Seit 40 Jahren am Mittleren Ring, seit 100 Jahren an den Märkten: BMW wird 100. (Bild: BMW/fkn)
100 Jahre BMW

Eine Weltmarke wird 100

Gastbeitrag Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Von der Dorfschmiede in Milbertshofen im Norden Münchens zum Weltkonzern. Wie konnte sich BMW an die Spitze des Weltmarkts für Premiumautomobile setzen? Was sind die Geheimnisse des Erfolgs? Der langjährige BMW-Chefvolkswirt Helmut Becker zeichnet 100 Jahre Unternehmensgeschichte nach.

Mythen beruhen in der Regel auf kollektiven Erinnerungen an Dinge, die es gab und manchmal immer noch gibt: auf einem Gemisch aus Erzählungen, Darstellungen im Film und in anderen Medien, Überlieferungen und/oder gemeinschaftlichen Erlebnissen, an die man sich verklärend erinnert. Die Bayerischen Motorenwerke AG aus München, kurz BMW AG, ist das beste Beispiel für einen solchen Mythos, der sich über ein Jahrhundert aufgebaut hat und bis in die Gegenwart lebendig geblieben ist.

Und dies, obwohl es Jahrzehnten nach dem Krieg durchaus zu herben Niederlagen und strategischen Fehlentscheidungen des Vorstands gekommen ist. So im Jahre 1959, als BMW vor dem Konkurs stand und der eigene Vorstand das Unternehmen an die Daimler Benz AG  übergeben“ wollte. Quandt sei Dank ist es anders gekommen. Oder die Übernahme 1994 der britischen Rover Group mit ihren Automarken Rover, MG, Mini und Land Rover, die neun Milliarden D-Mark Verlust bescherte. Indessen: Dem Mythos von BMW hat all das nicht geschadet, im Gegenteil. Der Mythos des Unbesiegbaren wurde eher noch verstärkt!

Wechselvolle Unternehmensgeschichte

Ein Blick auf die BMW-Unternehmensgeschichte der letzten 100 Jahre und vor allem auf die Menschen, die diese Geschichte geschrieben haben, belegt das. Wechselvoller kann eine deutsche Industriegeschichte nicht sein, immer mäandernd zwischen Konkurs und Exitus sowie einmaligen technischen Höchstleistungen und unternehmerischen Erfolgen:

  1. Angefangen hat alles im Flugzeugmotorenbereich mit Höhenweltrekorden und einem Produktionsverbot nach dem Ersten Weltkrieg. Danach kam der Neubeginn 1923 mit der Entwicklung  einer neuen Produktionslinie: Motorräder. Die legendäre R 32 wurde in nur fünf Wochen entwickelt, das Grundprinzip dieses Motorrads, Boxermotor und Kardanantrieb im Doppelrohrrahmen, blieb bis heute erhalten.
  2. 1928 übernahm BMW die Fahrzeugfabrik Eisenach, die den Kleinwagen Dixi in Lizenz von Rover herstellte. Ab diesem Zeitpunkt avancierte BMW zum Automobilhersteller.

  3. Danach ging es Schlag auf Schlag: Die erste Neukonstruktion unter der BMW-Ägide war der 1933 vorgestellte 303 mit einem 1,2-Liter- 6-Zylinder-Motor. Zahlreiche Motorsporterfolge im Motorradbereich und vor allem mit Sportwagenlegenden BMW 303 (1933), BMW 326 (1935), 327 (1937) und dem 1936 vorgestellten Sport- Roadster 328 folgten. Besonders der 328 überzeugte nicht nur durch seine Konstruktion, sondern auch durch zahlreiche Erfolge bei Sportwagenrennen, unter anderem der Mille Miglia 1940. Dieses Modell begründete den Mythos von BMW als Hersteller sportlicher Sieger-Automobile, der bis heute anhält, obwohl damals nur wenige Hundert BMW-Automobile gebaut werden konnten. Die Triebwerksproduktion, der legendäre Sternmotor, stand in Kriegszeiten im Mittelpunkt.

  4. 1945 war das Münchner Stammwerk fast völlig zerstört und die Fahrzeugfabrik in Eisenach von der sowjetischen Besatzungsmacht übernommen worden.Zunächst hielt sich das Unternehmen mit der Fabrikation von Motorrädern, Kochtöpfen und Fahrzeugbremsen über Wasser. 1948 brachte BMW mit der R 24 sein erstes neues Motorrad nach dem Krieg auf den Markt, 1952 gefolgt vom BMW 501, einem exklusiven Oberklassewagen mit Sechszylinder-Motor. Der ab 1954 auch mit V8-Motor als BMW 502 erhältliche Pkw erhielt ob seiner geschwungenen Karosserieform bald den Spitznamen „Barockengel“. Die Produktion des Typs war so aufwendig, dass BMW bei jedem verkauften Exemplar circa 4.000 DM Verlust einfuhr. Auch der 1955 in Produktion genommene Kleinstwagen Isetta konnte die sich schnell verschärfende Finanzkrise nicht abwenden. Ende 1959 drohte dann der Bankrott und die Übernahme durch den damaligen Automobilgiganten Daimler Benz AG. – In einer spektakulären Aktion wussten Betriebsrat und Kleinaktionäre dies zu verhindern.

