Bundeskanzlerin Angela Merkel. (Foto: Imago/Markus Heine)
Zuwanderung

„Merkel hat Europa ein gewaltiges Problem aufgebürdet“

Die Politik der Bundeskanzlerin ist Schuld an der aktuellen Flüchtlingskrise. Diese These vertritt der renommierte britische Migrationsforscher Paul Collier. Er fordert einen deutlichen Kurswechsel: Europa müsse erklären, dass Wohlstandsmigranten sich nicht mehr auf den Weg zu machen brauchten, Flüchtlinge müssten in Nachbarstaaten Schutz suchen.

Angela Merkel hat Schuld an der aktuellen Flüchtlingskrise. Diese Meinung vertritt der renommierte britische Ökonom Paul Collier in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt. Die deutsche Bundeskanzlerin habe mit ihrer Aussage, Europas Türen stünden offen, die aktuelle Entwicklung verursacht. „Bis zum vergangenen Jahr waren Flüchtlinge für Europa kein großes Thema. Ich verstehe bis heute nicht, warum Frau Merkel so gehandelt hat. Sie hat Deutschland und Europa damit definitiv ein gewaltiges Problem aufgebürdet, das sich nun auch nicht mehr so einfach lösen lässt.“

Der in Oxford lehrende Collier ist einer der weltweit führenden Experten auf dem Gebiet der Migrationsforschung. Der ehemalige Leiter der Forschungsabteilung der Weltbank hat sich in mehreren Publikationen mit den Entwicklungen in der Dritten Welt und den Folgen der globalen Wanderungsbewegungen beschäftigt. In seinem 2014 auf Deutsch erschienenem Buch „Exodus. Warum wir Einwanderung neu regeln müssen“ mahnt er eine sachliche, nüchterne Diskussion über die Vor- und Nachteile von Zuwanderung an: „Moralische Einstellungen zur Einwanderung sind auf verwirrende Weise mit Ansichten zu Armut, Nationalismus und Rassismus verknüpft. Die aktuelle Haltung zur Immigration ist geprägt von Schuldreaktionen auf verschiedene Verfehlungen, die sich in der Vergangenheit ereigneten. Eine rationale Diskussion über die Migrationspolitik ist erst dann möglich, wenn dieses Knäuel an Motiven entwirrt ist.“

Collier warnt vor einer unkontrollierbaren Wanderungsbewegung

Im Welt-Interview warnt Collier davor, die aktuelle Flüchtlingsbewegung könne erst der Beginn eines viel größeren Exodus sein: „Wir haben es in dieser Flüchtlingskrise zum einen mit gescheiterten Staaten wie Syrien zu tun. Den Menschen, die von dort flüchten, geht es um das nackte Überleben. Da reden wir von ungefähr 14 Millionen Menschen. Und dann gibt es noch all jene, die in armen Ländern leben und sich auf den Weg in die reiche westliche Welt machen, um dort ihr Glück zu finden. Das sind Hunderte Millionen Menschen. Eine gewaltige Masse, die, wenn sie sich einmal in Bewegung setzt, kaum noch steuerbar ist.“

Deutschland hat trotz bester Absichten eher Tote auf dem Gewissen.

Paul Collier, in der „Welt“

Collier wirft der Bundesregierung vor, mit ihrer Politik keinem einzigen Syrer das Leben gerettet zu haben. Die Flüchtlinge hätten sich aus sicheren Drittstaaten auf den Weg gemacht und sich dabei großen Gefahren ausgesetzt. „Deutschland hat trotz bester Absichten eher Tote auf dem Gewissen.“

Der Oxford-Ökonom zählt schon länger zu den schärfsten Kritikern der deutschen Einwanderungspolitik. Bereits vor einem Jahr warnte er vor den Folgen der ungesteuerten Zuwanderung. In einem Interview mit der Wochenzeitschrift Die Zeit sagte Collier damals, es sei nachgewiesen, dass das gegenseitige Vertrauen innerhalb einer Gesellschaft sinke, wenn die Verschiedenheit durch Einwanderung zunehme. „Für die modernen und reichen Gesellschaften ist das deshalb von Bedeutung, weil wir unzählige, sehr komplexe Institutionen haben, die auf gegenseitigem Vertrauen und Kooperation aufbauen, etwa in unseren Sozialsystemen. Wenn eine Gesellschaft zu verschieden zusammengesetzt ist, wird es schwieriger, die Kooperation in solchen Systemen zu organisieren.“

Je heterogener die Gesellschaft, desto geringer die Sozialleistungen

Collier warnte auch vor negativen Folgen für die Sozialsysteme: „ Zahlreiche Studien belegen, dass ein zu hohes Maß an Migration die Bereitschaft von Gesellschaften senkt, großzügig Sozialleistungen zu gewähren. Man sieht das zum Beispiel in den USA: Die Gesellschaft ist weniger homogen zusammengesetzt als jene in Europa. Dementsprechend ist der Staat weniger großzügig zu den Armen im Land.“

Um die Flüchtlingskrise zu beenden, fordert Collier einen Kurswechsel der Politik. „Europa muss klar sagen, dass sich die Wohlstandsmigranten gar nicht erst auf den Weg zu machen brauchen. Und auch die Flüchtlinge, die sich in Sicherheit bringen wollen, können das nicht länger in Europa tun, sondern in den sicheren Nachbarstaaten, ganz so, wie es völkerrechtlich festgelegt ist.“

Hier geht es zum vollständigen Interview auf Welt Online.