Zu viel Stickoxid: Statt die Abgase der Diesel-Fahrzeuge besser zu reinigen, trickste VW mit der Software und hat jetzt eine Menge Ärger am Hals. Hinzu kommt jetzt auch noch der Vorwurf der Steuerhinterziehung.(Bild: Imago)
VW-Abgasskandal

Die Klagewelle rollt

Die Klagewelle gegen VW kommt ins Rollen. Wegen Luftverschmutzung fordert ein erster Landkreis in den USA 100 Millionen US-Dollar von dem Konzern. Die VW-Tochter Audi erstattete heute eine Strafanzeige, Ingolstadt verhängte eine Haushaltssperre. Die düstere Gesamtstimmung in der deutschen Autobranche hellt zurzeit ausgerechnet das schwächelnde China auf: mit Steuererleichterungen.

Zuletzt lief es für die Autobranche und speziell VW im Reich der Mitte nicht mehr so rund wie gewohnt. Zum dritten Mal in Folge waren die Verkaufszahlen in den vergangenen drei Monaten gesunken. In den Jahren davor war die Branche noch extrem verwöhnt: Mehr als 18 Millionen Autos wurden 2014 in China verkauft, das ist mehr als ein Viertel aller Neuwagen weltweit. Aufgrund der schwächelnden Wirtschaft und dem vielen Geld, das Kleinanleger an den chinesischen Börsen verloren, gingen auch die Zuwächse bei den Autoverkäufen zurück: Der chinesische Branchenverband rechnete Ende August für das laufende Jahr „nur“ noch mit drei Prozent Wachstum, mittlerweile befürchteten Branchenkenner eine Nullrunde oder sogar einen leichten Rückgang der Pkw-Absätze in China.

China kurbelt mit Steuererleichterung Auto-Absatz an

Dem tritt das Reich der Mitte nun mit Steuererleichterungen entgegen: Für Autos bis zu 1,6 Liter wird voraussichtlich ab morgigen Donnerstag nur noch der halbe Mehrwertsteuersatz fällig. Die Käufer werden um bis zu zehn Milliarden Euro entlastet, heißt es. Das kam auch an der deutschen Börse gut an. BMW kletterte heute um vier Prozent, und auch die VW-Aktie beendete ihren freien Fall und zog am Vormittag um drei Prozent an.

Die Mehrwertsteuer-Senkung könnte VW nun neuen Schwung geben.

Der chinesische Markt ist für die Wolfsburger gerade jetzt enorm wichtig. Mit 2,76 Millionen Fahrzeugen verkauften sie im vergangenen Jahr 35 Prozent ihrer Autos im Reich der Mitte. Im ersten Halbjahr 2015 sackte dort der Absatz jedoch um 6,7 Prozent auf 1,3 Millionen Fahrzeuge ab. Die Mehrwertsteuer-Senkung könnte VW nun neuen Schwung geben, den der Konzern dringend benötigt. Der aktuelle Skandal ist für VW in China zum Glück kein großes Thema: In dem Land sind kaum Diesel-Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs.

Amerikaner wollen Kasse machen

Zwar sind auch in Übersee Diesel-Autos kein wirklicher Verkaufsschlager, mit der manipulierten Software, die falsche Abgaswerte vorgaukelt, hat VW sein Image in den USA aber gehörig ramponiert. Die Amerikaner wollen jetzt offenbar so schnell wie möglich Kasse machen: Als erster US-Landkreis hält Medienberichte zufolge Harris County in Texas „wegen Luftverpestung durch mindestens 6000 verkaufte VW-Diesel“ die Hand auf: Gut 100 Millionen Dollar (rund 89 Millionen Euro) werden deshalb von VW eingefordert. Ein Treppenwitz: Ausgerechnet in einem Staat mit CO2-produzierenden Ölraffinerien und Petrochemieanlagen, in dem Sprit-fressende Pick-up-Trucks und stromsaugende Klimaanlagen besonders beliebt sind, Häuser mit dünnen Wänden viel zu hohe Heizkosten verursachen und in dem allzu viele den Klimawandel für eine üble Erfindung der Demokraten halten. Das Beispiel aus Texas könnte Schule machen: Bereits vorige Wochen hatte der New Yorker Bundesanwalt Eric Schneidermann angekündigt, mit anderen US-Staaten eine Allianz zu bilden und gegen VW vorzugehen. Bekanntlich fordert auch die US-Umweltbehörde EPA eine Strafzahlung in Milliardenhöhe.

Audi erstattet Strafanzeige

Gegen Ex-VW-Chef Martin Winterkorn war zwischenzeitlich von der Staatsanwaltschaft Braunschweig ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, mittlerweile ist nur noch von der Prüfung eines Anfangsverdachts die Rede. Auch die Audi AG ist ins Visier der Ermittler geraten: Der Ingolstädter Oberstaatsanwalt Wolfram Herrle erklärte, dass geprüft werde, ob ein Ermittlungsverfahren gegen die VW-Tochter eingeleitet werden muss.

Wir dulden keine Geschäftspraktiken, die gegen geltendes Recht oder grundlegende Werte verstoßen.

Mitteilung von Audi

Ein Audi-Sprecher sagte dazu, dass Audi natürlich mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten werde. „Schließlich hat unser Unternehmen selbst das größte Interesse an der Aufklärung.“ Die Ingolstädter erstatteten ihrerseits Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft. „Wir dulden keine Geschäftspraktiken, die gegen geltendes Recht oder grundlegende Werte verstoßen“, hieß es dazu. Die Anzeige habe man wegen „sämtlicher nach deutschem Strafrecht in Betracht kommender Delikte“ erstattet. Einem Bericht zufolge möchte Audi in den kommenden Tagen seine Kunden informieren, ob ihre jeweiligen Fahrzeuge mit der manipulierten Software ausgestattet worden sind. Geplant ist demnach auch eine Rückholaktion, zuvor müsste aber noch „die technische Lösung“ mit dem Kraftfahrtbundesamt abgesprochen werden.

VW will fünf Millionen Autos nachrüsten

VW teilte unterdessen mit, dass „in einem ersten Schritt“ die betroffenen Kunden darüber informiert werden, „dass das Abgasverhalten ihres Fahrzeugs in Kürze nachgebessert werden kann“. Alle Fahrzeuge seien technisch sicher und fahrbereit, versicherte der Konzern. Den zuständigen Behörden will VW im Oktober „technische Lösungen und Maßnahmen vorstellen“. Eine interne Auswertung habe ergeben, dass von elf Millionen Konzernfahrzeugen weltweit rund fünf Millionen Fahrzeuge der Marke Volkswagen-Pkw eine Servicemaßnahme erhalten werden. Betroffen sind demnach unter anderem der VW Golf der sechsten Generation, der Passat der siebten Generation sowie die erste Generation des Tiguan, die mit Dieselmotoren des Typs EA 189 unterwegs sind.

Ingolstadt verhängt Haushaltssperre

Das alles wird den Konzern sehr viel Geld kosten. In den Städten, in denen VW und seine Marken beheimatet sind, geht schon jetzt die Angst vor Gewerbesteuereinbrüchen um. Nach Wolfsburg und Braunschweig hat nun auch die Audi-Stadt Ingolstadt eine Haushaltssperre in Höhe von 15 Prozent für 2015 und 2016 verhängt. „Die Referate und Ämter sind jetzt aufgefordert, sparsam zu wirtschaften“, sagte ein Stadtsprecher der Deutschen Presseagentur.