Luise Kinseher in ihrer Rolle als Bavaria. (Bild: BR / Screenshot)
Nockherberg

„Menschenliebe und Humor vereinen uns“

Die Flüchtlingskrise war das dominierende Thema des traditionellen Derbleckens am Nockherberg. Dabei las Luise Kinseher in ihrer Rolle als Bavaria den Politikern aus Land und Bund die Leviten – über weite Strecken allerdings eher langatmig als witzig. Wesentlich besser, flotter, satirischer und unterhaltsamer geriet das Singspiel, das diesmal im Gehirn Horst Seehofers spielte.

Schon mit dem ersten Satz ihrer Rede gab die Bavaria die Richtung des Derbleckens in diesem Jahr vor. „Ein Blick in den Saal heute Abend verrät: Integration kann gelingen“, stellte Luise Kinseher fest. „Ihr seid alle meine Familie – so unterschiedlich ihr in eurer Unvollkommenheit auch sei“, ätzte die Bavaria sogleich drauf los. Als sie Bayern übernommen habe, seien seine Einwohner ein „rechter Sauhaufen“ aus Bayern, Franken und Schwaben gewesen, die Napoleon einfach zusammengemischt habe.

Doch jetzt, nach so vielen Jahren, seien die Volksgruppen zusammengewachsen und bildeten das stolze Volk, das den Freistaat heute bevölkere – ein klarer Seitenhieb auf die Integrationspolitik. Und auch die Preußen bekamen ihr Fett weg: „Ich bekomme ja tagtäglich viele Kinder in Bayern dazu – Türken, Araber. Von ganz weit kommen sie her – sogar bis von hinter Hannover!“

Konzentration auf Staatsregierung und CSU

Im Zentrum von Kinsehers Ausführungen stand in diesem Jahr die Bayerische Staatsregierung und die CSU. Beinahe drei Viertel ihrer Rede befassten sich mit den Christsozialen – ein Umstand, den Finanzminister Markus Söder so kommentierte: „Ich denke, es ist viel schlimmer für diejenigen, die gar nicht in der Rede vorkamen.“

Alexander Dobrindt wurde als „Mautkasperl“ angesprochen. Für ihn hatte die Bavaria sogar ein vergiftetes Kompliment im Gepäck: „Alexander, du bist ja zuständig für den Flughafen mit der weltweit geringsten Schadstoffemmission“ – den in Berlin natürlich. Dobrindt sei ja mittlerweile nur noch selten in Bayern. „Der kommt nicht mehr aus seinem Büro heraus – und der Sigmar Gabriel kommt in seins nicht mehr herein. Das macht aber gar nichts: Der Gabriel passt auch nicht mehr in die SPD hinein“, stellte Kinseher fest.

Aiwanger will Seehofer übertrumpfen, indem er ihn halbiert

Dabei werde der SPD-Chef einem bekannten Bayer immer ähnlicher – nämlich Franz Beckenbauer. „Der weiß auch ab und zu nicht so genau, was er wo und wann unterschreibt“, sagte die Bavaria mit Blick auf Asylpaket und Fifa-Skandal. Überhaupt werde die SPD immer bayerischer – „zumindest in den Umfragewerten“, witzelte Kinseher.

Auch Freie Wähler-Chef Hubert Aiwanger wurde von der Bavaria ins Gebet genommen. „Du bist immer so ehrgeizig, wenn es darum geht, die CSU zu übertrumpfen – wenn die CSU 200.000 Menschen als Obergrenze sagt, sagt der Aiwanger 100.000. Aber Hubert: Du kannst den Seehofer nicht übertrumpfen, indem du ihn halbierst“, so Kinseher, die Aiwanger auch als „Opfer des bayerischen Schulsystems“ bezeichnete.

Für die SPD wird wenigstens alle 20 Jahre der Münchner OB frei

Der Grünen Fraktionschefin im Landtag, Margarete Bause, räumte die Bavaria keine große Möglchkeiten bei ihrem Wunsch nach einem Bundestagsmandat ein. „Da hast du noch weniger Chancen als die Grünen in Bayern. Und da haben ja sogar die bayerischen Sozialdemokraten mehr Möglichkeiten – für die wird wenigstens alle 20 Jahre eine Münchner OB-Stelle frei.“ Solche wie Bause hätten die Grünen in Berlin ohnehin schon genug, „man schaue sich nur den Anton Hofreiter an.“ Hofreiter habe ja Zugang zu den TTIP-Unterlagen, dürfe aber nicht darüber reden – „nicht mal mit seinem Frisör“.

