Gipfel der Moderne: die neue Bergstation auf dem Nebelhorn bei Oberstdorf. (Foto: G. Dolak)
Baukunst

Spitzenarchitektur für Aufsteiger

Moderne Wandererhütten und avantgardistische Bergbahn-Gipfelstationen erobern die bayerischen Alpen. Mit viel Holz, geschwungenem Glas und Gebäudeformen, die sich in die felsige Umgebung einpassen. Alte Schutzhütten lässt der Alpenverein abreißen - oder ins Alpine Museum nach München verfrachten.

Wer je im Massenlager einer Alpenvereins-Hütte genächtigt hat, kennt den Gipfel der Bergsteiger-Freuden: Wenn der Schnarcher im Schlafsack nebenan endlich das Sägen einstellt. Dabei bieten moderne Neubauten in den bayerischen Bergen oft einen Luxus, mit dem die teils mehr als hundert Jahre alten Schutzhütten nie aufwarten konnten. Wanderer können Einzelzimmer buchen, auch Gruppenschlafräume strahlen eine gediegene Eleganz aus, wie sie sonst in Boutique-Hotels zu finden ist, die im zeitgenössischen Rustikal-Chic gestaltet sind. Viel Holz, viel Filz auf Sitzbänken und Stühlen – und gelegentlich sogar karierte Retro-Fenstervorhänge.

Design auf 2224 Metern Höhe

Die moderne Architektur schafft es mittlerweile spielend über die Baumgrenze, wie die aktuellsten Beispiele von Berg-Bauten belegen. Das betrifft nicht nur die Klettererbehausungen des Alpenvereins. Auf der Spitze des Nebelhorns bei Oberstdorf hat die örtliche Bergbahn-Gesellschaft Anfang dieses Winters die neue, fünf Millionen Euro teure Gipfelstation eröffnet. Eine spektakuläre Designer-Immobilie auf 2224 Metern Höhe mit viel geschwungenem Glas und schlichter Gestaltung in Holz, in der Liebe zu Details mitschwingt. Sogar die Männlein- und Weiblein-Figuren an den Toilettentüren sind genauso geriffelt wie die Wandverkleidungen. Am beeindruckendsten ist freilich der Blick von den Terrassen in die Allgäuer Alpen. „Das ist schon mehr als nur am Gipfel zu stehen. Damit sind wir im alpinen Raum ganz vorne mit dabei“, behauptet Peter Schöttl, Vorstand der Nebelhornbahn AG.

Das ist schon mehr als nur am Gipfel zu stehen. Damit sind wir im alpinen Raum ganz vorne mit dabei.

Peter Schöttl, Vorstand der Nebelhornbahn AG

Auf der Zugspitze entsteht derzeit ebenfalls eine neue, futuristische Gipfelstation für die Seilbahn, die zu Weihnachten 2017 eröffnet werden soll – die derzeit höchste Baustelle der Republik. Hütte um Hütte folgt auch der Deutsche Alpenverein (DAV) dem Trend zur architektonischen Moderne in den Bergen. Die meisten der 324 Übernachtungshäuser sind zwar noch immer in der wind- und wetterfesten Bauweise gestaltet, wie sie sich über die Jahrzehnte seit dem Beginn der Gipfelstürmer-Bewegung Ende des 19. Jahrhunderts gehalten hat. Rund 800.000 Bergsteiger quartierten die Wirte im Jahr 2016 ein. Die Ausstellung „Hoch hinaus!“ im Alpinen Museum des DAV in München zeigt aber, wie Traditionalisten und avantgardistische Bauhäuslebauer in den einzelnen Sektionen des Vereins konkurrierten und sich dabei auch be- und überflügelten. Wie schon in den 1920er-Jahren die Satteldach- gegen die Flachdach-Fraktion antrat.

Die Schau zeigt auch gelungene Beispiele zeitgenössischer Bauweise, die sich in Materialien und Formen der Umgebung anpasst. Mit Hölzern aus einheimischen Wäldern und Konstruktionsweisen, die sich in den Schutz der umgebenden Felsen schmiegen. So wie das Waltenberger Haus des Architekten Peter Fischer unterhalb der Mädelegabel im Allgäu, das im nächsten Sommer offiziell eröffnet wird. Sämtliche Baumaterialien mussten mit dem Helikopter auf 2084 Meter Höhe geflogen werden, darunter auch 54 Fenster aus Lärchenholz.

Eine Berghütte kehrt zurück ins Tal

Zu sehen sind aber auch die 2016 eröffnete Winnebachseehütte im Ötztal oder die 2015 eingeweihte Höllentalangerhütte, von der aus Bergsteiger auf die anspruchsvollste Route auf die Zugspitze starten. Ein flacher Bau mit geschindelten Außenwänden und viel Sonnenlicht im Inneren, das durch große Scheiben fällt. Um die Vergangenheit des Haues als einfache Schutzhütte präsent zu halten, hat sich der Alpenverein für sein Münchner Museum eine Besonderheit gesichert: den Vorgängerbau von 1882 ließen die bauhistorisch engagierten Bergfexe in ihre Einzelteile zerlegen und im Garten des Ausstellungshauses auf der Praterinsel an der Isar wieder aufbauen.

Die verlegte Hütte vereint nun Vergangenheit und Gegenwart der Berg-Architektur: Von außen sieht sie aus wie schon immer – innen aber haben Gestalter ein Gruppenlager nachempfunden, wie es auch in modernen Schlafstätten des Alpenvereins zu finden ist. In hellem Holz, geraden Linien – moderner Bergstil im traditionellen Gehäuse.