Den Stein ins Rollen gebracht hatten bereits 2009 deutsche Parkinson-Patienten: Ihre Selbsthilfeorganisation hatte sich mit der holländischen Versandapotheke DocMorris auf Nachlässe für rezeptpflichtige Medikamente geeinigt. Das rief die deutschen Wettbewerbshüter auf den Plan, die auf den in der Bundesrepublik festgeschrieben Apothekenabgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel pochten. In erster Instanz bekamen sie noch Recht, das Oberlandesgericht in Düsseldorf verwies den Fall dann im März 2015 zum Teil aber nach Luxemburg. Vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) ging es dann nicht mehr nur darum, ob sich die Parkinson-Patienten beim Versandhandel Geld für ihre Tabletten sparen dürfen. Vielmehr musste die Frage geklärt werden, ob die deutsche Arzneimittel-Preisbindung den freien Warenverkehr in Europa behindert. Das Ergebnis: Die Richter sagen, das ist so.
Medikamente kosten in allen Apotheken das Gleiche
Sollte sich der deutsche Gesetzgeber nun nicht umgehend etwas Neues einfallen lassen, sind dem Wettbewerb im sogenannte Rx-Geschäft Tür und Tor geöffnet, gegen den sich die deutschen Apotheker über Jahre erfolgreich gewehrt hatten. Für Patienten hat die Preisbindung den Vorteil, dass sie für ihre rezeptpflichtigen Medikamente überall das gleiche zahlen: egal ob sie in der Apotheke am Münchner Marienplatz einkaufen oder zum Beispiel in Wuppertal, die Pillen kosten genau so viel. Die Apotheker wiederum erwerben die Medikamente im Großhandel, schlagen die gesetzlich vorgeschriebenen Beträge obendrauf und dürfen überdies noch satte 8,10 Euro pro Packung zusätzlich berechnen.
Europas höchste Richter haben den eindeutigen Willen des deutschen Gesetzgebers ausgehebelt und die Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte negiert.
Friedemann Schmidt, Präsident der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände
Das für alle Beteiligten vermeintliche Rundum-Sorglos-Geschäft kommt nach dem Richterspruch nun ins Wanken, denn es ist zu erwarten, dass die Online-Händler mit günstigen Angeboten rezeptpflichtiger Medikamente im Internet vorpreschen werden. Entsprechend empört sind die Apotheker: „Europas höchste Richter haben den eindeutigen Willen des deutschen Gesetzgebers ausgehebelt und die Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte negiert“, moniert Friedemann Schmidt, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). Der EuGH habe damit in ein Politikfeld eingegriffen, das gemäß den Europäischen Verträgen den Mitgliedsstaaten vorbehalten sei. Schmidt: „Es kann nicht sein, dass ungezügelte Marktkräfte über den Verbraucherschutz im Gesundheitswesen triumphieren.“ Der Apotheker-Präsident sieht die deutsche Politik gefordert, der Gesetzgeber müsse schon aus eigenem Interesse „seinen Handlungsspielraum wiederherstellen“.
Vor diesem Hintergrund erscheint ein Versandhandelsverbot für deutsche Arzneimittel überlegenswert. Für die inhabergeführten Apotheken dürfen in Deutschland aufgrund des Urteils keine Wettbewerbsnachteile entstehen. Apotheken sind ein wichtiger Bestandteil einer sicheren und verlässlichen medizinischen Versorgung vor Ort.
Maria Michalk, gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Einen Vorschlag gibt Schmidt der Politik gleich mit an die Hand: „Eine denkbare Lösung wäre ein Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln in Deutschland“, meint der ABDA-Präsident. Ähnlich äußert sich die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Maria Michalk. „Vor diesem Hintergrund erscheint ein Versandhandelsverbot für deutsche Arzneimittel überlegenswert“, erklärt sie mit Blick auf das EuGH-Urteil. „Für die inhabergeführten Apotheken dürfen in Deutschland aufgrund des Urteils keine Wettbewerbsnachteile entstehen. Apotheken sind ein wichtiger Bestandteil einer sicheren und verlässlichen medizinischen Versorgung vor Ort“, betont die CDU-Abgeordnete aus Bautzen.
Versandhandel kündigt juristische Schritte gegen mögliches Verbot an
Gegen ein solches Verbot dürften sich freilich die Versandhändler zur Wehr setzen. Nach einem Bericht der ÄrzteZeitung würde DocMorris dagegen sofort juristisch zu Felde ziehen. Zuvor hatte der Arzneimittel-Versandhändler, der zu den Größten Europas zählt, das Urteil aus Luxemburg begrüßt und angekündigt, an seinem Boni-System festzuhalten: „Chronisch kranke Menschen mit einem hohen und regelmäßigen Medikamentenbedarf werden so jährlich um mehrere hundert Euro entlastet“, erklärte DocMorris-Chef Olaf Heinrich und fügte hinzu: Der Patient spart, das Gesundheitssystem wird nicht belastet.“
Die Entscheidung des EuGH deutet darauf hin, dass auch die von der Monopolkommission kritisierte und kürzlich auf E-Books erweiterte gesetzliche Buchpreisbindung nicht ohne Weiteres zu halten sein dürfte. Die Buchpreisbindung beschränkt den freien Warenverkehr in ähnlicher Weise wie die Preisbindung für Arzneimittel.
Achim Wambach, Vorsitzender der Monopolkommission
Die deutsche Monopolkommission sieht derweil nach dem Luxemburger Richterspruch schon das Ende einer weiteren deutschen Regulierung kommen: „Die Entscheidung des EuGH deutet darauf hin, dass auch die von der Monopolkommission kritisierte und kürzlich auf E-Books erweiterte gesetzliche Buchpreisbindung nicht ohne Weiteres zu halten sein dürfte“, sagte Kommissionschef Achim Wambach der Rheinischen Post. „Die Buchpreisbindung beschränkt den freien Warenverkehr in ähnlicher Weise wie die Preisbindung für Arzneimittel.“