Die deutsche Wirtschaft bewegt sich derzeit in ruhigem Fahrwasser. Die Experten mahnen für die Zukunft von der Wirtschaftspolitik aber mehr Nachhaltigkeit an. Bild: Imago/Future Image
Gemeinschaftsdiagnose

Aufschwung nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen

Dem Patienten geht es gut, doch er sollte auf Unfälle gefasst sein, auf seine Gesundheit achten und sich nachhaltig ernähren: In etwa so liest sich die heute von Deutschlands führenden Wirtschaftsforschungsinstituten herausgegebene „Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2016“, die der Bundesrepublik einen moderaten Wirtschafts-Aufschwung prophezeit.

Beteiligt sind an der Prognose neben dem Münchner ifo-Institut das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle und das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung. Sie alle sehen die deutsche Wirtschaft derzeit im Aufschwung und rechnen in diesem Jahr mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 1,6 Prozent sowie 1,5 Prozent im kommenden. Getragen wird die Belebung demnach auch in naher Zukunft vom privaten Konsum, „der vom anhaltenden Beschäftigungsaufbau, den spürbaren Steigerungen der Lohn- und Transfereinkommen und den Kaufkraftgewinnen infolge der gesunkenen Energiepreise profitiert“, erklären die führenden deutschen Wirtschaftsforscher. Befeuert wird der Aufschwung demnach auch von der „expansiv ausgerichteten Finanzpolitik“, die bekanntlich viel Geld in die Bewältigung der Flüchtlingsmigration steckt. Auch am Bau wird kräftig in neuen Wohnraum investiert, die Unternehmen halten ihr Geld dagegen zusammen.

Abgekühlte Weltwirtschaft bringt mauen Jahresbeginn

Das Jahr hatte bekanntlich nicht sehr erfreulich begonnen: Im Januar wurde deutlich, dass sich die Weltwirtschaft merklich abgekühlt hatte, erinnern die Experten auch an die mit den schlechten Nachrichten verbundenen „erheblichen Bewertungsverluste auf den Aktienmärkten“. Die Sorge eines schwächelnden Chinas und des raschen Strukturwandels im Reich der Mitte tat ihr Übriges: Der „Schrumpfungsprozess“ berge erhebliche Konjunkturrisiken und gehe mit einer abnehmenden Bedeutung des Außenhandels für China sowie einer schwächeren Nachfrage nach Rohstoffen einher, heißt es.

Auch Chinas Schrumpfkurs lässt Ölpreis in den Keller purzeln

So ließen Chinas geringere Nachfrage nach Rohstoffen im Zusammenspiel mit der Ausweitung von Fördermengen den Ölpreis in Keller purzeln. Laut Frühjahrsdiagnose stützte das zugleich aber auch die Konjunktur „in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften“, indem der Preisrückgang die Realeinkommen erhöht und die Produktionskosten gesenkt habe.

Handel rund um den Globus legt weiter zu

Insgesamt mehren sich nach Ansicht der Institute nun die Anzeichen, „dass sich die internationale Konjunktur im ersten Halbjahr 2016 nicht weiter abschwächt“. Es wird damit gerechnet, dass die Weltproduktion „in etwa mit dem mäßigen Tempo des Vorjahres expandiert“. So wird für heuer ein weltweiter Produktions-Zuwachs von 2,4 und für 2017 von 2,8 Prozent gerechnet. Auch der Handel rund um den Globus wird demnach weiter zulegen: 2016 um 2,9 Prozent und 2017 um 3,4 Prozent.

Erhebliche politische Risiken in Europa

Die Wirtschaftsforscher warnen aber auch vor möglichen Rückschlägen: Für die europäische Wirtschaft sehen sie vor allem „erhebliche politische Risiken“: Seit Jahren hätten „Kräfte an Einfluss gewonnen, die für eine Rückabwicklung der in der Europäischen Union erreichten politischen und wirtschaftlichen Integration eintreten“, heißt es. So bestehe die Möglichkeit, dass sich Großbritannien im Juni für einen Austritt aus der Europäischen Union entscheide. Es sei allerdings schwer abzuschätzen, welche Folgen dies für die Handels- und Finanzflüsse innerhalb der EU habe, räumen die Experten ein.

