Über den Kopf von Ex-Minister Otto Wiesheu: Der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber spricht zum Bezirksparteitag. (Foto: Gregor Dolak)
Parteileben

Dirndl und Digitalisierung

Die CSU Oberbayern feiert ihr 70-jähriges Bestehen: Der Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber erklärt die Erfolgsgeschichte der Partei aus eigenen Kindheitserinnerungen. Und Bezirksvorsitzende Ilse Aigner findet eine neue Losung, welche die männlich geprägte Formel "Laptop und Lederhose" weiterentwickelt.

Der alte Herr sitzt schon auf seinem Platz, als die bekannten Vertreter der CSU aus der Gegenwart und der Vergangenheit erst einer nach dem anderen einlaufen. Otto Stimmer, Jahrgang 1926, war sogar schon da, als die meisten von ihnen noch kleine Kinder oder noch nicht einmal geboren waren. Im Jahr 1946, dem Geburtsjahr der Christlich-Sozialen Union vor 70 Jahren, trat der gläubige Katholik aus Aschau am Inn als Gründungsmitglied in die neue Partei ein. Als einer der ersten im Landkreis Mühldorf. Nun beobachtet er gespannt, wie die Prominenz beim Bezirksparteitag Oberbayern ins Kongresszentrum „Forum“ von Altötting strömt.

Oberbayerns Partei-Prominenz

Die beiden Alt-Minister Gerold Tandler und Hans Zehetmair setzen sich zu Stimmer an den Tisch. Freundliches Nicken. An den Nebentischen gruppieren sich der Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber, Ex-Landtagspräsident Alois Glück, die CSU-Landesgruppenchefin im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, die Bundes- und Landesminister Alexander Dobrindt, Marcel Huber, Ulrike Scharf, die EU-Parlamentarierin Angelika Niebler. Stimmer lächelt freundlich. Und applaudiert, als die Bezirksvorsitzende Ilse Aigner, die bekannten und weniger bekannten Gesichter des Verbands in der Halle begrüßt. Mit einem Blick über Vertreter aller 22 Kreisverbände und aus vielen der mehr als 500 Ortsverbände, über die Landtags- und Bezirkstags-Abgeordneten erklärt die Wirtschaftsministerin: „Die CSU Oberbayern ist das Kraftzentrum der CSU.“

CSU-Urgestein: Bezirksvorsitzende Ilse Aigner mit Partei-Gründungsmitglied Otto Stimmer

CSU-Urgestein: Bezirksvorsitzende Ilse Aigner mit Partei-Gründungsmitglied Otto Stimmer

Als genau dieses Kraftwerk im Herzen der CSU fühlen sich viele Delegierte. Aigner rekurriert in ihrer Rede auf die Historie der Partei, die Gründungsmitglied Stimmer so lebendig erlebt hat: „Die Geschichte der CSU ist eng verbunden mit der Entwicklung des Freistaats Bayern von einem agrarisch geprägten Land zum Hightech-Standort.“ Sie erinnert an die Ende der 1990er-Jahre vom damaligen Bundespräsident Roman Herzog geprägte Formel „Lederhose und Laptop“ – diese würde sie gerne erweitern: auf „Dirndl und Digitalisierung“. Amüsierter Applaus im Saal.

Die CSU ist die größte parteipolitische Erfolgsgeschichte in Deutschland, auch in Europa.

Edmund Stoiber

Nach Aigner spricht Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber zum Jubiläum der oberbayerischen CSU. Natürlich streift er in seiner Rede die Flüchtlingswelle, den Brexit, die Entbürokratisierung der EU. Am lebendigsten aber wird seine Rückblick auf die „Erfolgsgeschichte“ der Partei, wenn Stoiber aus seiner eigenen Kindheit erzählt. Unwillkürlich wechselt er dabei in den milden Dialekt seiner Heimatregion Rosenheim: „1951 stehe ich mit Leiterwagl am Bahnhof in Oberaudorf, um die Koffer der Fremdengäste aus dem damals schon reichen Ruhrgebiet zu den Hotels zu schaffen.“ Herne, Castrop-Rauxel – diese Ortsnamen hört der 10-Jährige zum ersten Mal. „Natürlich ist der Mist damals noch bei uns auf der Straße gelegen. ‚Ein bisschen zurückgeblieben ist das schon hier‘, wunderten sich die Gäste.“ In seiner Kinderseele müssen solche Äußerungen schlimm nachgehallt haben. Der heute 74-jährige Stoiber wiegt den Kopf und ruft: „Und das hab‘ ich mir gemerkt!“

Eine Erinnerung, die den Ehrgeiz gut illustriert, mit dem viele Bayern in der Wirtschaftswunderzeit den Aufbau des Freistaats anpackten. Parallel dazu verlief auch der Aufstieg der CSU. „Sie ist die größte parteipolitische Erfolgsgeschichte in Deutschland, auch in Europa“, behauptet Stoiber, „es gibt keine vergleichbare Partei in keinem der 27 Mitgliedsländer.“ Einer ihrer Vorteile bestehe darin, dass der Ministerpräsident etwa in Koalitionsverhandlungen die Interessen des Freistaats ganz offensiv vertreten könne. Während ein CDU-Ministerpräsident, selbst wenn er Kanzler wird, eher den Ausgleich mit allen anderen Bundesländern suchen müsse. Stoiber erläutert dies anhand einer Anekdote, wie Franz Josef Strauß seinem unions-internen Konkurrenten Ernst Albrecht, der sich über Strauß‘ offensive bayerische Agenda echauffierte, in den 1970er-Jahren empfahl: „Wenn‘S niedersächsische Interessen stärker vertreten woll’n, müss‘n’S halt Ihre eigene Partei gründen.“

Die Flüchtlingswelle birgt eine Chance zur Selbstvergewisserung

Ein Referat von Alois Glück über die künftige Ausrichtung der CSU rundet den Bezirksparteitag zum Schluss hin ab. Der einstige Chef der Grundsatzkommission bezieht sich auf die Arbeit am neuen Grundsatzprogramm unter dem heutigen Kommssions-Vordenker Markus Blume. Glück erklärt die aktuelle Flüchtlingswelle zur Chance: „Integration beginnt mit Selbstvergewisserung. Was meinen wir eigentlich, wenn wir von christlichen Werten sprechen? Es gibt Angst vor Islamisierung, weil wir selbst zutiefst verunsichert sind und uns selbst Prägekraft nicht mehr richtig zutrauen. Wir müssen neu durchbuchstabieren, überhaupt sprachfähig werden, was wir mit dem christlichen Menschenbild meinen.“

In der ersten Reihe sitzt noch immer aufrecht das CSU-Gründungsmitglied Stimmer. Mal neigt er den Kopf, mal nickt er zustimmend. Am Ende klatscht er energisch – über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Partei. Und ein kleines bisschen auch über sich selbst, weil er das alles von Anfang an miterlebt hat.