  5. Die abermalige Rettung kam 1961. Es erfolgte einmal mehr ein Neustart, diesmal mit der Übernahme von BMW durch den mutigen Investor Herbert Quandt, während zur gleichen Zeit Wettbewerber Borgward Konkurs anmelden musste. Von nun an ging es wieder bergauf. 1961 stellte das Unternehmen den völlig neu entwickelten BMW 1500 der „Neuen Klasse“ vor. Der Wiederaufstieg von BMW kam mit dem 1966 vorgestellten zweitürigen „Null-Zwei“ endgültig in Fahrt. Sportlichkeit war Trumpf, von Nobelklasse (noch) keine Spur.

  6. Die entscheidende Weichenstellung nahm Herbert Quandt 1970 mit der Bestellung des Preußen-Junkers Dipl. Ing. Eberhard von Kuenheim zum Chef von BMW und damals zum jüngsten CEO in Deutschland vor. Als Nobody wollte von Kuenheim den Automobil-Emporkömmling aus München wie David gegen den vornehmen und voll etablierten Goliath aus Stuttgart an die Spitze führen, nach dem Motto von Hermann Hesse: „Man muss immer wieder das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen!“ Und von Kuenheim verfolgte dieses Ziel über 40 Jahre lang, mit ihm begann das Goldene Zeitalter von BMW. Seine Vision war, BMW image- und produktmäßig in die Premiumklasse von Daimler, und absatzmäßig aus Deutschland heraus mit eigenen Niederlassungen in den Weltmarkt zu führen. Neben zahlreichen technischen Innovationen wie der Einführung der Scheibenbremsen, später des ABS, des Bordcomputers und der Abgasreinigung durch Katalysatoren erweiterte von Kuenheim Schritt für Schritt die Produktpalette. BMW wurde auch hier in vielen Segmenten Vorreiter für neue Automobilklassen. Die Übernahme der „Glas“-Autofabrik („Goggomobil“) Ende der 60er-Jahre in Dingolfing war auch die Geburtsstunde der 5er-Baureihe (1973). Vor allem der 5er Touring wurde zum großen Erfolg. Ende der 70er begann der Einstieg in die Oberklasse mit dem völlig neu entwickelten 7er. In den 80ern brachte BMW das erste 3er-Cabriolet der Nachkriegszeit auf den Markt, dem später weitere Produktableitungen, z.B. das 6er- Cabriolet, folgten. BMW erkannte als erster Hersteller den kommenden Boom auf dem Sektor der Offroad-Fahrzeuge und entwickelte mit dem X5 als Urvater einer ganz neuen Baureihe die spezifisch europäische Variante der SUVs: ein Fahrzeugtyp mit überragendem Markterfolg. Erneut war BMW Vorreiter – und bleibt es mit neuen Fahrzeugvarianten wie GT und ActivTourer bis in die Gegenwart. Ähnlich innovativ wie bei den Produkten stellte von Kuenheim die Weichen im Vertrieb. Als erster deutscher Autohersteller ersetzte BMW Importeure im Ausland durch eigene Vertriebsniederlassungen: zunächst sukzessive in allen wichtigen europäischen Märkten, dann in den USA und schließlich als Einziger in Japan – damals die Höhle des Löwen.

Fast 2,5 Millionen produzierte Autos pro Jahr

Produzierte BMW bei Dienstantritt von Kuenheims 1970 ganze 161.165 Automobile, waren es 1990 519.650, im Jahre 2010 bereits 1.48.253; diese Zahl stieg bis 2015 auf 2.279.367 Einheiten. Der Anteil Deutschlands am Gesamtabsatz fiel von 58 Prozent (1970) auf 11 Prozent (2015), jener der USA stieg von 6 auf 18 Prozent, der von China von null (1990) mit Turboladung auf inzwischen 30 Prozent. Von Kuenheim hat also seine Vision wahrgemacht: BMW mit Geduld und Ausdauer, mit Fleiß und Mut und großer persönlicher Disziplin imagemäßig und quantitativ an die Weltspitze der Premiumautomobile zu führen.

Und stets folgte der Preuße von Kuenheim dem genialen preußischen Militärstrategen v. Clausewitz: „Die Strategie ist eine Ökonomie der Kräfte.“ – Anders wäre diese Parforcejagd an die Weltspitze kapitalmäßig auch nicht zu schaffen gewesen. Und wie geht es weiter? Als Unternehmen wird BMW seiner Unternehmenskultur und seiner ethischen  Grundstruktur treu bleiben: No tricks, solide, saubere Arbeit. Wo BMW draufsteht, ist auch BMW drin! Und als Hersteller von Premiumautomobilen wird die Angebotspalette kontinuierlich, wie mit der i-Reihe begonnen, systematisch in Richtung Hybridisierung und alternative Antriebe weiterentwickelt. Wie digital vernetztes Fahren der Zukunft aussehen könnte, zeigt BMW mit dem neuen Cockpit „i Vision Future Interaction“ – einem Panorama-Display, das nicht nur Tempo, Reichweite oder Verbrauch anzeigt, sondern auch Informationen zu vorausfahrenden oder  entgegenkommenden Fahrzeugen, die noch nicht im Blickfeld des Fahrers sind. Neue Kapazitäten und Werke werden hinzukommen – dem legendären Imperativ von Eberhard von Kuenheim folgend, formuliert im Aufsichtsrat Ende der 70er während einer der damaligen Automobilabsatzkrisen: „Es mag zwar zu viele Automobile auf der Welt geben, aber noch zu wenige BMWs“! Daran glaubt das Unternehmen noch heute.