Gipfelkreuz im Gebiet der Bindalm in Nationalpark Berchtesgaden. (Foto: Picture Alliance)
Glaube

Der Kreuzerlass macht Mut

Gastbeitrag Christen sollten die Debatte um Kreuze in Behörden nutzen, die schleichende Verdrängung des Glaubens zu beenden. Dem Staat gibt die Debatte die Gelegenheit, sich auf seine Werte zu besinnen, schreibt der Ethikprofessor Elmar Nass.

Da haben wir wieder mal das Kreuz mit dem Kreuz. Landauf, landab wurde nach der bayerischen Verordnung zur Kreuzpflicht in Behörden emotional diskutiert, welche Öffentlichkeit denn dieses Symbol bei uns verdient. Dass so lebendig über das Kreuz diskutiert wird, gab es lange nicht. Was in der Diskussion klar sein sollte: In die Kirche gehört das Kreuz. Auch in Form von Weg- und Gipfelkreuzen akzeptieren es die meisten Menschen noch in die Öffentlichkeit. Aber haben Kreuze angesichts der viel beschworenen Trennung von Kirche und Staat in staatlichen Amtsstuben berechtigt ihren festen Platz? Die einen wittern wahlkampftaktische Instrumentalisierung und Sinnentleerung. Die anderen verstehen geäußerte kirchliche Bedenken dagegen als weiteren Beweis fortlaufender Selbstaufgabe christlicher Identität. Wie also sollen sich Christen positionieren? Sollen die Kreuze hin oder weg? Nach dem Inkrafttreten des Kreuzerlasses am 1. Juni ist es nun an der Zeit, das Thema jenseits erster Emotionen in größeren Kontexten zu diskutieren.

Hierzu stelle ich relevante Kontexte vor, die bislang noch zu wenig im Blick sind. Anschließend werden die Argumente zum Für und Wider des Erlasses bewertet, diesseits und jenseits unterstellter Wahlkampfstrategie. Ich ende mit einem Bekenntnis zum öffentlich sichtbaren Kreuz, welches Kirche und Staat gleichermaßen wichtige Hausaufgaben mit auf den Weg gibt.

Zerrbild der Religion

Die öffentliche Diskussion um den Kreuzerlass kann ernsthaft nicht im luftleeren Raum geführt werden. Sie ist eingebettet in eine Reihe von mitschwingenden Ereignissen, kirchliche Rückzugsszenarien und zwei grundsätzlich kreuzkritischen Stimmungen.

1.) Wir müssen eine Kette von Ereignissen berücksichtigen, die die öffentliche Präsenz des Kreuzes in jüngster Vergangenheit immer wieder in Frage stellten. Soll das Kreuz sichtbar sein: etwa bei Bischöfen auf dem Tempelberg, in Gerichten, auf der Kuppel des Berliner Stadtschlosses, in Schulen und jetzt eben in Amtsstuben?

2.) Die Kirchen geben in der Öffentlichkeit seit Jahren ein defensives Bild ab. Skandale, Mitgliederschwund, Kirchenschließungen, mangelnde Orientierungskraft, fehlendes Personal, Hinwendung zu sozialökologischen Denkmustern statt Rede von Gott und oft einseitig politisierte Großevents lassen wenig Raum für den missionarischen Geist Jesu in der Welt. Der Eindruck kann entstehen, Kirche habe sich mit dem voranschreitenden Niedergang des Christentums abgefunden. Stimmte das, würde sie offensive Bekenntnisse zum Kreuz meiden. Eine solche Analyse darf aber nicht zutreffen, weil sie dem Auftrag Jesu widerspräche.

Antireligiöse Kampfideen spalten die Gesellschaft.

Elmar Nass

3.) Kreuzkritische Stimmung wird geschürt etwa durch einen aggressiven Kampf: Laizistische Vereinigungen wie die ‚Giordano-Bruno-Stiftung‘ wollen das Kreuz grundsätzlich aus der Öffentlichkeit verbannen. Es stehe für die Legitimation von Kriegen, Unterdrückung und Missbrauch. Die so genannte ‚Humanistische Union‘, die als gemeinnützig anerkannt ist und (auch in Bayern) öffentlich geförderte Kindergärten u.a. betreibt, verbreitet das Zerrbild eines vermeintlich unüberwindlichen Widerspruchs zwischen Humanismus und Religion. Menschenfreunde könnten nach solcher Pädagogik keine Christen sein. Dabei ist jedem klar, der Geschichte auch nur im Ansatz redlich studiert: Humanismus (Erasmus, Melanchthon u.a.) ist zutiefst religiös und christlich geprägt.