Auch Produktion in Deutschland steigt wieder an

Die deutsche Wirtschaft sehen die Ökonomen derzeit wieder im Aufwind: Nachdem der gesamtwirtschaftliche Produktionsanstieg in der zweiten Jahreshälfte 2015 an Schwung verloren habe, dürfte er sich zum Jahresbeginn deutlich beschleunigt haben, meinen sie insbesondere mit Blick auf den Anstieg der Produktion im Produzierenden Gewerbe und die Zunahme der Erwerbstätigen im Januar und Februar. Das Expansionstempo dürfte sich demnach im weiteren Jahresverlauf jedoch wieder leicht verringern, dies lasse unter anderem das ifo Geschäftsklima erwarten, das sich im ersten Quartal etwas eingetrübt habe, wenngleich es im historischen Vergleich nach wie vor günstig sei, heißt es.

Arbeitslosigkeit steigt trotz Beschäftigungsaufbaus

Der Arbeitsmarkt wird in Deutschland weiter auf Hochtouren laufen. Die Zahl der Erwerbstätigen wächst nach Meinung der Institute heuer im Durchschnitt um 500.000 Personen, 2017 rechnen sie mit weiteren 390.000. Wie schon in den vergangenen Jahren gleiche dabei die Migration den demografisch bedingten Rückgang der Erwerbstätigen „mehr als aus“. Zunehmend werde sich darüber hinaus bemerkbar machen, dass nach Deutschland geflüchtete Menschen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen: „Daher wird die Arbeitslosigkeit trotz des Beschäftigungsaufbaus im Verlauf des Prognosezeitraums leicht steigen“, sagen die Wirtschaftsforscher. Für das laufende Jahr rechnen sie noch mit einer stabilen Arbeitslosenquote von 6,2 Prozent, 2017 wird sie auf 6,4 Prozent zulegen.

Exportanstieg in zweiter Jahreshälfte erwartet

Die deutschen Unternehmen bleiben indes skeptisch. So wird trotz historisch niedriger Zinsen nur eine geringe Zunahme von Investitionen in den gewerblichen Bau und in Ausrüstungen erwartet; „auch weil sich die Unternehmenserwartungen eingetrübt haben“, heißt es. Die Skepsis war nach Meinung der Forscher vor allem den Nachrichten über die weltwirtschaftliche Abkühlung geschuldet, die sich zu Jahresbeginn gehäuft hatten. Inzwischen würden sich allerdings die Anzeichen mehren, dass sich die globale Konjunktur im ersten Halbjahr 2016 nicht mehr weiter abschwäche, „im weiteren Prognosezeitraum dürfte sich die Weltwirtschaft wieder etwas beleben, wenn auch nur in mäßigem Tempo“. Dementsprechend erwarten die Institute in der zweiten Jahreshälfte auch ein Anziehen der deutschen Exporte.

Geringe Inflation in diesem Jahr, 2017 wird sie steigen

Die Preise bleiben 2016 voraussichtlich relativ stabil. Sie werden nach Ansicht der Experten über das Jahr lediglich um 0,5 Prozent steigen, rechnet man die günstigen Energiepreise heraus, läge die Teuerung bi 1,2 Prozent. Weil das Öl kaum noch günstiger werden dürfte, erwarten die Ökonomen für das kommende Jahr in Deutschland eine Inflation von 1,5 Prozent.

Die Wirtschaftspolitik setzte ihre Prioritäten bislang eher bei konsumtiven und verteilungspolitischen Ausgaben als bei wachstumsorientierten Maßnahmen. Eine Fortführung der wenig wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre wäre nicht nachhaltig

Aus der Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2016

In den öffentlichen Haushalten werden die Kassen auch in naher Zukunft weiterklingen. Das vor allem wegen merklich steigender Einnahmen aus der Einkommensteuer, den Steuern von Umsatz und den Sozialbeiträgen sowie sinkender Zinsausgaben, so die Forscher. Trotz im Zusammenhang mit der Flüchtlingsmigration „leicht expansiv ausgerichteten Finanzpolitik“ erwarten sie für dieses Jahr einen Budgetüberschuss von elf Milliarden Euro und zehn Milliarden Euro im kommenden. Die Ökonomen bedauern allerdings, dass die Wirtschaftspolitik „ihre Prioritäten bislang eher bei konsumtiven und verteilungspolitischen Ausgaben als bei wachstumsorientierten Maßnahmen“ setze und warnen: „Eine Fortführung der wenig wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre wäre nicht nachhaltig.“