500 Jahre Reinheitsgebot: Ein Prost aufs bayerische Bier! (Bild: Bayerischer Brauerbund e.V.)
Reinheitsgebot

Widerstand gegen „unreines“ Bier

Gastbeitrag Das Jahr 2016 stand in Bayern auch im Zeichen des 500-jährigen Jubiläums des Reinheitsgebots bei Bier. Erstaunlicherweise blieb dabei die Gefährdung dieser historischen Vorschrift durch die europäische Integration weitgehend ausgeblendet. Ein Festbeitrag von Reinhold Bocklet.

500 Jahre bayerisches Reinheitsgebot – dieses Jubiläum wurde in einer Reihe von Veranstaltungen und mit der Landesausstellung „Bier in Bayern“ des Hauses der Bayerischen Geschichte im niederbayerischen Aldersbach ausgiebig gefeiert. Erstaunlicherweise blieb dabei die Gefährdung dieser historischen Vorschrift durch die europäische Integration weitgehend ausgeblendet. Man kann dies auch als einen Beweis dafür nehmen, dass sich dieses Gebot in der Vorstellung der Verbraucher derart positiv durchgesetzt hat, dass seiner Beachtung auch gegenläufige europäische Rechtsnormen nichts anhaben können.

Nicht umsonst wird das Reinheitsgebot bei Bier (ausschließliche Verwendung von Gerste, Hopfen und Wasser) in erster Linie mit Bayern in Verbindung gebracht, war doch die erste entsprechende landesweite Regelung am 23. April 1516 von den Herzögen Wilhelm IV. und Ludwig X. beim bayerischen Landständetag verkündet worden. Das Königreich Bayern hatte sich in der Reichsverfassung von 1871 die Hoheit über die Bierbesteuerung als Reservatrecht sichern lassen (Art. 35 Abs. 2). Und mit dem Gesetz von 1906 übernahm das Deutsche Reich für die Bierherstellung im Wesentlichen die Regelungen des Bayerischen Reinheitsgebots für das gesamte Reichsgebiet.

Bayern blieb „absolutem Reinheitsgebot“ treu

In der Weimarer Republik regelte das Deutsche Biersteuergesetz (BierStG) von 1923 die Zutaten für Bier. Bayern hatte sich am Beginn der Weimarer Republik zusichern lassen, dass in seinem Hoheitsgebiet weiterhin die strenge Auslegung des Reinheitsgebots ohne Verwendung von Zucker oder Zuckerkulör galt. Ausnahmen waren nicht möglich. In der Bundesrepublik Deutschland wurden mit dem Biersteuergesetz von 1952 die Regelungen des Biersteuergesetzes von 1923 neu gefasst. In Bayern galt aber weiterhin das „absolute Reinheitsgebot“, wonach die Verwendung von Zucker und von aus Zucker hergestellten Farbmitteln sowie von Süßstoff bei der Bereitung von obergärigem Bier ausgeschlossen wurde.

Von den sechs Gründerstaaten, die sich 1957 zur EWG zusammenschlossen, kannte nur die Bundesrepublik Deutschland das Reinheitsgebot bei Bier. Es war daher nicht verwunderlich, dass die EG-Kommission bei ihren Bemühungen um die Harmonisierung (Angleichung) der Rechtsvorschriften (Art. 100 EWG-Vertrag) über die Herstellung von Bier den deutschen Bestimmungen zum Reinheitsgebot bei Bier nicht folgte, sondern die EG-weite Verwendung von Zusatzstoffen entsprechend den Bestimmungen in den übrigen Mitgliedstaaten zulassen wollte. Nur das Veto der Bundesregierung verhinderte 1976 dank des Einstimmigkeitserfordernisses des EWG-Vertrages, dass es damals zu einer europäischen Aushebelung des Reinheitsgebots bei Bier in Deutschland kam.