Kreuzzüge gegen das Kreuz

Antireligiöse Kampfideen spalten die Gesellschaft. Das Kreuz soll grundsätzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden. Es dürfe auch nicht auf das wieder errichtete Berliner Stadtschloss. Stattdessen solle es einem die Religion der Wissenschaft symbolisierenden Mikroskop weichen. Das ist bizarr, aber keineswegs zu unterschätzen. Denn so geschürte Kreuzskepsis wächst, wenn Christen und Kirchen der Erosion ihrer Mitglieder, ihrer gesellschaftlichen Durchdringung und nicht zuletzt dem Bewusstsein ihrer Kerninhalte achselzuckend zusehen. Der ‚Bund für Geistesfreiheit‘ fordert einen Platz an dem von Markus Söder einberufenen Runden Tisch, um seine offen kirchenfeindliche Weltanschauung auch dort voran zu bringen.

Auf solchen Kreuzzügen gegen das Kreuz wird freilich verschwiegen, dass etwa im letzten Jahrhundert gerade die areligiösen Ideologien das größte Unheil über die Menschen brachten. Und auch die Vernunftherrschaft nach der Französischen Revolution war alles andere als das verheißene Reich der Freiheit. Warum dagegen die ebenso populären wie banalen Verweise auf mittelalterliche Kreuzzüge oder Renaissancepäpste immer noch Gehör finden, auch das stimmt nachdenklich. Den gottlosen Humanisten der Moderne mehr trauen zu sollen als den christlichen und der Botschaft Jesu, die im Kern jeden irdischen Totalitarismus entlarvt, ist nichts anderes als ein Fake gefährlicher Geschichtsklitterung. Das sollten Christen nicht kommentarlos stehen lassen.

4.) Eine schleichende mediale Verdrängung wirkt ebenso grundsätzlich kreuzkritisch: Länger schon bekannt ist eine laizistische Durchdringung mancher Leitmedien. Doch neben einer solchen offen zutage tretenden einseitigen Meinungsbildung sind auch subtilere Formen zu beobachten: Fernseh-Krimis erfreuen sich großer Beliebtheit. Schon seit längeren fällt auf, dass hierbei als solche erkennbare Christen eher die skurrilen Gestalten aus einer vergangenen Zeit oder am Ende gar die verlogenen Bösewichte sind. Neulich in einem Freitagskrimi reiste ein beliebter Serienheld nach Bayern. Selbstverständlich und kommentarlos nahm er das Kreuz in seinem Gastzimmer von der Wand und ließ es in einer Schublade verschwinden. Diese Szene wiederholte sich später noch einmal. Die subtile Botschaft: Christen und Kreuze sind von gestern. Der Zuschauer soll sich unbewusst zustimmend solcher Veralberung anschließen. Schade, dass es schon so weit ist. Auch das sollten Christen nicht kommentarlos hinnehmen.

In ein solches Umfeld platzte der Kreuzerlass hinein. Eine Folge: Christen werden aus ihrer schlummernden Defensive herausgerissen, mit der sich viele abgefunden hatten. Das Wachwerden aus diesem Schlaf, den bislang andere für ihre Ideologien und Überzeugungen erfolgreich nutzen, ist eine gute Chance, nun das Blatt zu wenden.

Polemik der Kreuzgegner

Zunächst wurden nach dem Weckruf vor allem Bedenken laut: Der Kreuzerlass sei bloß bajuwarische Wahlkampftaktik, spalte die Gesellschaft und banalisiere obendrein den religiösen Gehalt des Symbols. Solche Anfragen sind zweifellos ernst zu nehmen, sind sie doch ein Ausdruck einer wieder wach gewordenen lebendigen Diskussionskultur von Christen über Christliches. Auch weniger sachliche Einwände waren zu hören: Das Ganze sei ein bloßer Wahlkampfgag, um etwa potentielle AfD-Wähler für die CSU zu gewinnen. Anstelle des Kreuzes als Kultursymbol Bayerns hätte man auch einen Bierseidel nehmen können. Zweifellos sind solche Einwände selbst nicht frei von Polemik, die sie anderen vorwerfen.

Wer aus diesen oder jenen Bedenken nun ein klares Nein zum öffentlichen Kreuz ableitet, wird schnell von den bekannten oder verdeckten Kreuzgegnern instrumentalisiert. Bedenklich ist deshalb eine (vielleicht unbewusste und ungewollte) öffentlich zur Schau gestellte Solidarisierung einiger kirchlicher Amtsträger oder Organisationen mit den Laizisten, die die Kreuze schon lange nicht nur aus öffentlichen Gebäuden verbannen wollen. Den Bedenkenträgern kann man mit der Gegenfrage antworten, warum eigentlich selbstverständlich angenommen wird, christliche Politiker, die sich mit dem Kreuz solidarisieren, betrieben reine Strategie. Dem Vorwurf, hier werde unsere Religion instrumentalisiert, ist entgegenzuhalten, dass der Einsatz von Symbolen doch ein legitimes Mittel demokratischer Politik ist.

