preisgeben“, fasst Cossen zusammen. Und für Schwochow ist die Fiktionalisierung unerlässlich, „denn wir wollten keine Geschichte über die Schicksale dreier mutmaßlicher Einzeltäter erzählen – sondern den Anfang mit einer Selbstreflexion über eine Gesellschaft leisten, in der Rassismus längst politischer Mainstream ist und zum Alltag gehört”, so der Regisseur von Teil 1. Teil 2 basiert unter anderem auf dem autobiografischen Buch „Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater“ von Semiya Şimşek, der Tochter von Enver Şimşek. Sie war 14 Jahre alt, als ihr Vater ermordet wurde.

Jahrelange Recherchearbeit

Spannend wie ein Thriller, faktenreich wie eine Dokumentation – herausgekommen ist bei dem NSU-Filmprojekt eine beklemmende Studie über Abgründe, Vorurteile und Stimmungslagen mitten in Deutschland. Möglich wurde dies dank der Initiative und Leidenschaft von Produzentin Gabriela Sperl, die schon 2012 die Idee dazu hatte, drei Spielfilme zur NSU-Thematik aus verschiedenen Perspektiven zu entwickeln. Schon sehr bald brachte sie die richtigen Kreativen, Berater und Partner für die Entwicklung und die Realisation der Filme zusammen. Vier Jahre dauerte es von da an dennoch, bis die Drehbücher fertig geschrieben und die Filme gedreht wurden. „Die Drehbücher bauen auf jahrelangen Recherchen auf, von uns allen. Je detaillierter unser Wissen, desto sicherer lassen sich die fehlenden Lücken füllen. Letztlich bewegen wir uns mit allen historischen und auch zeithistorischen Stoffen im Bereich einer auf Fakten beruhenden Fiktionalisierung, die damit auch immer zu einer Interpretation wird“, so Sperl, der der verantwortungsvolle Umgang mit dem vorgefundenen Stoff bei allen drei Filmteilen deutlich anzumerken ist.

ARD-Spielfilm-Dreiteiler: „Mitten in Deutschland: NSU“

  • Teil 1: „Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“ (Mi, 30.03., 20:15 Uhr), Teil 2: „Die Opfer – Vergesst mich nicht“ (Mo, 04.04., 20:15 Uhr), Teil 3: „Die Ermittler – Nur für den Dienstgebrauch“ (Mi, 06.04., 20:15 Uhr)
  • „Aus drei verschiedenen Perspektiven lässt sich ein komplexes Bild weben über unsere derzeitige Gesellschaft mit all ihren Verwerfungen. Die klare Perspektivierung zwingt zu klaren Haltungen“, so Produzentin Gabriela Sperl über den Dreiteiler.
  • Begleitet beziehungsweise abgeschlossen wird der Dreiteiler von dem Dokumentarfilm „Der NSU-Komplex – Die Jagd auf die Terroristen“ (Mi, 06.04., 21:45 Uhr), gedreht von Stefan Aust und Dirk Laabs.

(Quelle: ARD)