Explosive Mischung aus Inflation und Nullzins
Die Europäische Zentralbank treibt die Inflation an und hält die Zinsen auf dem Nullpunkt. Damit Frankreichs und Italiens Staatsverschuldung tragbar bleibt. Was nicht funktioniert: Trotz Nullzinspolitik zahlt Paris schon 42 Milliarden Euro Schuldzinsen. Jetzt wachsen die Renditen und die Gefahren für die Eurozone. Die Deutschen müssen dafür auch noch zahlen mit Inflation und Geldentwertung.
EZB

Explosive Mischung aus Inflation und Nullzins

Die Europäische Zentralbank treibt die Inflation an und hält die Zinsen auf dem Nullpunkt. Damit Frankreichs und Italiens Staatsverschuldung tragbar bleibt. Was nicht funktioniert: Trotz Nullzinspolitik zahlt Paris schon 42 Milliarden Euro Schuldzinsen. Jetzt wachsen die Renditen und die Gefahren für die Eurozone. Die Deutschen müssen dafür auch noch zahlen mit Inflation und Geldentwertung.

Finanzielle Repression, so nennen es Volkswirte, wenn Notenbanken mit Absicht die Zinsen niedriger halten als die Inflationsrate. Der sogenannte Realzins – die Differenz zwischen Zinssatz und Inflationsrate – ist dann negativ. Die Bürger, deren Ersparnisse täglich weniger wert werden, verlieren Geld. Je länger solche finanzielle Repression andauert, desto mehr. Schuldner profitieren und der größte Schuldner ist immer der Staat. Die Inflation lässt den Wert der Staatsschulden sinken. Die niedrigen Zinsen können diesen Wertverlust nicht kompensieren. Wenn die Zeit des negativen Realzinses nur lange genug dauert, können so auch große Schuldenberge merkbar schrumpfen.

Die EZB lässt sozusagen die Notenpresse qualmen und riesige Summen in den Geldmarkt fließen.

Finanzielle Repression – seit zwei Jahren beschreibt der Begriff die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB): Seit März 2015 kauft sie monatlich für 60 Milliarden Euro, seit April 2016 für 80 Milliarden, Staatsanleihen und Anleihen von privaten Schuldnern auf. Die EZB lässt sozusagen die Notenpresse qualmen und riesige Summen in den Geldmarkt fließen – bislang 1500 Milliarden Euro. Die Operation verfolgt zwei Ziele: Die Inflation soll steigen, und dabei die Zinsen niedrig bleiben.

Die EZB-Politik der finanziellen Repression blieb zunächst erfolglos. Bei flauer Wirtschaft wollte die Inflation in der Eurozone partout nicht über den Null-Komma-Bereich hinauswachsen. Weil aber ein negativer Realzins unbedingt her musste, hat die EZB außerdem den Leitzins immer tiefer abgesenkt, zuletzt auf das Rekordtief von 0,0 Prozent. Problem: Ein negativer Realzins von -0,5 oder -0,8 Prozent ist zu wenig negativ, um die wachsenden Staatsschulden der überschuldeten Eurozonenländer, vor allem im Süden Europas, tragbar zu halten und relativ zum jeweiligen Bruttoinlandsprodukt sinken zu lassen.

Inflationsschock für Deutschland

Das könnte sich nun ändern, schlagartig. Denn plötzlich kommt der EZB doch echte Inflation zu Hilfe – und nicht zu knapp. 0,6 Prozent betrug die Inflation für die Eurozone im November. Für das ganze Jahr wurden 0,2 Prozent errechnet. Dann der Schock für Lohnempfänger und Sparer: Im Dezember sprang die Inflationsrate auf 1,1 Prozent. Für Deutschland fiel der Sprung noch deutlicher aus: von 0,8 im November und 0,4 Prozent im ganzen Jahr auf 1,8 Prozent im Dezember – der größte Preisanstieg seit 2013. In Sachsen stieg die Dezember-Teuerung sogar auf 1,8 und in Nordrhein-Westfalen auf 1,9 Prozent.

2017 wird ein schlimmes Jahr für die Sparer.

Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts

„2017 wird ein schlimmes Jahr für die Sparer“, ahnt Clemens Fuest, Chef des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung ifo. Denn die EZB hält eisern an ihrer Nullzins-Politik fest. Bleibt es unter diesen Umständen für Deutschland das ganze Jahr bei 1,7 Prozent Inflation, dann haben am Jahresende 2017 die Sparer von 10.000 Euro real nur noch 9830 Euro auf dem Sparbuch. Bleibt es zehn Jahre lang bei dieser Inflationsrate, dann gehen den Sparern 1600 Euro an realer Kaufkraft verloren – 16 Prozent.

Es kann noch schlimmer kommen: Wenn die Inflation weiter steigt und zehn Jahre lang bei drei Prozent verharrt und gleichzeitig die Zinsen auf dem Nullpunkt bleiben, dann gehen den Sparern 25 Prozent an realer Kaufkraft verloren – von 10.000 Euro blieben dann real noch 7400 Euro übrig. Das ist keine alarmistische Rechnung: Beobachter sehen die deutsche Inflationsrate schon in den nächsten Monaten die Zwei-Prozent-Marke überspringen. Fuest: „Das Vermögen der Bürger wird so stark wie lange nicht mehr entwertet.“ Klassisches Sparen sei „zu einer unmöglichen Angelegenheit geworden“, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Das Vermögen der Bürger wird so stark wie lange nicht mehr entwertet.

Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts

Als Ursache für den plötzlichen Inflationsschub gelten gestiegene Ölpreise: Der Preis für ein Fass Rohöl der Sorte Brent hat sich in den vergangenen zwölf Monaten von 30 auf heute 56 Dollar fast verdoppelt. Das hat natürlich auf die Energiepreise durchgeschlagen: Im Dezember lagen sie in Deutschland etwa um 2,5 Prozent höher als vor einem Jahr. Dazu kam bei den Lebensmitteln eine Teuerung von 2,5 und bei den Wohnungsmieten von 1,5 Prozent.

Noch mehr Inflation für Frankreich und Italien

Das Inflationsziel von zwei Prozent, von dem die EZB immer spricht, ist nahe, jedenfalls in Deutschland. Ein guter Zeitpunkt für die EZB, um ihre Politik des billigen Geldes zu beenden, könnte man meinen. Bundesbankpräsident Jens Weidmann hält denn auch ein Ende der Nullzinspolitik im Euroraum in absehbarer Zeit für möglich. Aber nein, im Frankfurter EZB-Hochhaus will man davon nichts hören. Die EZB entdeckt plötzlich den Begriff der „Kerninflation“. Der misst die Inflationsrate unter Auslassung der volatilen (veränderlichen) Preise für Energie, Lebensmittel, Alkohol und Tabak, und die stieg für den Durchschnitt des Euroraums im Dezember nur von 0,8 auf 0,9 Prozent.

EZB bleibt starrsinnig

Verräterische Sprache, beobachtet die Neue Zürcher Zeitung: Vor einem Jahr begründete die EZB ihre Politik der Geldschwemme mit der dank tiefer Ölpreise sehr niedrigen Gesamtinflation. Jetzt verweist sie auf die niedrigere Kerninflation. Die EZB, heißt das übersetzt, will an der Politik des billigen Geldes unbedingt festhalten, um die Inflation weiter nach oben zu treiben. Und tatsächlich: Noch im Dezember hat die EZB ihr Anleihe-Kaufprogramm bis Ende 2017 verlängert. Bis Ende des Jahres wird sie 2,3 Billionen Euro in den Geldmarkt gepumpt haben – eine Summe, die höher liegt als etwa Deutschlands Staatsverschuldung von etwa zwei Billionen Euro. Natürlich soll der Leitzins auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent bleiben.

Wenn Frankreichs und Italiens Inflation die Zwei-Prozent-Marke erreicht, wird sie für Deutschland bei drei Prozent liegen oder darüber.

Der Grund ist einfach: Weil etwa in den beiden großen Krisenländern der Eurozone, Frankreich und Italien, die Wirtschaft wegen ausbleibender Reformen furchtbar lahmt, ist dort der Dezember-Inflationsschub kaum wahrnehmbar ausgefallen. In Frankreich ist die Inflation von 0,5 auf 0,6 Prozent praktisch gar nicht gestiegen, in Italien von 0,1 nur auf 0,5 Prozent. Beide Länder sind vom Zwei-Prozent-Inflationsziel der EZB noch weit entfernt. Und für beide Länder ist darum der negative Realzins, den EZB-Chef Mario Draghi, ein Italiener, Paris und Rom offenbar unbedingt verschaffen will, noch viel zu wenig negativ. Nur: Wenn Frankreichs und Italiens Inflation die Zwei-Prozent-Marke erreicht, wird sie für Deutschland bei drei Prozent liegen oder darüber. Die deutschen Sparer und Verbraucher bezahlen dann die Geldpolitik für die Krisenstaaten.

