Brexit macht Bayerns Exportwirtschaft Sorgen
Bayerns Metall- und Elektro-Industrie geht es gut: Für 2016 werden drei Prozent Produktionswachstum erwartet. 21.000 zusätzliche Arbeitsplätze bringen die Zahl der Beschäftigten auf 830.000 – so viel wie seit 14 Jahren nicht mehr. Größte Sorge: der Brexit. Die neuen Handelsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien müssen so eng wie möglich bleiben, fordert Bayerns Exportwirtschaft.
Bayerns M+E Industrie

Brexit macht Bayerns Exportwirtschaft Sorgen

Bayerns Metall- und Elektro-Industrie geht es gut: Für 2016 werden drei Prozent Produktionswachstum erwartet. 21.000 zusätzliche Arbeitsplätze bringen die Zahl der Beschäftigten auf 830.000 – so viel wie seit 14 Jahren nicht mehr. Größte Sorge: der Brexit. Die neuen Handelsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien müssen so eng wie möglich bleiben, fordert Bayerns Exportwirtschaft.

Über gute Nachrichten freut man sich in diesen Tagen und Wochen ganz besonders. Erst recht wenn sie von der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie (M+E) kommen, einem der wichtigsten Industriezweige des Freistaats: Bayerns M+E Unternehmen geht es nicht nur gut, sie schauen auch mit positiven Geschäftserwartungen optimistisch in die Zukunft. Das ist das Ergebnis der regelmäßigen Sommer-Konjunkturumfrage des Bayerischen Unternehmensverbandes Metall und Elektro (bayme) wie des Verbandes der Bayerischen Metall- und Elektro-Industrie (vbm), das Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer beider Verbände in München präsentierte.

21.000 zusätzliche Arbeitsplätze

Schönstes Resultat der erfreulichen Situation: eine phantastische Beschäftigungslage. Derzeit beschäftigen Bayerns M+E Unternehmen etwa 818.000 Angestellte, 9000 mehr als zu Beginn des Jahres. Und so geht es hoffentlich weiter: 44 Prozent der befragten Betriebe wollen im Inland in den kommenden Monaten zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Bis zum Jahresende prognostizieren die beiden Verbände darum ein weiteres Plus von 12.000 Arbeitsplätzen – also einen Zuwachs von 21.000 für das ganze Jahr 2016. Das wird bis Dezember die Gesamtzahl der Beschäftigten auf 830.000 steigen lassen – „soviel wie zuletzt vor 14 Jahren“, erläutert Brossardt: „Noch vor ein paar Jahren hätten wir das nicht zu hoffen gewagt.“

Die Fachkräfteproblematik gewinnt im Inland wieder an Bedeutung.

Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft

Die Beschäftigungslage ist so gut, dass es mancherorts schon an Bewerbern mangelt: Gut 60 Prozent der bayerischen M+E Unternehmen sehen ihre Produktion beziehungsweise Geschäftstätigkeit durch fehlende Arbeitskräfte geringfügig oder gar sehr beeinträchtigt. Brossardt: „Die Fachkräfteproblematik gewinnt im Inland wieder an Bedeutung.“ Der größte Teil der offenen Stellen entfällt nach wie vor auf Ingenieure. Die größten Probleme bei der Stellenbesetzung gibt es inzwischen allerdings im Bereich Informations-Technologien (IT), bei Informatikern und IT-Facharbeitern. Brossardt: „Die technologische Herausforderung der Digitalisierung ist heute gleichzeitig eine neue Fachkräfteherausforderung.“

Sonderfaktoren sorgen für Konjunktur

Insgesamt erwarten Bayerns M+E Unternehmen für den Jahresdurchschnitt 2016 ein Produktionswachstum von drei Prozent gegenüber dem Vorjahr. Fast jedes zweite Unternehmen hofft auf eine Umsatzrendite von vier Prozent und mehr. Gut 31 Prozent der Firmen wollen ihre Produktion in der zweiten Jahreshälfte ausweiten. Besonders positiv fällt das Urteil über die aktuelle Lage in der Automobil- und Zulieferinsdustrie aus, große Zufriedenheit herrscht im IT-Sektor.

Gut 31 Prozent der Firmen wollen ihre Produktion in der zweiten Jahreshälfte ausweiten.

