Zurück auf den Wachstumspfad
Zu Beginn des Jahres mahnt die bayerische Wirtschaft Reformen in der europäischen Gemeinschaft an. Ganz oben auf der Agenda der Unternehmen stehen dabei das Beibehalten des Sparkurses und ein Abbau der Bürokratie. Einer Ausweitung von Sozialstandards erteilt die Wirtschaft eine deutliche Absage.
Europa

Zurück auf den Wachstumspfad

Zu Beginn des Jahres mahnt die bayerische Wirtschaft Reformen in der europäischen Gemeinschaft an. Ganz oben auf der Agenda der Unternehmen stehen dabei das Beibehalten des Sparkurses und ein Abbau der Bürokratie. Einer Ausweitung von Sozialstandards erteilt die Wirtschaft eine deutliche Absage.

„Wir sind überzeugte Europäer“. Zu Beginn es eines für die europäische Gemeinschaft voraussichtlich schwierigen Jahres gab der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirrtschaft, Bertram Brossardt, dieses klare Bekenntnis ab. „Über die Hälfte des bayerischen Exports geht in EU-Länder, sieben der zehn größten Exportmärkte Bayerns sind EU-Staaten“, führte Brossardt anläßlich einer Veranstaltung zur „Zukunft der EU“ die Bedeutung des gemeinsamen Marktes aus. „Umgekehrt resultieren aus der Nachfrage Bayerns und Deutschlands nach Importen aus anderen EU-Staaten fünf Millionen Arbeitsplätze in diesen Ländern. Das ist eine Win-win-Situation“, so Brossardt.

Für ein schlankes Europa

Damit dies so bleibt, drängen Bayerns Unternehmen darauf, dass Europa sich der schwierigen Aufgaben annimmt. „Die Staatsschuldenkrise schwelt weiter, die Flüchtlingskrise ist nicht gelöst, Europaskeptiker befinden sich im Aufwind und das Vertrauen in die europäischen Institutionen schwindet“, zählte Brossardt einige der Krisenherde auf. Als Reaktion auf diese Probleme dürfe es kein „Weiter so“ geben. Die richtige Antwort auf die wachsende Europaskepsis sei auch nicht der „reflexhafte Ruf nach mehr Europa“, sagte Brossardt. Vielmehr brauche es ein „besseres Europa“, das sich auf seine Stärken besinne und seinen praktischen Nutzen für die Menschen beweise. Für den vbw-Geschäftsführer heißt das: „Wir brauchen eine EU, die schlank, aber stark ist: Wettbewerbsfähigkeit statt Bürokratie, Industriepolitik statt De-Industrialisierung, Eigenverantwortung statt Umverteilung, Subsidiarität statt Zentralisierung.“

Die Digitalisierung braucht länderübergreifende Standards und einheitliche Rahmenbedingungen.

Betram Brossardt, vbw-Hauptgeschäftsführer

Konkret forderte der vbw-Geschäftsführer die konsequente Fortsetzung des Spar- und Reformkurses, die Erhöhung des industriellen Wertschöpfungsanteils in Europa auf 20 Prozent nach deutschem und bayerischem Vorbild, einen umfassenden Bürokratieabbau mit einem unabhängigen Normenkontrollrat auch auf europäischer Ebene sowie die Vollendung des europäischen Binnenmarkts, insbesondere im Energiebereich. „Außerdem muss die EU ihre digitale Agenda umsetzen. Die Digitalisierung braucht länderübergreifende Standards und einheitliche Rahmenbedingungen“, so Brossardt.

West-Ost-Gegensatz schwindet

In der Flüchtlingskrise fordert die bayerische Wirtschaft sichere Außengrenzen, die Bekämpfung der Fluchtursachen und endlich eine faire Verteilung der Flüchtlinge in Europa. Ein schlankeres Europa ist nach Überzeugung der vbw dort notwendig, wo die Mitgliedstaaten die Dinge besser selbst regeln können. Brossardt: „Das gilt vor allem für die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Die EU darf sich hier nicht einmischen. Daher sehen wir Überlegungen zur Schaffung einer ‚Europäischen Säule Sozialer Rechte‘ äußerst kritisch.“

Unterstützung für seine Forderungen erhielt Brossardt vom Wirtschaftswissenschaftler Christian Helmenstein aus Wien. Der Chefökonom der österreichischen Industriellenvereinigung erklärte, dass die Europäische Union beträchtliche wirtschaftliche Erfolge vorweisen könne. So sei es gelungen, den West-Ost-Gegensatz zu überwinden. Regionen in Osteuropa unterschieden sich nach Maßgabe ihres Pro-Kopf-Einkommens nicht mehr von jenen in Westeuropa. „Die Chancen für junge Menschen sind inzwischen überall gleich“, sagte Helmenstein. „Ob sie in Warschau, Budapest, Paris, Wien oder Berlin geboren werden.“

Gefährliche Entwicklung in Frankreich

Der Ökonom wies aber auch darauf hin, dass es nicht überall gelungen sei, die Menschen an den Erfolgen der Gemeinschaft teilhaben zu lassen. So stünden etwa in Großbritannien sehr viele Regionen beim Blick auf das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen deutlich schlechter da als noch vor 15 Jahren. Einkommenszuwächse hätten sich nahezu ausschließlich auf einige Gebiete, etwa London, konzentriert. Dies sei zwar nicht die einzige Erklärung für den Brexit-Entscheid der Briten, so Helmenstein, aber sicher ein Grund dafür. Für weite Teile Frankreichs, das in diesem Jahr neu wählt, ergaben die Untersuchungen des Wissenschaftlers eine ähnliche, negative Entwicklung.

Die Gemeinschaft fällt zurück

Helmenstein konstatierte für die EU vor allem eine Krise der Wettbewerbsfähigkeit. Bei Wachstum, Industrieproduktion und Investitionen falle Europa im Vergleich zum Rest der Welt zurück. Dies stelle die Zukunftschancen der jüngeren Generationen in Frage. Helmenstein unterstützte im Wesentlichen die Reformvorschläge der bayerischen Unternehmen. Einem vor allem durch staatliche Investitionen finanzierten „Plan für Europa“, wie ihn unlängst Österreichs Bundeskanzler Kern formulierte, erteilte Helmenstein eine Absage. Auch weil die Gefahr bestünde, dass diese Ausgaben überwiegend mit neuen Schulden finanziert würden. Staatliche Investitionen machten zudem in Europa im Schnitt nur etwa zehn Prozent der Gesamtinvestitionen aus, erklärte er. Dem Staat allein könne es daher nicht gelingen, den Investitionsstau zu überwinden. „Wichtiger ist es, die übrigen 90 Prozent der Wirtschaftsteilnehmer zu Investitionen zu bewegen.“

Eine große Chance für Europa sah Helmenstein im Ausbau des internationalen Handels. Gerade vor dem Hintergrund der protektionistischen Bestrebungen des neuen US-Präsidenten böten sich hier weiterhin hervorragende Entwicklungsmöglichkeiten.