Vertragsverletzungsverfahren der EG-Kommission gegen Deutschland

Doch Brüssel ruhte nicht. Im Jahr 1982 eröffnete die EG-Kommission in Bezug auf die Anwendung des Reinheitsgebots für importierte Biere ein sog. Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland, das sie auf Art. 30 EWG-Vertrag stützte, der eine Behinderung des freien Warenverkehrs innerhalb der EWG untersagt. Sie konnte sich dabei u.a. auf ein zuvor in der Sache Cassis de Dijon gegen die Bundesrepublik Deutschland ergangenes Urteil des EuGH berufen, das den Grundsatz aufstellte: Jedes in einem Mitgliedstaat der EU rechtmäßig hergestellte und in den Verkehr gebrachte Erzeugnis – gleich welcher Art – muss grundsätzlich auch in den anderen Mitgliedstaaten in Verkehr gebracht werden können. Dieses Inverkehrbringen darf durch nationale Gesetze – wie in Deutschland unter Berufung auf das Reinheitsgebot – nicht behindert werden.

Nach einer mehrjährigen Auseinandersetzung fällte der Europäische Gerichtshof 1987 sein Reinheitsgebotsurteil, wonach Biere, die in anderen Mitgliedsländern der EG rechtmäßig hergestellt und verkehrsfähig waren, diese Verkehrsfähigkeit auch auf dem deutschen Markt erlangen – unabhängig davon, ob sie entsprechend den strengen Vorschriften des deutschen Reinheitsgebots hergestellt wurden oder nicht. Die Beschränkung der Bezeichnung „Bier“ auf Produkte, die dem deutschen Reinheitsgebot entsprachen, sah der Gerichtshof nicht durch zwingende Erfordernisse des Verbraucherschutzes gerechtfertigt, vielmehr hielt er entsprechende Kennzeichnungsregelungen für ausreichend. Darüber hinaus betrachtete der EuGH das absolute Verkehrsverbot für Biere mit Zusatzstoffen als ungerechtfertigt, weil es unverhältnismäßig und auch nicht nach Art. 36 EWG-Vertrag durch zwingende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sei. Seit diesem Urteil steht das deutsche Recht zum Reinheitsgebot ganz unter den Vorgaben des EU-Rechts. Der EuGH machte nur ein Zugeständnis: Bei Abweichungen vom Reinheitsgebot müssen alle dem Reinheitsgebot fremden Stoffe im Zutatenverzeichnis deutlich erkennbar auf dem Etikett angegeben werden. Die deutschen Brauer blieben aber an das Reinheitsgebot – in Bayern in seiner beschriebenen engen Form – gebunden.

Die deutschen Brauer blieben aber an das Reinheitsgebot – in Bayern in seiner beschriebenen engen Form – gebunden.

Reinhold Bocklet

Die gegenseitige Anerkennung der nationalen Herstellungsvorschriften von Lebensmitteln zur Sicherung des freien Warenverkehrs im Binnenmarkt erforderte allerdings auch eine Harmonisierung der Regeln für die Verwendung von Zusatzstoffen in Lebensmitteln (Farbstoffe, Süßstoffe, Konservierungsstoffe usw.) auf europäischer Ebene, die durch die EU-Richtlinien über die Verwendungen von Zusatzstoffen in Lebensmitteln erfolgte und im Februar 1998 mit der Zusatzstoffzulassungsverordnung in deutsches Recht umgesetzt wurde.

Zusatzstoffe werden danach erlaubt. Das so hergestellte Bier darf dann allerdings nicht mehr unter Bezugnahme auf das Reinheitsgebot angepriesen werden.

Mit der Neufassung des Biersteuergesetzes 1993 wurden die Regelungen des alten Biersteuergesetzes zur Bierherstellung und zum Reinheitsgebot als sog. Vorläufiges Biergesetz (§ 9 Abs. 2 VorlBierG) 1993 beibehalten und die steuerlichen Bestimmungen in das neue Biersteuergesetz überführt. Das vorläufige Biergesetz wurde schließlich 2005 durch das Gesetz zur Neuordnung des Lebensmittel- und des Futtermittelrechts aufgehoben, wobei die Vorschriften über die Bereitung von Bier gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über den Übergang auf das neue Lebensmittel- und Futtermittelrecht weiterhin anzuwenden sind. Die zugehörige Durchführungsverordnung zum Vorläufigen Biergesetz ist ebenfalls weiterhin gültig. Danach gilt in Bayern das Biersteuergesetz aus der Zeit der Weimarer Republik mit dem strengen Reinheitsgebot fort (§ 3).

