„Gestatten, Kästner!“
Doppelleben, Identitätsprobleme, Zweifler – die Ausstellung „Gestatten, Kästner!“ im Literaturhaus München zeigt bis zum 14. Februar die weniger bekannten Facetten Erich Kästners. Denn der vor allem als Kinderbuchautor und Lyriker bekannte Schriftsteller war auch eine „Figur in der Krise“, wie Kuratorin Karolina Kühn bei der Ausstellungseröffnung sagte.
Literaturhaus München

„Gestatten, Kästner!“

Doppelleben, Identitätsprobleme, Zweifler – die Ausstellung „Gestatten, Kästner!“ im Literaturhaus München zeigt bis zum 14. Februar die weniger bekannten Facetten Erich Kästners. Denn der vor allem als Kinderbuchautor und Lyriker bekannte Schriftsteller war auch eine „Figur in der Krise“, wie Kuratorin Karolina Kühn bei der Ausstellungseröffnung sagte.

Die Ausstellung im Literaturhaus München, die unter dem Motto „Gestatten, Kästner!“ eine neuartige, andersartige Begegnung des Besuchers mit dem Schriftsteller zulässt, orientiert sich dabei in sieben Stationen an dessen Lebensweg durch Dresden, Leipzig, Berlin und München. Filmaufnahmen auf mannshohen Würfeln erzeugen die betriebsame Atmosphäre einer Großstadt; in Vitrinen werden Fotos, Zeitungsartikel oder Manuskripte aus dem Nachlass des Autors gezeigt. „Das gängige Kästner-Bild, das die Menschen haben, ist nicht falsch – wir wollen dem nur ein weiteres Moment hinzufügen“, betonten die Kuratorinnen Karolina Kühn und Laura Mokrohs bei der Ausstellungseröffnung am heutigen Donnerstag. In „Briefe an mich selber“ (1940), dem auch der Titel der Schau entliehen ist, schrieb der bekannte und beliebte deutsche Schriftsteller: „Oder bin sogar ich mir selbst fremd geworden? Mitunter habe ich das Gefühl.“

Spiel mit schriftstellerischen Identitäten

Erich Kästner (1899-1974) begann schon früh mit verschiedenen schriftstellerischen Identitäten zu experimentieren. Bereits unter seinen ersten journalistischen Arbeiten aus den frühen 1920er Jahren finden sich somit – ganz nach dem Vorbild Kurt Tucholskys – auch unter Pseudonym verfasste Artikel. Nach diesen ersten spielerischen Versuchen des Identitätswechsels begann der in Berlin geborene Kästner, der ab 1927 in Berlin lebte, sich gezielt selbst in den Medien zu inszenieren. Frühe Radio- und Filmaufzeichnungen verdeutlichen, wie geschickt Kästner Ton und Bild nutzte, um den Erfolg von „Emil und die Detektive“ voranzutreiben. Auch seine Lyrik vermarktete er auf innovativen Wegen. Anhand der Kästnerschen „Versfabrik“ lässt sich zeigen, wie erfolgreich er mit seiner Sekretärin den Versand seiner Gedichte über Jahrzehnte hinweg organisierte.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde dann das, was als Spiel mit der eigenen Identität begonnen hatte, Teil seiner Überlebensstrategie. Der „verbrannte Autor“ Kästner durfte ab 1933 nicht mehr unter seinem Namen veröffentlichen und musste auf die Pseudonyme seiner Freunde ausweichen. An seinen quasi-autobiografischen „Briefen an mich selber“ oder den Romanprojekten „Die Doppelgänger“ und „Der Zauberlehrling“ wird eine zunehmende Angst vor dem Selbstverlust deutlich. Die Stoffsammlungen und Fragmente machen erfahrbar, wie Kästner immer wieder an seinen Stoffen arbeitete, ohne dabei aber zu einem Ende zu gelangen. Gleichzeitig lassen sie erahnen, welch großartige Texte unvollendet blieben.

Zerrissen in den historischen Wogen

Ende der 1950er Jahre war Erich Kästner ein Autor von Weltruhm und galt in München als eine bedeutende Persönlichkeit des literarischen Lebens. Die schriftstellerische Virtuosität der frühen Berliner Jahre erreichte er jedoch nicht mehr. Neben der Veröffentlichung seiner Gesammelten Werke und unterschiedlicher Anthologien fiel es Kästner schwer, neue Romane zu schreiben. In seinen sorgfältig konzipierten Kindheitserinnerungen „Als ich ein kleiner Junge war“ literarisierte er jedoch noch einmal seine eigene Geschichte.

Mit der Ausstellung zeigt das Literaturhaus München nun die erste große Ausstellung zu Kästner, seitdem dessen Nachlass in Marbach vollständig erschlossen zur Verfügung steht und nicht zuletzt im Bereich der Fotosammlung beträchtlich angewachsen ist. In unveröffentlichten Manuskripten und weitgehend unbekannten Fragmenten lassen sich so neue Facetten Kästners finden. Sie rücken den Autor stärker in den Kontext der Moderne und zeigen ihn zerrissener in den historischen Wogen als bisher vermutet. Gerade in den wichtigen Stationen seines Lebens, den Großstädten Dresden, Leipzig, Berlin und München, zeigt sich neben dem multimedial agierenden Erfolgsautor ein Zweifler, der versucht, sich den Unsicherheiten der Moderne schreibend zu stellen beziehungsweise entgegenzustellen.

Ausstellung „Gestatten, Kästner!“:

Die Ausstellung ist bis 14. Februar 2016 im Literaturhaus München zu sehen. Geöffnet ist von Mo bis Fr 11 Uhr bis 19 Uhr, Sa/So/Feiertage 10 Uhr bis 18 Uhr. Der Eintritt beträgt (inkl. Audioguide regulär 5 Euro, ermäßigt 3 Euro. Zur Ausstellung ist ein Heft, erhältlich für 6 Euro, erschienen.

Weitere Informationen unter: www.literaturhaus-muenchen.de

(dpa/dia)