„Die aktuelle Lage ist gut“, fasst Brossardt zusammen. Der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) weist darauf hin, dass diese konjunkturelle Lage von Sonderfaktoren wie dem schwachen Euro, schwachen Zinsen und anhaltend niedrigen Rohstoffpreisen begünstigt wird. Brossardt: „Wie lange wir von diesen Sonderfaktoren profitieren, wissen wir nicht.“ Etwa der Ölpreis hat denn auch schon wieder angezogen, liegt aber noch weit unter dem Höchststand von 2013.

Sorgen im Auslandsgeschäft

Interessant: Besonders positiv schätzen die Unternehmen die Geschäftslage und die Geschäftserwartungen im Inland ein. Das Auslandsgeschäft hingegen wird von den M+E Unternehmen jetzt weniger vielversprechend eingeschätzt als in der zurückliegenden Umfrage vor einem halben Jahr. Was man noch nicht überbewerten muss: 36 Prozent der Unternehmen wollen ihre Auslandsproduktion ausweiten, ein gutes Drittel will die Investitionen im Ausland hochfahren.

Zwei Prozent aller bayerischen M+E Exporte gingen 2015 in die Türkei.

Die Skepsis beim Exportgeschäft geht auf anhaltende internationale Unsicherheiten zurück: der anhaltende Konflikt mit Russland über die Annexion der Krim und Moskaus aggressives Vorgehen in der Ostukraine, der Bürgerkrieg in Syrien und der islamistische Terror. Dazu kommen jetzt die neuen politischen Wirren in der Türkei. Im vergangenen Jahr exportierte die bayerische M+E Industrie Waren im Wert von 2,5 Milliarden Euro in die Türkei, also etwa zwei Prozent aller bayerischen M+E Exporte. Auf der Rangliste der Empfänger von bayerischen Ausfuhren ist die Türkei ähnlich plaziert wie Russland – hinter den Plätzen 14 und 15, die Japan und Südkorea einnehmen. Das klingt nicht bedeutend. Allerdings sind die bayerischen M+E Exporte in die Türkei in den vergangenen fünf Jahren doppelt so schnell gestiegen wie die M+E Exporte insgesamt. Für Firmen, die sich auf den türkischen Markt konzentriert haben, könnten Probleme entstehen, wenn es dort zu starken Einbußen käme.

Größte Unsicherheit: Brexit

Unendlich viel wichtiger als die Türkei – oder auch als Russland oder beide zusammen – ist für Bayerns Exportwirtschaft natürlich Großbritannien und damit das Thema Brexit. Das Vereinigte Königreich war im Jahr 2015 Bayerns zweitgrößter Exportmarkt nach den USA. Für die bayerische M+E Industrie war es mit Ausfuhren im Wert von 12,1 Milliarden Euro der drittgrößte Exportmarkt. Noch größer ist die Bedeutung des britischen Marktes für die Automobilindustrie: Jeder fünfte in Deutschland – und in Bayern – gebaute Pkw wird in Großbritannien zugelassen (The Economist).

Aus unserer Sicht ist klar: Der Austausch von Waren und Dienstleistungen und der Kapitaltransfer mit dem Vereinigten Königreich dürfen nicht erschwert werden, es dürfen keine neuen Hürden aufgebaut werden.

Bertram Brossardt

Kein Wunder, dass der Brexit und Unklarheit darüber, wie Großbritanniens Beziehungen zur Europäischen Union und zum Binnenmarkt künftig aussehen werden, Bayerns Exportindustrie belastet. „Wichtig ist, dass jetzt möglichst schnell Klarheit darüber herrscht, wie es weitergeht“, betont denn auch Brossardt. Wenn Verhandlungen aufgenommen würden, müssten diese transparent gestaltet werden, und es müsse frühzeitig geklärt werden, zu welchem konkreten Ziel sie führen sollen. Die beiden M+E Industrieverbände in Bayern haben darüber schon Vorstellungen: Aus ihrer Sicht darf der Austausch von Waren und Dienstleistungen sowie der Kapitaltransfer mit dem Vereinigten Königreich nicht erschwert werden und es dürfen keine neuen Hürden aufgebaut werden. Brossardt: „Je enger die Beziehungen des Vereinigten Königreichs zur EU künftig sein werden, desto geringer fallen die negativen Folgen aus.“ Vorstellungen von einer Norwegen-Lösung für Großbritannien hält der vbw-Hauptgeschäftsführer für unrealistisch: Denn dann müsste Großbritannien für die Teilnahme am Binnenmarkt zahlen, dürfte aber nicht mitreden. Brossardt: „Der künftige Status muss im Hinblick auf Rechte und Pflichten ausgewogen sein.“