Raufereien unter Schülern soll es ja auch früher schon gegeben haben. Aber dass Schüler in größerer Zahl Lehrer tätlich angreifen, ist ein vergleichsweise neues Phänomen. (Foto: Imago/Emil Umdorf)
Gewalt

Jeder vierte Lehrer betroffen

Mit aller Kraft will Kultusminister Spaenle das Phänomen Gewalt gegen Lehrer bekämpfen. Nach einer Studie wurde jeder vierte Lehrer schon einmal Opfer psychischer Gewalt, sechs Prozent Opfer körperlicher Gewalt.

„Psychische und physische Gewalt gegen Lehrkräfte wie auch gegen Schülerinnen und Schüler an der Schule – sei es durch wen auch immer – ist nicht zu dulden.“ Mit deutlichen Worten reagiert Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) auf die Erkenntnisse einer Forsa-Studie über Gewalt gegen Lehrer. „Auch die immer weiter verbreitete psychische Gewalt durch Cybermobbing kann nicht hingenommen werden“, so Spaenle.

Laut der Studie ist rund jeder vierte Lehrer in Deutschland schon einmal Opfer psychischer Gewalt von Schülern geworden. Forsa hat dafür im Auftrag des Lehrerverbandes Bildung und Erziehung (VBE) bundesweit fast 2000 repräsentativ ausgewählte Lehrer befragt. Demnach haben 23 Prozent der Befragten bereits Bedrohungen, Beleidigungen, Beschimpfungen oder Mobbing erlitten.

Aufgeschlüsselt nach Schularten sind die Lehrer an Haupt-, Gesamt-, Förder- und Sonderschulen besonders betroffen, vergleichsweise selten Gymnasiallehrer. Aber auch zwölf Prozent der Lehrer an Grundschulen wurden schon Opfer von psychischer oder körperlicher Gewalt. Für die Studie wurden auch 500 Lehrer in Bayern befragt. Im ganzen Freistaat gibt es etwa 100.000 Lehrkräfte. Bei der Häufigkeit körperlicher Angriffe gegen Lehrer kamen große regionale Unterschiede heraus. So wusste ein Viertel der Lehrer in Nordrhein-Westfalen (25 Prozent) von derartigen Vorfällen an ihren Schulen in den vergangenen fünf Jahren, in Bayern und Baden-Württemberg waren es nur 14 und 13 Prozent.

Sechs Prozent der Lehrer bereits körperlich angegriffen

Sechs Prozent der Lehrer sind der Umfrage zufolge sogar schon einmal körperlich von Schülern angegriffen worden. Hochgerechnet seien damit mehr als 45.000 Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen aller Formen bereits Opfer von tätlicher Gewalt geworden. An jeder zweiten Schule dürften damit schon mal Schüler gegen Lehrer Gewalt angewendet haben. Zu den körperlichen Angriffen gehörten etwa Fausthiebe, Tritte, An-den-Haaren-Ziehen oder das Bewerfen mit Gegenständen.

Die Ergebnisse machen eines unmissverständlich deutlich: Gewalttaten gegen Lehrer sind keine Einzelfälle.

BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann

Erst Ende Oktober hatte ein spektakulärer Fall an der größten Nürnberger Berufsschule für Aufsehen gesorgt. Ein 26 Jahre alter Schüler hatte gedroht, einen seiner Lehrer umzubringen. Mehrere hundert Polizisten riegelten das Gebäude ab, über 1000 Schüler verbarrikadierten sich in ihren Klassenzimmern, bis die Polizei den Täter festgenommen hatte. Aber die Gewalt gegen Lehrer ist ganz alltäglich und wird von der Öffentlichkeit meist nicht wahrgenommen, meint der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrerverband (BLLV). „Die Ergebnisse machen eines unmissverständlich deutlich: Gewalttaten gegen Lehrer sind keine Einzelfälle“, meint BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann.

Mutter schlägt Lehrerin nieder

Der Chef der BLLV-Rechtsabteilung, Hans-Peter Etter, schilderte dem Bayerischen Rundfunk (BR) gegenüber zwei Fälle: In einem Fall stürmte die Mutter einer Schülerin in einer Grundschule auf die Lehrerin zu und schlug sie zusammen. Auch als die Lehrerin zu Boden sank, trat die Mutter weiter auf sie ein. Die Schüler holten den Hausmeister, auch der wurde angegriffen. Letztlich wurde die Mutter zu acht Monaten Haft verurteilt.