42 Milliarden Euro nur für Zinsen

Ob denen das hilft, ist fraglich. Denn trotz Nullzinspolitik sind mit der Inflation die Renditen auf französische und italienische Anleihen sprunghaft gestiegen, wenn auch noch immer auf niedrigem Niveau. Im vergangenen Juli musste Paris auf Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit eine Rendite von 0,2 Prozent zahlen – seither hat sich diese Rendite auf 0,78 Prozent fast vervierfacht. Bei einer Staatsverschuldung von 2160 Milliarden Euro – 97,6 Prozent der Wirtschaftsleistung – werden auch kleine Renditen schnell teuer. Im vergangenen Jahr musste Frankreich über 42 Milliarden Euro Zinsen auf seine Staatsverschuldung zahlen (Le Figaro) – zehn Milliarden mehr als für den Verteidigungshaushalt. Und das bei absolutem Niedrigzins.

Frankreich wird sich unter das Joch des Internationalen Währungsfonds beugen müssen und wie Griechenland gezwungen sein zu betteln, um das Monatsende zu erreichen. Wir werden mit der Demütigung der nationalen Pleite leben.

Serge Dassault, Herausgeber der Tageszeitung Le Figaro

Mehr als der Umfang der Renditensteigerung hat in Paris die Plötzlichkeit und „Brutalität” (Le Figaro) überrascht, mit der sie erfolgte. Und Sorgen geweckt: Wenn nun 2017 die Rendite auf langfristige Pariser Anleihen um einen einzigen Prozentpunkt steigt, errechnet in der Pariser Tageszeitung Le Figaro Zeitungseigner Serge Dassault in seiner nicht wirklich fröhlichen Neujahrsbotschaft, dann erhöht sich Frankreichs Schuldendienst sofort um zwei Milliarden Euro, um bis 2022 auf 52,5 Milliarden zu steigen. Über fünf Jahre hinweg bedeutet das für den französischen Staatshaushalt Mehrkosten von 44 Milliarden Euro.

Seit sieben Jahren sinken unsere Zinslasten, obwohl unsere Verschuldung wächst.

Gilles Carrez (LR), Vorsitzender des Finanzausschusses der Nationalversammlung

Das ist keine Panikmache: Für das mit 135 Prozent seiner Wirtschaftskraft verschuldete Italien sind die Renditen auf zehnjähre Anleihen seit Juli von 1,2 auf knapp 1,9 Prozent gestiegen – im November lagen sie sogar über zwei Prozent. Frankreichs Schuldenverwaltung Agence France Trésor rechnet für Ende 2017 denn auch mit einer Rendite von 1,25 Prozent auf französische Staatsanleihen. Noch profitiert Paris davon, dass es alte teure Verschuldung durch neue Schulden mit viel niedrigeren Renditen ablösen kann. „Seit sieben Jahren sinken unsere Zinslasten, obwohl unsere Verschuldung wächst“, sagt der Vorsitzende des Finanzausschusses der französischen Nationalversammlung. Aber auch er weiß: Wenn die Renditen wieder steigen, droht umso größere Gefahr. „Die Zeit des billigen Geldes liegt hinter uns“, ahnt im Figaro Serge Dassault und warnt schon vor Zahlungsausfall und Staatspleite: „Frankreich wird sich unter das Joch des Internationalen Währungsfonds beugen müssen und wie Griechenland gezwungen sein zu betteln, um das Monatsende zu erreichen. Wir werden mit der Demütigung der nationalen Pleite leben.”

Die Gefahren für die Eurozone wachsen

Soweit ist es noch nicht. Aber tatsächlich haben Paris und Rom Draghis Politik des billigen Geldes und der niedrigen Zinsen bislang nur für eines genutzt: Noch mehr Verschuldung. Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsreformen blieben aus oder werden nicht umgesetzt. Die Gefahren für die Eurozone sinken nicht, sondern wachsen. Und die Deutschen sollen dafür auch noch bezahlen – mit immer negativerem Realzins und Geldentwertung. Das kann kaum gut gehen, nicht wirtschaftlich und im Wahljahr erst recht nicht politisch.