Der private Konsum und die Bauwirtschaft sind derzeit Garanten für das deutsche Wirtschaftswachstum. (Bild: Imago/Westend 61)
Herbstgutachten

Wirtschaftsforscher fordern mehr Weitblick

Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute mahnen eine grundlegende Neuausrichtung der Politik im Bund an. Zwar zeige die Wachstumskurve weiterhin nach oben, zu verdanken sei das aber nach wie vor dem privaten Konsum. Die Industrie habe nur einen geringen Anteil an dem aktuellen kleinen Wirtschaftswunder, das auf wackeligen Beinen steht.

Bei der Bank gibt es keine Zinsen, Wertpapiere sind für viele Bürger mit zu hohen Risiken verbunden. Der Deutsche gibt sein Geld zurzeit lieber aus, statt es auf die hohe Kante zu legen: Das Land ist im Konsumrausch, den die Europäischen Zentralbank mit ihrer ultralockeren Geldpolitik befeuert. Doch wie lange geht die Party noch weiter, das fragen sich nicht nur die Banken und Wirtschaftsforscher.

Wirtschaft wächst moderat weiter

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, die Leibniz-Institute, das Institut für Weltwirtschaft in Kiel sowie das Münchner ifo-Institut sehen in ihrer Gemeinschaftsdiagnose die Deutsche Wirtschaft derzeit noch im moderaten Aufwind, mahnen aber mehr Nachhaltigkeit an: In diesem Jahr klettert das Bruttoinlandsprodukt voraussichtlich um 1,9 Prozent. 2017 werden es nach Meinung der Professoren 1,4 Prozent sein, im Jahr darauf 1,6 Prozent. Das klingt per se nicht schlecht, doch die Zahlen stehen auf einem wackeligen Fundament. „Es sind derzeit weniger die Unternehmensinvestitionen, die den Aufschwung tragen, sondern weiterhin in erster Linie der Konsum, der vom anhaltenden Beschäftigungsaufbau profitiert“, erklären die Experten.

Flüchtlingsmigration treibt Konsum an

Die am Donnerstag vom bayerischen Landesverband der Deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) herausgegebenen Zahlen untermauern die Befürchtungen: Von Juni bis August 2016 gingen die Inlandsaufträge um 33 Prozent zurück – nach Investitionsfreude sieht das nicht aus. Beim privaten Konsum geht es dagegen immer weiter nach oben: Laut Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsinstitute ist die ohnehin schon „hohe Anschaffungsneigung“ im Juli und August weiter gestiegen. Die Einzelhandelsumsätze lagen um 0,8 Prozent über dem Vorquartalsdurchschnitt. Möglich machen das demnach steigende Löhne bei fortgesetztem Beschäftigungsaufbau, Rentenanpassungen und auch Geldleistungen an Flüchtlinge. Alles in allem wird der private Konsum in diesem Jahr nach den Schätzungen der Experten um 1,8 Prozent anziehen, auch in den kommenden beiden Jahren „bleiben die Aussichten günstig“, so die Institute. Dafür sorgen auch die Konsumausgaben des Staates im Zusammenhang mit der Flüchtlingsmigration. Sie werden kräftig zunehmen, heißt es.

Anders als in früheren Erholungsphasen leistet die Industrie einen nur unterdurchschnittlichen Beitrag. Der nach wie vor hohe Finanzierungsüberschuss des Unternehmenssektors deutet darauf hin, dass ein großer Teil der Ersparnisse nicht in Deutschland, sondern im Ausland investiert wird.

Aus dem Herbstgutachten der Institute

Während die Dienstleistungsbranchen und das Baugewerbe frohlocken, blicken die Institute besorgt auf die Industrie, die in der Vergangenheit immer ein Garant der Deutschen Wirtschaft war: „Anders als in früheren Erholungsphasen leistet die Industrie einen nur unterdurchschnittlichen Beitrag“, heißt es jetzt. Selbst die außerordentlich günstigen Finanzierungsbedingungen würden die Unternehmensinvestitionstätigkeit im Inland kaum anregen. Ifo und Co. kommen daher zu der alarmierenden Erkenntnis: „Der nach wie vor hohe Finanzierungsüberschuss des Unternehmenssektors deutet darauf hin, dass ein großer Teil der Ersparnisse nicht in Deutschland, sondern im Ausland investiert wird.“ Mit anderen Worten: Die Industrie verlagert ihre Produktion in Länder, in denen sie günstigere Rahmenbedingungen vorfindet.

Experten: Neuausrichtung der Politik ist dringend angezeigt

Die Wirtschaftsprofessoren fordern die Politik daher einmal mehr auf, sich an langfristigen Zielen zu orientieren. Die Finanzpolitik habe in den vergangenen Jahren ihre Prioritäten zumeist bei konsumtiven und verteilungsorientierten Ausgaben anstatt bei wachstumsorientierten Maßnahmen gesetzt, bemängeln sie. Angesichts der Flüchtlingsmigration und der demographischen Entwicklung sei eine Neuausrichtung in der Politik „dringend angezeigt“. Intensive Ausgaben für Sach- und insbesondere Humankapital sowie eine beschäftigungsfreundliche Entlastung bei Steuern und Sozialbeiträgen würden das Produktionspotenzial erhöhen, meinen die Experten.

Unsere Unternehmen sind die Felsen in der Brandung. Sie stehen für Beschäftigung und Wohlstand im Freistaat.

Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw)

Die Beschäftigung liegt in Deutschland derzeit auf Rekordniveau, die Arbeitslosenquote mit 6,1 Prozent auf ihrem historischen Tief. Das Herbstgutachten sagt für 2017 den selben Wert voraus, bei weiter steigender Beschäftigung. In Bayern sieht es freilich noch viel besser aus: „Mit der Quote von 3,4 Prozent steht der Freistaat nach wie vor an der Spitze aller Länder“, freut sich Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Bayerischen Wirtschaft (vbw). „Unsere Unternehmen sind die Felsen in der Brandung. Sie stehen für Beschäftigung und Wohlstand im Freistaat.“ Laut vbw sind derzeit 5,29 Millionen Menschen im Freistaat sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Seit vielen Jahren erreichen wir eine wirtschaftliche Dynamik, von der die Menschen in allen Landesteilen Bayerns profitieren.

Wirtschaftsministerin Ilse Aigner

Und diese sorgen zusammen mit ihren Firmen dafür, dass die Wirtschaft im Freistaat gesund weiter wächst: „Mit einem Plus von 3,3 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt liegt die bayerische Wirtschaft an der Spitze aller deutschen Länder und klar über dem Bundesdurchschnitt von 2,3 Prozent“, sagt Wirtschaftsministerin Ilse Aigner mit Blick auf das erste Halbjahr 2016. „Damit bekräftigt Bayern seine Position als Spitzenreiter beim längerfristigen Wachstum“, betont die Ministerin und verweist auf die „zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik“ des Freistaates. „Seit vielen Jahren erreichen wir eine wirtschaftliche Dynamik, von der die Menschen in allen Landesteilen Bayerns profitieren.“