Zum Ende ihrer Rede wurde die Bavaria versöhnlich. Denn es gebe durchaus Dinge, die die Menschen in Deutschland – und ganz besonders im Saal am Nockherberg bei allen Differenzen verbinde. Menschenliebe und Humor. „Denn Humor ist das, was uns von jeglichen Extremisten unterscheidet“, stellte Kinseher fest. Zum Abschied verlegte sich die Bavaria auf eine Sprache, die man international verstehe – und mit Bayern verbinde: Sie jodelte.

Holzhammer statt Florett

Bei den „Derbleckten“ rief die diesjährige Rede ein geteiltes Echo hervor. Ministerpräsident Horst Seehofer sagte auf die Frage, wie ihm die Rede gefallen hatte, nur knapp: „Passt schon.“ Finanzminister Markus Söder und Innenminister Joachim Herrmann wählten Attribute wie „durchwachsen“ und „durchschnittlich“. Söder sagte, die Rede habe schon auch „so ihre Längen“ gehabt.

In der Tat waren weite Passagen dieser Kinseher-Rede nicht auf dem Niveau, auf dem sich die Kabarettistin in früheren Ansprachen über die Politik und ihre Köpfe lustig gemacht hatte. Häufig war betretenes Schweigen des Publikums die Quittung – auch an Stellen, an denen Kinseher offenbar Applaus oder Gelächter erwartet hatte.

Das Singspiel kam wesentlich besser an als die Rede

Wesentlich besser gefiel offensichtlich dem Publikum im Saal – und vermutlich auch dem am Fernsehen – das Singspiel, das im Gehirn von Horst Seehofer spielte. Es lieferte all die bissige Satire, die unterhaltsamen Pointen, die man bei Kinseher schmerzlich vermisste.

Zunächst musste man noch befürchten, dass sich der moralisch-klagende Ton der Bavaria-Rede auch hier fortsetzte, denn die Szenerie war ganz in düsteres Grau-Blau-Schwarz und Nebel getaucht, ein Sturm zog auf und das Eingangslied begann mit der Zeile „A Wind kommt von rechts“. Horst Seehofer wurde ein wenig wie ein biedermeierlicher Spießbürger dargestellt, der – wenn draußen ein Sturm aufzieht – sich in seinen Hobbykeller zurückzieht und mit der Modelleisenbahn spielt, weil er wenigstens diese im Griff hat.

„Ihr liebt mich nicht, ich lieb euch schon“

Aber bald nahm das Stück Fahrt auf, und zwar mit der ersten Konfrontation zwischen Angela Merkel und Seehofer. Zwar war es unappetitlich, dass Merkels Hose hinten dreimal aufriss – niemand konnte hier einen Witz erkennen. Aber Merkels Satz zu Seehofer „Du hast dich wirklich auf Deutschland verlassen?! Haha, wie niedlich!“ war demaskierend, gerade im Zusammenhang mit den 1,1 Millionen Immigranten, die ja alle zuerst einmal in Bayern angelandet sind.

Merkels Song „Wir schaffen das“ mit der zentralen Zeile „Ihr liebt mich nicht, ich lieb euch schon“ – ebenfalls sehr treffend angesichts ihrer rapide sinkenden Zustimmungswerte. Zuletzt wird Merkel von Seehofer in eine Zwangsjacke geschnürt und wie ein singendes Paket abtransportiert, während sie unentwegt ihr Mantra wiederholt: „Wir schaffen das, wir schaffen das.“

Lieblingsthema „Diadochenkämpfe“, wie zur FJS-Zeit

Pointenreich wurde auch der Kampf um die Nachfolge von Horst Seehofer dargestellt. Schon zu Zeiten von Franz Josef Strauß waren die „Diadochenkämpfe“ ein bevorzugtes Thema auf dem Nockherberg gewesen, ebenso während der Stoiber-Zeit.

Hier streiten sich nun Ilse Aigner, die vergessene Stille im Hintergrund, Joachim Herrmann, der seriöse und etwas langweilige Sicherheitsmann, und Markus Söder, der pfiffige und vorlaute Quälgeist, um das Erbe Seehofers. Söder und Herrmann zanken sich, wer angesichts des aufkommenden Sturms das Dach des Seehofer-Hauses reparieren muss – am Ende zieht Söder dem auf dem Dach arbeitenden Kabinettskollegen die Leiter weg.

