Sebastian Münster: Neue Inseln als Neue Welt, 1549. Holzschnitt, koloriert, auf Papier. Stiftung Eutiner Landesbibliothek, Eutin. (Foto: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg)
Neuzeit

Luther und andere Revoluzzer

Umwälzende Neuerungen und zusammenstürzende Weltbilder verursachen Unsicherheit und Angst: Das zeigt das 16. Jahrhundert, das die Entdeckung der Neuen Welt, die Reformation, aber auch den Hexenglauben hervorbrachte. Ein Ausstellungsbericht.

Eine fundamentale Zeitenwende, die das Weltbild komplett umwarf und bombenfest scheinende Gewissheiten revolutionierte – theologisch, philosophisch, astronomisch, geographisch, medizinisch – markiert das 16. Jahrhundert. Nicht nur, dass ein Italiener in spanischem Auftrag Amerika entdeckte und ein Mönchlein aus Wittenberg die Kirche ins Wanken brachte: Gleichzeitig entdeckte ein Ermländischer Domherr mit dem neu entwickelten Teleskop, dass sich die Erde um die Sonne bewegt und diese auch noch Flecken hat, ein Nürnberger Handwerker baute für den portugiesischen König den ersten Globus, ein flämischer Arzt entwickelte die anatomische Forschung, die neue Druckkunst sorgte dafür, dass neue Erkenntnisse sich rasch verbreiteten, reformierte Bilderstürmer zerstörten mutwillig wertvolle Heiligenfiguren, die „Kleine Eiszeit“ brachte Hunger und Wolfsangriffe, die wachsende Endzeitstimmung und die Not führten zu Hexenglauben und Hexenverfolgung.

Das Germanische Nationalmuseum (GNM) in Nürnberg hat für seine Ausstellung „Luther, Kolumbus und die Folgen“ rund 200 Exponate aus dieser aufregenden Epoche zusammengetragen: Von Martin Luthers Originalbriefen – der bis 1517 übrigens „Luder“ hieß und sich erst 1518 umbenannte – dem Erstdruck seiner 95 Thesen, die gegen Luthers Willen verbreitet wurden, über originale Wetter- und Mondfinsternis-Aufzeichnungen von Nikolaus Kopernikus, einem Logbuch von Christoph Kolumbus, über den ersten Globus von Martin Behaim 1492, auf dem Amerika noch nicht eingezeichnet war, sowie weitere Globen und Weltkarten, auf denen man Stück für Stück die Eroberung der Neuen Welt nachverfolgen kann, Skizzen von Skelett und Muskelbau mit ganzen Körpern ohne Haut vom Erfinder der modernen Anatomie, Andreas Vesalius, bis hin zu Kuriositäten aus den neu entdeckten Erdteilen, Flugblättern gegen Hexen, Darstellungen des in Kürze erwarteten jüngsten Gerichts und so weiter.

Große Entdeckungen, große Angst

Zahlreiche der Ausstellungsstücke brauchte das GNM nur aus seinem eigenen reichen Fundus zu holen – wie den Behaim-Globus, das Bildnis Luthers von Lucas Cranach, den Druck der 95 Thesen, die Darstellung des Jüngsten Gerichts und den Aufruf zur Hexenverbrennung. Aber auch viele Museen und Sammlungen aus ganz Europa lieferten hochkarätige Leihgaben – so etwa die eigenhändigen Schriften von Luther, Kolumbus und Kopernikus, die teilweise noch nie in Deutschland zu sehen waren. Dazu gehört aber auch das größte Ausstellungsstück, ein übermannsgroßer mehrköpfiger wasserspeiender Satan von der Kölner Domfassade, der die Angst der Zeitgenossen vor dem baldigen Untergang und dem Endgericht symbolisiert.

Denn die vielen Neuerungen und die offensichtlichen Umbrüche verursachten bei den einfachen Leuten große Unsicherheit, gar Angst – eine auffällige Parallele des 16. Jahrhunderts mit der Gegenwart. So stand der Forscherdrang der Entdecker dem Verbot der Neugier als Todsünde gegenüber. Und dass nun die Sonne und nicht mehr die laut biblischem Zeugnis von Gott primär geschaffene Erde im Mittelpunkt des Universums stehen sollte, musste als Blasphemie gelten. Vor allem deshalb verbreitete der Ermländische Domherr Kopernikus seine Erkenntnisse nur zögerlich: Die ganz große Konfrontation mit dem Papsttum, die das neue heliozentrische Weltbild zwangsläufig provozieren musste, wagte erst ein gewisser Italiener namens Galilei im 17. Jahrhundert.

