Das ehemalige Kanzlerarbeitszimmer ist mit Originalmöbeln von Schmidt ausgestattet. (Bild: Axel Thünker/fkn)
Bonner Kanzleramt

Ein Stück Zeitgeschichte öffnet die Pforten

Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hat die Atmosphäre des Bonner Bundeskanzleramtes durch seine Liebe zur Kunst entscheidend mitgeprägt. Die historischen Räume mit persönlichen Erinnerungsgegenständen von Schmidt und seinen Nachfolgern Helmut Kohl und Gerhard Schröder können Besucher im kommenden Jahr besichtigen.

„Es könnte genauso gut eine rheinische Sparkasse darin residieren“, bemerkte Helmut Schmidt als neuer Hausherr. Damals, vor vierzig Jahren, nahm er als Bundeskanzler seine Arbeit im neuen Kanzleramt in Bonn auf. Die nüchterne Atmosphäre sollte nicht lange so bleiben. Neben Kunstwerken expressionistischer Maler sammelten sich über die Jahre seiner Kanzlerschaft auch viele persönliche Geschenke von politischen Weggefährten an. Darunter beispielsweise ein Adler aus Glas. Die Skulptur erhielt Helmut Schmidt im Mai 1981 vom US-amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan bei seinem Besuch in Washington.

Politik hautnah

In einem Festakt haben politische Weggefährten von Helmut Schmidt und Helmut Kohl an die historischen Wegmarken im Bonner Kanzleramt erinnert. Bis 1976 hatten seit Konrad Adenauer alle Bundeskanzler das Palais Schaumburg als Amtssitz genutzt. Von 1976 bis 1999 übten dann die Bundeskanzler Helmut Schmidt, Helmut Kohl und Gerhard Schröder an der neuen Adresse ihre Regierungsgeschäfte aus. Michail Gorbatschow, François Mitterrand, Margaret Thatcher und Bill Clinton sind nur einige der Staats- und Regierungschefs, die im neuen Kanzleramt in Bonn zu Gast waren.

Ab sofort steht im damaligen Arbeitszimmer wieder der Schreibtisch, mit dem Helmut Schmidt vor 40 Jahren vom Palais Schaumburg ins neu gebaute Kanzleramt einzog. Er ist Teil der Dokumentation über die Kanzlerschaften und soll Besuchern politische Geschichte nahe bringen. Eine Präsentation des Hauses der Geschichte mit Fotos und Exponaten − auch zu den Bundeskanzlern Helmut Kohl und Gerhard Schröder − sowie zwei Medienstationen ergänzen das Ensemble. Zu sehen sind dort Videobotschaften der ehemalige Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing und Henry Kissinger, früherer Außenminister der Vereinigten Staaten, die ihre Freundschaften zu Helmut Schmidt und Helmut Kohl würdigen.

Menschliche Atmosphäre durch Kunst

Die Planungen für das Gebäude begannen bereits 1969 unter Kanzler Willy Brandt. Nach einem Bauwettbewerb, den ein Verbund aus fünf Architekten – die Planungsgruppe Stieldorf aus Königswinter – gewann, entstand an der Adenauerallee ab Herbst 1973 ein Stahlskelettbau mit einer Fassade aus dunkelbraun eloxiertem Aluminium. Schlichtheit und jeglicher Verzicht auf repräsentative Elemente kennzeichnen das dreigeschossige Bauwerk, dessen Schlüssel Bundeskanzler Helmut Schmidt am 1. Juli 1976 als neuer Hausherr entgegennahm. Der Kanzler war von der Architektur des Gebäudes wenig begeistert: „Dieses Haus braucht dringend eine menschliche Atmosphäre“, erklärte er und stattete das Amt mit Kunstwerken expressionistischer Maler und Bildhauer aus. Auf dem Vorplatz lässt Helmut Schmidt 1979 die Bronze-Skulptur „Large Two Forms“ des britischen Bildhauers Henry Moore aufstellen. Ein halbes Jahr vor seinem Tod im November 2015 sicherte Schmidt der Bundesregierung zu, die persönlichen Erinnerungsstücke seines Kanzlerarbeitszimmers der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.

Unser Bonner Dienstsitz war Schauplatz einer großen Epoche bundesrepublikanischer Geschichte. Für die Bürgerinnen und Bürger wird hier an einem ganz besonderen Ort der deutschen Politik Geschichte in einer einzigartigen Art und Weise wieder lebendig.

Gerd Müller, Bundesentwicklungsminister

Das Gebäude umfasste viereinhalbmal mehr Nutzfläche als das Palais Schaumburg, das von 1949 bis 1976 Dienstsitz des Bundeskanzlers war, und war mit zahlreichen technischen Neuerungen ausgestattet wie einer Rohrpostanlage für den schnellen internen Aktenaustausch. Das neue Kanzleramt gliederte sich in einen Kanzler- und einen Abteilungsbau. Der Kanzlerbau beherbergte neben dem Kabinettssaal und den Büros der engsten Mitarbeiter des Bundeskanzlers auch dessen Arbeitszimmer sowie Empfangsräume. Hierzu gehörte etwa das „Heckel-Zimmer“, in dem der Bundeskanzler seine Gäste begrüßte und sich den Fotografen stellte. Im Abteilungsbau waren die Mitarbeiter der verschiedenen Abteilungen des Kanzleramts untergebracht.

Ort der deutschen Entscheidungen

Das Kanzleramt war Schauplatz bedeutender politischer Entscheidungen: Bundeskanzler Helmut Schmidt führte hier die Krisensitzungen im so genannten „Deutschen Herbst“ 1977, der Hochzeit der linksextremen Terrorgruppe RAF, durch. Unter Kanzler Helmut Kohl bot das Gebäude die Kulisse für entscheidende Gespräche im Vorfeld der deutschen Wiedervereinigung 1989/90. Bundeskanzler Gerhard Schröder arbeitete nur ein knappes Jahr in Bonn, dann zogen Parlament und Regierung 1999 nach Berlin. Nach umfassender Sanierung bekam der unter Denkmalschutz stehende Bau in Bonn im Dezember 2005 mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung einen neuen Nutzer.

Von 1999 bis zum Einzug in das neu gebaute Haus residierte das Bundeskanzleramt übergangsweise in dem ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR am Berliner Schlossplatz. Seit 2001 dient bis heute ein von Axel Schultes entworfener Neubau im Berliner Spreebogen nahe dem Reichstagsgebäude als Behördensitz – Spitzname wegen des äußeren Erscheinungsbildes ist „Bundeswaschmaschine“, „Elefantenklo“ oder „Kohllosseum“. Auch dort ist viel Kunst zu bestaunen. Mit 36 Metern Höhe ist es das größte Regierungshauptquartier der Welt, etwa achtmal so groß wie das Weiße Haus in Washington, zu dem allerdings noch weitere Gebäude gehören.

Die Räumlichkeiten im ehemaligen Kanzleramt in Bonn können Interessierte aber erst ab Januar 2017 besuchen. Da sich die historischen Räume im jetzigen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung befinden, dauert es noch, bis das Sicherheitskonzept für den Empfang von Besuchergruppen steht. Interessierte Bürger können sich ab Oktober 2016 anmelden. Kontakt: Besucherdienst Haus der Geschichte: 0228/ 91 65-400 oder Besucherdienst-bonn@hdg.de