Aigner mit Spinnweben am Dirndl

Ilse Aigner bekommt recht deftig eingeschenkt. Sie ist in Seehofers Hirn im Schrank des Vergessens eingesperrt. Als sie dann endlich heraus darf, hängen Spinnweben an ihrem Dirndl. Seehofer klagt an einer Stelle gegenüber Sigmar Gabriel: „Das ist das Problem an der Ilse: Man vergisst sie immer.“ Darauf Gabriel: „Welche Ilse?“

Die Rache Aigners: Sie reißt sich das Dirndl herunterreißt und tanzt und singt wild in einem knappen pink-blauen Kostüm: „Ihr habt’s die Ilse vergessen!“ Immerhin eine deutlich bessere Behandlung als beim Singspiel im Vorjahr, als sie ja von den männlichen Kabinettskollegen aufgefressen wurde.

Goaßlschnalzer und KTG als Gags

Zwischendurch heiterten Gags die Szenerie auf, die nicht unbedingt für die Handlung nötig waren, aber zur Auflockerung beitrugen: Etwa ein Loblied auf Bayern, in das ja offensichtlich alle Menschen einwandern wollen. Bei dem Lied standen sechs Goaßlschnalzer mitten im Publikum auf den Tischen und walteten ihres Amtes – ein Glück, dass es keinem der Zuschauer das Toupet wegzog.

Ein anderer im Grunde verzichtbarer Gag war die Nummer von Karl-Theodor zu Guttenberg. Er wurde – wie schon in früheren Jahren – als arrogant-oberflächlicher Schnösel dargestellt, diesmal aber mit amerikanischem Akzent dümmliche Business-Phrasen dreschend. So fragt er, mit seiner Weltläufigkeit prahlend, die beiden Seehoferschen Gehirn-Beamten: „Wart ihr schon einmal in einem anderen Gehirn als dem von Horst Seehofer?“ Doch einer der Beamten antwortet: „Es ist fraglich, ob es außerhalb überhaupt ein Gehirn geben kann.“

Höhepunkt: Gabriel bittet um Asyl in Bayern

Höhepunkt der Absurdität ist letztlich, als Sigmar Gabriel um Asyl in Bayern bittet. Er wird aus Glaubensgründen verfolgt, wie er sagt: „Ich glaube nämlich, dass ich Sozialdemokrat bin. Der Rest der SPD nicht.“ Seehofer zögert, schließlich habe Bayern den Rest Deutschlands gerade erst als sicheres Herkunftsland anerkannt.

Seehofers Zustimmung erkauft Gabriel dann, indem er sogar in die CSU eintreten will. Söders Kommentar: „Was? Dieser wetterwendische Gabriel, der seine Fahne immer nach dem Wind hängt? Ok, der passt eigentlich gut zu uns.“ Als besondere Qualifikation führt Gabriel angesichts des ständig drohenden Gewitters an: „Als norddeutscher Politiker hab ich Erfahrung mit Überschwemmungen.“ Söder: „Als Politiker oder als Sandsack?“ Gabriel: „Als Flut.“

CSU-Politiker dominieren das Singspiel beinah komplett

Das Singspiel wurde von den Rollen der vier genannten CSU-Politiker dominiert, und zwar alle aus der bayerischen Staatsregierung. Bemerkenswert, wer nicht (mehr) im Singspiel vorkam: Claudia Roth, Alexander Dobrindt und Christine Haderthauer.

Außer den genannten aktiven CSU-Politikern kamen nur vor: Karl Theodor zu Guttenberg, aus Reihen der SPD Münchens OB Dieter Reiter – darf auf dem Nockherberg nicht fehlen – und Parteichef Gabriel, aus der CDU Kanzlerin Merkel und die eigentlich verzichtbare Verteidigungsministerin von der Leyen sowie letztlich auch noch der „grüne Zausel“ Anton Hofreiter, der als peinlicher, nerviger Dauernörgler auftritt.

Kein Wunder, dass Ministerpräsident Horst Seehofer anschließend augenzwinkernd ins BR-Mikrofon sagte: „Das ist alles die Wahrheit.“ Das Singspiel allgemein lobte er als „Königsklasse“.

Dominik Sauter/Wolfram Göll