Das Kreuz steht für innere Freiheit im Dunkel des Lebens und Sterbens und darüber hinaus.

Elmar Nass

Wenn sich beispielsweise die Linkspartei am 1. Mai in Demonstrationen einreiht oder Grüne sich gegen Lebensschützer solidarisieren, wittert keiner die Instrumentalisierung der Arbeiter oder der Genderisten. Man glaubt ihnen einfach, dass das ihrer ehrlichen Überzeugung entspricht. Wenn aber christliche Politiker sich mit dem öffentlichen Kreuz solidarisieren, wird suggeriert, es müsse selbstverständlich reine Parteitaktik sein. Hier wird offenbar mit zweierlei Maß gemessen. Und das könnte erst recht ein parteitaktisches Kalkül sein. Trotzdem ist natürlich zu berücksichtigen, dass dem Ja im Jahr der Landtagswahl eine parteipolitische Note anhaften könnte, die nicht jeder Christ teilen mag. Das ist zu akzeptieren. Aber dann sollten die Kreuzskeptiker ehrlich die Diskussion politisch statt pseudo-theologisch führen.

In der Frage nach dem strategischen Gehalt des Kreuzerlasses steht noch die Frage im Raum, ob die Öffentlichkeit des Kreuzes dadurch nachhaltig gestärkt wird. Denn die Wette gewinnt wohl der, der darauf setzt, dass schon bald die Gerichte darüber befinden, wie der Staat es mit seiner religiösen Neutralität halten solle. Klagen gegen den Erlass und damit die öffentlichen Kreuze werden nicht etwa gläubige Muslime oder Juden, sondern die Laizisten. Ob also diese Pflicht lange rechtswirksam bleibt? Es könnte sogar sein, dass durch entsprechende juristische Urteile das traditionell in Bayern schon lange in vielen öffentlichen Räumen sichtbare Kreuz von dieser Minderheit der Kirchenfeinde in Frage gestellt wird. Dann hingen in Zukunft womöglich weniger Kreuze als jetzt in Schulen, Ämtern und Ministerien. Mit Verweis auf die bayerische Verfassung darf man hoffen, dass die Gerichte einem solchen Ausverkauf unserer Kultur nicht die Schleusen öffnen und also die christliche Mehrheit vor einer Diktatur der Minderheit schützen. Und wenn es doch anders käme, dass dann nicht nur die CSU, sondern auch die Kirchen gemeinsam dagegen Sturm laufen.

Das Kreuz gibt Hoffnung

Christen sollten losgelöst von vermeintlichen oder tatsächlichen Parteistrategien die Öffentlichkeit des Kreuzes diskutieren. Das wäre ein Gewinn für christliche Lebendigkeit in unserer Gesellschaft, mit der Kirchen auch wieder positiv wahrgenommen werden. Diese Forderung setzt für eine konstruktive Diskussion zwei herausfordernde Ausrufezeichen: eins für uns Christen, dass wir die soziale Dynamik des Kreuzes in seiner religiösen Bedeutung wieder deutlich machen; ein weiteres für die freiheitliche Demokratie, dass sie ihre besten Begründungen stets im Blick behält. Das heißt konkret:

Ausrufezeichen 1: Christen sollten sich bewusst machen: Das Kreuz steht dafür, dass Jesus den leiblichen Tod überwunden hat und uns Menschen somit eine Hoffnungsperspektive über das biologische Leben hinaus verspricht. Menschliche Erfüllung oder gar Lebenswürdigkeit ergibt sich nicht allein aus irdischem Erfolg, weltlicher Anerkennung, Gesundheit oder ähnlichem. Diese Sicht hat unmittelbare Konsequenzen für die Antworten auf Fragen nach Glück, Sinn und erst recht für die Begründung einer durch säkulare Ideologien antastbaren Menschenwürde.

Zeichen für innere Freiheit

Mit dem Kreuz und Ostern werden zudem die kleineren irdischen Tode entmachtet. Das heißt: Am Karfreitag wurde Jesus von seinen Freunden verraten, falsche Zeugen zogen gegen ihn auf, sein Richter erklärte ihn für unschuldig, und doch wurde er wider besseres Wissen verurteilt und erniedrigt. Solche Erfahrungen irdischen Todes, die wir in unserem Leben mehr oder minder ähnlich erleben müssen, sind auch kein Grund zur Verzweiflung. Das Kreuz richtet uns Menschen auf in Erfahrungen von erlittenem Verrat, Ungerechtigkeit, Erniedrigung und Verlassenheit. Wer das glaubt, der lebt aus dieser Hoffnung heraus anders in der Welt mit all ihren Intrigen, Falschheiten, Ängsten und Demütigungen.