Revolutionäre wider Willen

Reformator Luther selbst empfand die vielen Neuerungen als Vorzeichen der Endzeit – er erwartete den Anbruch des Jüngsten Gerichts noch zu seinen Lebzeiten. Dieses wurde von warnenden Predigern beiderlei Konfession in allen grausigen Farben ausgemalt. Ein merkwürdiger Kontrast zur eigentlichen Lehre Luthers, die doch die Erlösung des Menschen durch den Kreuzestod Christi und die Auferstehung verhieß. So auch bildende Künstler: Vor allem Hieronymus Bosch dachte sich alle möglichen Höllenqualen aus und stellte sie so plastisch dar, dass dies noch beim heutigen Betrachter Schauder verursacht.

Bemerkenswert, dass die meisten der revolutionären Veränderer des 16. Jahrhunderts diese Rolle gar nicht anstrebten – so hatte Luther anfangs ja keineswegs vor, die Kirche zu spalten oder eine neue Konfession einzuzführen. Ebensowenig suchte Kolumbus nach einem neuen Kontinent, sondern nach einem westlichen Zugang nach Indien – was vielleicht auch erklärt, warum der neue Kontinent heute nicht Kolumbien, sondern Amerika heißt: Erst der Italiener Amerigo Vespucci verkündete nämlich öffentlichkeitswirksam die Entdeckung eines ganzen Kontinents, der dann auch nach ihm benannt wurde. Genau aus diesem Grund ist Galilei heute bekannter als Kopernikus: Falsche Bescheidenheit wird von der Nachwelt nicht belohnt. Luther war zwar ein Medienstar, aber es waren andere, die für diesen ersten Medienhype der deutschen Geschichte sorgten – auch das macht die Ausstellung klar.

Typisch Neuzeit: Hexen als Quell allen Übels

Gleichzeitig wuchs die manifeste Lust der Europäer auf skurrile Spektakel: Nicht nur exotische Menschen, Tiere und Kunstwerke aus der Neuen Welt (wie der „Vitzliputzli“) wurden bestaunt, sondern auch Riesenmänner wie der 2,44 Meter große „Lange Anton“, dessen 1596 präpariertes Skelett ebenfalls die Ausstellung schmückt. Auch zum 16. Jahrhundert gehört die vermutlich durch schwächere Sonnenfleckenaktivität ausgelöste „kleine Eiszeit“ etwa von 1560 bis 1630: Eisberge kamen vom Nordpol bis Rotterdam, Antwerpen war viele Monate eingefroren, das Sujet des Winterbildes kam vor allem in der niederländischen Malerei in Mode. Die kleine Eiszeit bedeutete aber auch Missernten, Hunger, Tod – und Wolfsangriffe bis weit in die Dörfer hinein. Ein kleines Gemälde zeigt, wie Wölfe einen Mann und seine drei Kinder fressen, und das auf dem heimischen Bauernhof.

Die vielen neuen, überstürzten Entwicklungen, die Erschütterung des Weltbildes, aber auch die unerklärliche kleine Eiszeit, machten den Menschen Angst und verleiteten sie dazu, nach Sündenböcken zu suchen: Denn irgendwer muss die Missernten und die Hungersnot ja ausgelöst haben. Ein typisches Phänomen der frühen Neuzeit – nicht etwa des Mittelalters – ist daher der Hexenglaube und die Hexenverfolgung, übrigens in evangelischen ebenso wie in katholischen Gegenden, denn im Reich war Hexenverfolgung nicht Angelegenheit der Kirche, sondern der weltlichen Gewalt. Auch hierzu liefert die Ausstellung Dokumente – wenn auch ausgerechnet aus dem Fürstbistum Eichstätt, wo die Hexenverfolgung erst später, im 17. Jahrhundert unter dem „Hexenbischof“ Westerstetten, ihren Höhepunkt fand. In Feuchtwangen, Rothenburg oder Dinkelsbühl hätte man hier sicherlich Belege und Exponate aus dem 16. Jahrhundert finden können.

Wie gehen wir heute mit den Umbrüchen um?

Mehrere mit Beamern an die Wände projizierte Schriften – in der Art dräuender Menetekel – sowie der komplette letzte Raum der Ausstellung stoßen den Besucher direkt mit der Nase auf die Frage der Fragen: Wie gehen denn wir im 21. Jahrhundert mit den heutigen revolutionären Umwälzungen um? Aushöhlung des Christentums vor allem in den Industrieländern, Vormarsch ausgerechnet des rückständigen und grausamen Islams, Anwachsen des Extremismus, Internet, Globalisierung, weltweite Verzahnung der Wirtschaft, Flüchtlingsstrom, Umwälzung der Arbeitswelt. Diese Fragen muss freilich jeder Besucher für sich selbst beantworten.

Die Ausstellung „Welt im Wandel 1500-1600: Luther, Kolumbus und die Folgen“ ist im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg bis 12. November 2017 zu sehen. Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Mittwoch 10 bis 21 Uhr, Montag geschlossen. Eintritt 8 Euro, ermäßigt 5 Euro.