Gratwanderung: Ex-Rennläufer Markus Wasmeier in historischem Skidress und antiken Brettln auf der Zugspitze. (Foto: Hans-Bernhard Huber/Laif)
Autobiografie

Ein Leben auf der Kante

Ex-Skirennläufer Markus Wasmeier pflegt mit seiner Autobiografie "Dahoam" sein Selbstbild als wilder, bunter Hund des Wintersports. Bei aller Liebe zur Tempo-Schussfahrt bewahrt er aber auch das Feingefühl für Heimat und Familie.

Immer Schuss, immer Tempo – so hat es der Wasmeier Markus stets gehalten. Wie er denn das entscheidende Rennen um Olympia-Gold angehen werde, fragte 1994 der Fernsehreporter vor dem Starthäuschen in Lillehammer. Der Wasi grinste breit: „G’scheid o’gasen halt.“ Dass der Mann vom Schliersee ein lustiger Gaudibursch ist und überdies einer der besten bayerischen Skifahrer aller Zeiten, das war uns immer klar. Ein urwüchsiges Bergviech, ein Wintersport-Ass, das die Dinge nicht zu kompliziert betrachtet. Immer Schuss, immer Tempo. Der verb-freie Satz steht exakt so in seiner Autobiografie „Dahoam“, die der zweifache Gold-Olympionike gerade veröffentlicht hat.

Über den Latten- und Lebenskünstler mit dem lausbübischen Humor glaubt die Öffentlichkeit das meiste zu wissen. Seit der Blonde mit der markanten Lücke zwischen den Schneidezähnen jeden Winter als TV-Experte in der ARD Skirennen kommentiert, gerinnt ihm die bajuwarische Hemdsärmeligkeit allerdings ein wenig zur Pose. Denn mit diesem Image vermarktet er sich – da gerät er wie viele Promi-Größen leicht in die Authentizitätsfalle. Er knipst es im Scheinwerferlicht an und später wieder aus. Er verdient damit sein Geld. Das ist keineswegs verwerflich. Aber es beißt sich mit dem öffentlichen Bild vom unverstellten Naturburschen.

Dahoam beim Geistschreiber

Dieses Image kultiviert er passagenweise auch in „Dahoam“. So sind Star-Autobiografien oftmals. Aber Wasmeier hat einen guten Ghostwriter gefunden, der seinen Tonfall klingend verschriftlicht hat. Und er hat dem Geistschreiber aus seiner Kindheit und Jugend schöne Geschichten erzählt, die den Kern seiner heutigen Selbstinszenierung handfest beglaubigen. Gedanken kommen dazu, die auf recht bodenständige Weise reagieren auf die nicht nur nach Schlierseer Maßstäben einigermaßen verrückte Welt.

So berichtet der Wasmeier, 54, in seinem Wasi-Bairisch von den wilden frühen Jahren. Einzelkind, der Vater arbeitet als Maler und Lackierer, die Mutter geht mit dem Buben viel wandern, klettern. Im Kinderzimmererker bildet sich in kalten Winternächten Reif auf dem Parkett, weil die Familie sich das Heizen spart. Sommers kurbelt der Markus mit seinen Spezis auf dem Bonanzarad durch den Ort. Sie schwimmen als Mutprobe zur Insel Wörth im Schliersee, wo damals eine Frau mit zwei scharfen Dobermännern lebt. In der Schule watschen die anderen Kinder den Markus regelmäßig. Bis er in den Judoverein eintritt und sich zu wehren lernt. Bei einem Wettkampf legt ihn der Thomas aus seiner Klasse aufs Kreuz. Darüber, erzählt der Wasmeier, lacht er mit dem Kumpel von früher heute noch. Denn Tom Loch betreibt heute das Strandbad in Schliersee.

Umweg um das böse Krokodil

Mit solchen Schwenks verbindet er seine Geschichte mit dem Heute. Nostalgie spricht daraus. Auch Nachdenkliches, das er aus seinen Erinnerungen über die gesellschaftliche Gegenwart ableitet. So wild seine eigene Jugend ablief, so gezähmt kommt ihm die seiner eigenen Kinder vor. Er glaubt, dass die Freiheit, in der Kinder in den 1960er- und 70er-Jahren aufwuchsen, ihre Fantasie beflügelte. Anrührend ist, wenn er davon erzählt, wie er diese Fantasie für seinen eigenen Nachwuchs in einer Welt voller WhatsApp und „Pokémon Go“ zu bewahren versucht: „Einen Sommer lang behauptete Markus, der Ältere, dass unter der kleinen Brücke, die man queren muss, um zum Haus meines Vaters zu gelangen, ein Krokodil wohnt. Einen Sommer lang sind wir deshalb den kleinen Umweg gegangen, denn der Gefahr, diesem gefährlichen Krokodil zu begegnen, durften wir uns selbstverständlich nicht aussetzen. Es war ein Umweg von einer halben Minute. Für den Jungen aber war es die Gaudi des ganzen Sommers.“

Für den gereiften Herrn Wasmeier geht es offenbar heute nicht mehr nur um „immer Schuss, immer Tempo“. Und wenn der Leser seines Buches an die vielen Kinder denkt, deren Fantasien schon im frühen Alter von Fernsehbildern überdröhnt und versaut werden, freut man sich ein bissl für den Markus Wasmeier Junior.

Ich machte mit, um der Schnellste zu sein. Ich wollte gewinnen.

Markus Wasmeier, Ski-Legende

Der Senior schreibt einstweilen über den Wert von Heimat, den Duft des Sees im Sommer und der Bergwälder im Herbst, von seinen frühen Schussfahrten an der Firstalm im Spitzingsee-Skigebiet. Wie er sich beim Training in der DSV-Jugendmannschaft an einer Slalomstange eine lange Risswunde am Hintern zuzog, sich also zur Freude seiner Konkurrenten im Kader ein „zusätzliches Loch“ riss. Wie der Maler- und Lackierer-Lehrling Wasmeier sich mit den Kollegen vom Bau ständig Streiche spielte: einen vollen Eimer Farbe unter die Leiter stellen und warten, wer hineintritt. An sein Leben entsinnt sich der Wasmeier gerne als Fortsetzung von Ludwig Thomas Lausbubengeschichten. Dass unter all den Späßen ein gar nicht so lustiger Konkurrenzkampf lief, gesteht der Erzähler an selbstkritischen Stellen ein. Rücksicht auf die anderen oder den eigenen Körper auf dem Weg zum Top-Rennläufer hätte er sich damals wohl als Schwäche ausgelegt.

„Schtories“ von früher

Heute pflegt er mit solchen Geschichten das Selbstbild vom wilden, bunten Hund. All die schweren Verletzungen an Knochen, Sehnen, Wirbelsäule, gar an den Hodensträngen hakt Wasmeier lässig ab: „Wer mit 140 Stundenkilometern einen Berghang hinunterfährt, muss nicht nur mit dem Risiko leben. Sondern auch damit, Schmerzen zu ertragen.“ Immerhin schränkt er ein, das klinge nun vielleicht „nach einem Spruch aus dem Küchenkalender für harte Männer“. Aber es sei eine „schlichte Wahrheit“. Und mit genau solchen hat Wasmeier ja sein Image aufgebaut.

Vieles in diesem Buch klingt, als erzähle einem ein eingeborener Schlierseer im Winter auf der Firstalm ein paar „Schtories“ von früher. Ob ihn dabei manchmal seine Erinnerung trügt, wieviel davon der Zuhörer ihm überhaupt glauben darf, muss er selbst entscheiden. Aber man hört dem Kerl einfach gerne zu.