Noch häufiger sind verbale Gewalt, Beleidigungen oder Demütigungen. So sagte ein 13-jähriger Schüler einer 7. Klasse zu seiner Lehrerin: „Sie haben mir gar nichts zu sagen, sie blöde Sau“. Als die Lehrerin dem Schüler einen Verweis gab, antwortete der gelassen: „Lächerlich. Meine Eltern unterschreiben das eh nicht“. Die Klassenkameraden grölten und lachten. Die Lehrerin aber ist traumatisiert, möchte den Schüler nicht mehr unterrichten, wie BLLV-Rechtsberater Etter dem BR erzählte.

Zuschauen und Zudecken ist nicht angebracht, Handeln ist geboten.

Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU)

„Um mögliche Übergriffe zu verhindern oder ihnen wirkungsvoll zu begegnen, gibt es eine Vielzahl von Instrumentarien, die von pädagogischen Maßnahmen über Ordnungsmaßnahmen bis hin zur Anzeige bei Polizei und Staatsanwaltschaft reichen“, sagt Kultusminister Spaenle. Auch BLLV-Experte Etter zählt einige innerschulische Maßnahmen auf: Die Möglichkeiten reichen von der Einschaltung der Eltern zur Klassenkonferenz bis hin zum temporären oder dauerhaften Schulverweis.

Ministerium geht schon länger gegen „Cybermobbing“ vor

Viele Lehrer aber, klagt Minister Spaenle, schweigen aus Scham oder falschverstandener Rücksichtnahme auf Gewalttäter unter den Schülern. „Hier müssen die Betroffenen aber auch den Willen haben, entsprechende Vorgänge zu nennen und anzuzeigen. Ein Zuschauen und Zudecken ist nicht angebracht, Handeln ist geboten.“ Das Ministerium hat hier schon einen rechtlichen Pflock eingeschlagen und in der Kultusministeriellen Bekanntmachung vom 23. September 2014 darauf hingewiesen, dass „schwere Beleidigungen und Cybermobbing als Straftaten anzeigepflichtig sind“.

Als Cybermobbing bezeichnet man beispielsweise Fälle, in denen Lehrer meist im Privatleben in ungünstigen, bloßstellenden Situationen gefilmt werden und diese Clips dann über Facebook oder Youtube verbreitet werden. Denn das Mobbing und die Gewalt endet nicht mit dem Unterrichtsende. Laut der Forsa-Studie sind sich 77 Prozent der befragten Lehrer in Deutschland und 83 Prozent in Bayern sicher, dass die Fälle von Cybermobbing zugenommen haben. Dennoch berichten nur 29 Prozent im ganzen Bundesgebiet und 34 Prozent in Bayern von selbst erlebten Cybermobbingfällen – psychische Gewalt ist mit 55 Prozent die häufigste Form des Angriffs auf die Lehrer.

Kultusministerium unterstützt Lehrer, wo immer es möglich ist

„Das Kultusministerium bietet gemeinsam mit den Schulberatungsstellen und in Zusammenarbeit mit der Polizei und anderen Fachbehörden entsprechende Präventionsprogramme zur Stärkung der Persönlichkeit und gegen Gewalt an“, betont Spaenle weiter. Eines dieser Programme heißt „Prävention im Team“. Dabei sind auch die Lehrkräfte miteinbezogen.

Erste Ansprechpartner für Lehrer sind, wie Spaenle erklärt, „je nach Situation erlebter oder befürchteter psychischer oder physischer Gewalt“ die Schulleitung – aber auch die Verbindungsbeamten der Polizei oder die nächstgelegene Polizeidienststelle. „Eine Sensibilisierung findet auch in Fortbildungen für Lehrkräfte statt“, berichtet Spaenle. Außerdem unterstützten die staatlichen Schulberatungsstellen sowie die Schulpsychologen an den Schulen die Lehrkräfte bei der Bearbeitung von Problemen. Zwei dieser Unterstützungsmöglichkeiten seien Beratung und Supervision.

(BR/AA/PM/wog)