Das Kreuz steht also für innere Freiheit im Dunkel des Lebens und Sterbens und darüber hinaus. Christen können mit gutem Grund Hoffnung in dieser Welt ausstrahlen, wo andere verzweifeln. Sie treten zugleich ein für den unbedingten Schutz der Würde jedes Menschen, gerade auch der Behinderten, Ungeborenen und Sterbenden. Mit solchen Bekenntnissen zum Kreuz können und sollen Christen wie Oasen in irdischen und gottlosen Wüsten der Welt sein.

Die christliche Idee von Mensch und Gesellschaft beseelt die deutsche wie die bayerische Verfassung.

Elmar Nass

Ausrufezeichen 2: Die wichtigsten Grundwerte unserer freiheitlichen Ordnung brauchen eine gute, überzeugende Begründung. Die christliche Idee von Mensch und Gesellschaft beseelt die deutsche wie die bayerische Verfassung. Das Christentum ist undenkbar ohne das Judentum. Auch der humanistische Islam des Mittelalters hat das christliche Wertedenken Europas positiv geprägt. Die Verfassungsväter hatten aber neben der Aufklärung vor allem das Christentum als sichere Anker unantastbarer Menschenwürde im Kopf. Deren Inhalt ist ohne eine solch gute Begründung als bloße Behauptung schnell der Versuchung wechselnder Populismen und Relativierungen ausgesetzt. Das wusste man gerade 1949 nur zu gut. Und so ist der Blick auf das Kreuz auch immer der Blick auf ein Wertefundament unserer pluralistischen Gesellschaft. Denn es steht für den menschlichen Zusammenhalt aus einem Geist des Miteinanders, auch gegenüber vermeintlich Fremden und Fremdem. Das hat Jesus vorgelebt. Dieses Fundament freiheitlicher Toleranz ist verfassungsrechtlich gerade nicht reduziert auf einen gottlosen Humanismus. Wer das behauptet, entfernt sich vom Geist der Verfassung. Deren Idee von Mensch und Gesellschaft ist auch begründet in der jesuanischen Botschaft, die für uns Christen freiheitlichen Humanismus untrennbar mit dem Bekenntnis zur Transzendenz vereint.

Mehr als eine Privatsache

Der Kreuzerlass hat wachgerufen, über das Kreuz zu streiten. Die bislang schleichend und von vielen unbemerkt voranschreitende Zurückdrängung alles Christlichen wird endlich offengelegt und diskutiert. Das ist gut so, weil so die Positionen auf den Tisch gelegt werden müssen und sich jeder dann selbst seine Meinung bilden kann, wessen Geistes Kind er ist.

Wenn sich dabei kirchliche Stimmen gegen das öffentlich sichtbare Kreuz wenden, ernten sie keineswegs den erhofften Beifall bei anderen Religionen. Im Gegenteil: Gerade gläubige Muslime oder Juden werten dies schnell als weiteren Beweis christlicher Selbstaufgabe. Einem Kirche- und Christsein als defensive Konkursverwaltung ohne missionarischen Mut bringen sie wenig Verständnis entgegen. Es befremdet zudem viele (noch) treue Christgläubige.

Auch deshalb bin ich überzeugt: Religion ist keine bloße Privatsache, und das Kreuz spaltet die freiheitliche Gesellschaft nicht. Es hat sowohl dem säkularen als auch dem religiösen Menschen nicht nur in Bayern Wichtiges zu sagen. Wer darauf schaut, sieht sich gleichermaßen konfrontiert mit einem Werteanker unserer humanistischen Toleranzkultur wie mit Jesus Christus als dem Sohn Gottes. Rund 70 Hochschullehrer um den Augsburger Kirchenhistoriker und Spiritualitätstheologen Wolfgang Vogl haben sich in einer öffentlichen Erklärung dazu bekannt (www.kreuzerlass.de). Gerade Christen sollten sich freuen über jedes Kreuz, das in der Öffentlichkeit zu sehen ist. Denn es steht für eines der wesentlichen Wertefundamente, die unsere Demokratie nicht aus sich selbst hervorbringt. Das mag manchem anstößig bleiben. Christen sollten aber niemals Kreuze abhängen. Dieses neue Selbstbewusstsein macht Christen Mut, christlich-soziale Kultur kirchlicherseits nicht weiter abzuwickeln, sondern sie wieder einladend und gewinnend zu gestalten.

Elmar Nass ist Professor für Wirtschafts- und Sozialethik an der Wilhelm Löhe Hochschule für angewandte Wissenschaften in Fürth und katholischer Priester.