CSK-Gesprächskreis: Dieses Mal mit dem Thema „Wie viel Islam verträgt unser Grundgesetz?“ und Gast Prof. Udo Di Fabio. (Foto: BK/dia)
CSK-Gesprächskreis

„Das Grundgesetz ist religionsfreundlich“

Der Islam und Deutschland – diesem Verhältnis näherte sich der Gesprächskreis der ChristSozialen Katholiken (CSK) der CSU bei seinem jüngsten Treffen aus verfassungsrechtlicher Sicht an. Eingeladen war dazu der ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts und jetzige Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn, Udo Di Fabio.

„Wie viel Islam verträgt unser Grundgesetz?“ Auf jene dieses Mal vom CSK-Gesprächskreis gestellte Frage konterte Gastreferent Professor Udo Di Fabio gleich, dass er selbst diese Frage so nie formuliert hätte: „Das ist eine provokative Frage. Aber wenn man ein Thema durchdringen will, muss man auch mal provokativ fragen“, nahm Di Fabio dann doch die Frage zum Ausgangspunkt für seinen knapp einstündigen lebhaften Fachvortrag. Dabei stellte er gleich von vorneherein klar: „Unser Grundgesetz ist eine Verfassung, in der Religionsgemeinschaften willkommen sind.“ Glaubensfreiheit sei eine Verbürgung, die mittlerweile 500 Jahre alt sei. Und mit der Glaubensfreiheit habe auch das neuzeitliche verfassungsstaatliche Denken begonnen, so Di Fabio.

„Wohlwollende Neutralität“ ist im Grundgesetz verankert

Insofern habe das Verwaltungsgericht Berlin, zitierte Di Fabio einen bekannten Fall aus der Vergangenheit, gemäß der Verfassung entschieden, als es einem muslimischen Schüler das Beten an der Schule erlaubte. Denn die Schule des Schülers, erklärte Di Fabio das Urteil, sei eine Pflichtschule und als solche eine öffentliche Einrichtung gewesen. Und im öffentlichen Raum gelte laut Grundgesetz nun einmal der institutionelle Schutz zur Entfaltung der Persönlichkeit, zu der auch die Ausübung der eigenen Religion gehöre, erklärte Di Fabio weiter und fügte hinzu, indem er noch tiefer in das Grundgesetz eintauchte: „Das Leitbild des Grundgesetzes ist, dass der Mensch bindungsfähig ist. All das sozialisiert den Menschen vor dem Staat.“

Das Grundgesetz sei deshalb religionsfreundlich, betonte der ehemalige Bundesverfassungsrichter, auch im Hinblick auf den Islam. Denn mit dem Gottesbezug des Grundgesetzes sei jeder Mensch gemeint. „Und deshalb kann man einen Menschen, der zum Beispiel aus dem Islam kommt, nur begrüßen“, so Di Fabio. In öffentlichen Einrichtungen, wie eben einer Pflichtschule, dürfe daher das religiöse Bekenntnis erlaubt sein – „im Gegensatz zu Frankreich, das ein laizistischer Staat“ ist. Anders als ihr Nachbarland habe sich die alte Bundesrepublik Deutschland 1948 für das „Verständnis der ‚wohlwollenden Neutralität‘ entschieden“.

Es gibt aber auch Grenzen der „wohlwollenden Neutralität“

Diese „wohlwollende Neutralität“ ende aber dort, wo die Grundrechte angegriffen würden, führte der Rechtswissenschaftler weiter aus. „Es geht also tatsächlich darum, aufmerksam zu sein, wenn sich in unseren kulturellen Tiefen etwas zu verschieben droht“, gab Di Fabio zu bedenken und gab insofern auch dem Urteil des Oberlandesgerichts Berlin recht, das in dem Fall des muslimischen Schülers anders als das Verfassungsgericht geurteilt hatte. Im Gegensatz zum Verfassungs- hatte das Oberlandesgericht dem Schüler das Beten an der Schule verboten, da die vielen, heterogenen Glaubensgemeinschaften für die Schule ein großes Konfliktpotential dargestellt hätten: „Vorrangig ist die Sicherung des Schulfriedens.“ Und, so Di Fabio: „Natürlich hört die ‚wohlwollende Neutralität‘ auf, wenn es zu Störungen der öffentlichen Ordnung kommt.“