Zahlreiche Regelungen zum Reinheitsgebot

Was als Bier bezeichnet werden darf, regelt wiederum die Bierverordnung (§ 1 Abs. 1). Besonders strenge Vorschriften in Deutschland gelten nur noch für die untergärige Bierherstellung für den deutschen Markt. Hersteller von importiertem Bier sind aufgrund des Urteils des EuGH von 1987 nicht an diese Vorschriften gebunden (§ 1 Abs. 2); auch deutsche Brauereien können davon abweichen, wenn sie untergäriges Bier für den Export herstellen oder für „besondere Biere“ eine Ausnahmegenehmigung (§ 9 Abs. 7 VorlBierG) erhalten. Was im Übrigen als Bier besteuert wird, regelt das Biersteuergesetz, das zur Definition von Bier auf die europäische Verordnung von 1987 Bezug nimmt. Die Süddeutsche Zeitung hat die dargestellten verstreuten Regelungen zum Reinheitsgebot im Jahr 2016 einen „rechten Verhau“ genannt.

Im Jahr 2005 entschied das Bundesverwaltungsgericht auch, dass die Beschränkung deutscher Brauer auf das Reinheitsgebot als Inländerdiskriminierung deren Berufsfreiheit unzulässig einschränke, so dass für „besondere Biere“ mit weiteren aromatisierenden Zutaten, solange diese keine Malzersatzstoffe sind, eine Ausnahmegenehmigung „großzügig“ zu erteilen sei. Der Bayerische Brauerbund hat sich davon allerdings nicht irritieren lassen und dazu 2014 festgestellt, dass er am strengen bayerischen Reinheitsgebot festhalten wolle und auch die Herstellung sog. besonderer, vom Reinheitsgebot abweichender Biere in Bayern weiterhin unzulässig bleiben solle.

Trotz der Öffnung des deutschen Marktes für nicht nach dem Reinheitsgebot gebrautes Bier durch die Rechtsprechung des EuGH lässt sich feststellen, dass die Attraktivität des Reinheitsgebots bei Bier in Deutschland nicht gelitten hat.

Reinhold Bocklet

Trotz der Öffnung des deutschen Marktes für nicht nach dem Reinheitsgebot gebrautes Bier durch die Rechtsprechung des EuGH lässt sich feststellen, dass die Attraktivität des Reinheitsgebots bei Bier in Deutschland nicht gelitten hat. Die Angst vor einer über Deutschland hereinbrechenden Überschwemmung mit „unreinem“ Bier erwies sich als unbegründet. Weder nahm der Bierimport seit 1987 schlagartig zu, noch ist der Anteil des nicht dem Reinheitsgebot entsprechenden Bieres am gesamten Importvolumen nachhaltig angestiegen. Biere, die nicht dem Reinheitsgebot genügen, spielen auf dem deutschen Biermarkt eine verschwindend geringe Rolle. Entscheidende Garanten dafür sind wohl auf der einen Seite der verbliebene gesetzliche Schutz, der in Bayern am strengsten ist, sowie die konsequente Einhaltung der Selbstverpflichtung durch die Brauer und hier wiederum besonders der bayerischen Brauer auf der anderen Seite. Das letzte Wort hat freilich der Verbraucher, den die Bierbrauer auch in Zukunft täglich von der Qualität und Vielfalt des nach dem Reinheitsgebot gebrauten Bieres selbst überzeugen müssen.

Über 5.000 Biersorten in Deutschland

In Deutschland gibt es derzeit 1.388 Brauereien, die rund 5.500 Markenspezialitäten herstellen. In Bayern werden 637 Braustätten gezählt.