Wir müssen uns auf einen stärkeren Konflikt in unserer Gesellschaft einstellen

Udo Di Fabio, ehemaliger Verfassungsrichter

Allgemein, so meinte der überzeugte und gläubige Christ Di Fabio, „müssen wir uns auf einen stärkeren Konflikt in unserer Gesellschaft einstellen“. „Es kommt bei uns zu einer Fraktionierung in der Gesellschaft, auch durch Säkularisierung. Der Mainstream bei uns neigt zu Säkularisierung“, gab Di Fabio – auch persönlich darüber beunruhigt – zu bedenken. Gleichzeitig gibt es derzeit laut Di Fabio aber auch wiederum eine religiöse Erneuerung im Christentum. Somit gebe es momentan einerseits die Suche des Menschen nach Transzendenz und andererseits eine säkulare Bewegung als eigene Weltanschauung. „Das Grundgesetz hat also eine schwierige Positionsbestimmung“, schloss Di Fabio seinen Vortrag.

„Wie viel Grundgesetz verträgt der Islam?“

Mit der umgedrehten Frage „Wie viel Grundgesetz verträgt der Islam?“ eines der vielen Anwesenden im vollbesetzten Konferenzsaal im Maximilianeum begann anschließend eine lebhafte Publikumsdiskussion. „Ist der Islam verfassungsgemäß?“ hießen immer wieder die Fragen aus dem Publikum. „Religionen müssen nicht verfassungsgemäß sein“, lautete die Antwort Di Fabios darauf. Als Erklärung schickte er hinterher: „Die Verfassung urteilt nicht über die Religion, sondern über den Menschen.“ Wenn daher das Tragen eines Kopftuches mit zum religiösen Bekenntnis einer Frau gehöre, sei es schwierig, dieses zu verbieten, antwortete Di Fabio auf eine weitere Frage aus dem Publikum.

Dennoch halte er die Worte des ehemaligen Bundespräsidenten Wulff und der Kanzlerin, dass der Islam zu Deutschland gehöre, für falsch gewählt, weil damit auch die radikalen Strömungen des Islam automatisch impliziert seien. Gleichwohl halte er die Motive der Aussage für richtig: nämlich dass beispielsweise durch das Schaffen von Islam-Lehrstühlen der Islam-Unterricht aus dem Hinterhof und damit der wenig gegebenen Kontrollfähigkeit geholt werde. „Aber als Bundespräsident und Kanzler muss man trotzdem vorsichtig mit den Worten sein. Man muss sich differenziert ausdrücken.“

Offene Diskussionskultur ist das Gebot der Stunde

Und eines war Di Fabio auch ein großes Anliegen – auch vor dem Hintergrund der Zuschauerfragen, die er nach eigenem Bekunden in Diskussionsrunden immer mit der vorherrschenden Meinung erlebe, „unser Grundgesetz könnte uns den Islam vom Hals halten“. „So ist es nicht.“ Vielmehr gelte: „Wenn man pragmatisch über Einwanderung nachdenkt, dann muss es sein, dass auch wir uns verändern. Unsere Gesellschaft hat mittlerweile religionsfeindliche Züge“, stellte Di Fabio der bornierten Aufklärung die reflektierte Aufklärung gegenüber und betonte in diesem Zusammenhang auch: „Wir sollten uns hüten, nur über den Islam zu reden; wir sollten einmal über uns reden.“

Überhaupt sei eine offene Diskussionskultur die beste Lösung, beide Religionsgemeinschaften einander anzunähern. „Wir sollten sie in eine offene Diskussion reinziehen“, mahnte Di Fabio im Hinblick auf den Teil der Moslems in Deutschland, der sich bewusst ab- und ausgrenzt. In dieser Forderung stimmten auch die Zuhörer überein und plädierten ergänzend für ein menschliches, im Kleinen und „vor Ort“ praktiziertes Aufeinanderzugehen von Deutschen und andersgläubigen Einwanderern. Es könne nicht sein, dass in einem Ort die Einwohner die Einwanderer oder Flüchtlinge weitgehend ignorierten, anstatt von sich aus offen auf ihre neuen Mitbewohner zuzugehen, schilderte eine junge Frau ihre Eindrücke aus ihrer Heimatgemeinde. Dafür erhielt sie reichlich Applaus und machte damit den Auftakt für eine weiterhin in der Sache bestimmte, aber menschlich versöhnliche Schlussfragerunde.