Wenn der NRW-Landtag bald den Untersuchungsausschuss zu den massenhaften Übergriffen von Migranten auf Frauen einsetzt, wird sich Innenminister Ralf Jäger (SPD) auf viele unangenehme Fragen einstellen dürfen. (Foto: imago/Chrisitan Ditsch)
Nordrhein-Westfalen

1200 Opfer von Übergriffen in vier Städten

Erschreckende Zahlen hat NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) zu den Übergriffen auf Frauen in der Neujahrsnacht vorgelegt. Knapp 1000 Anzeigen sind eingegangen, mehr als 1200 Opfer sind der Polizei bekannt. Neben Köln sind Düsseldorf, Dortmund und Bielefeld betroffen. Im Gegensatz zu seiner bisherigen Taktik, die Schuld allein auf die Polizei zu schieben, nahm Jäger die Beamten nun in Schutz.

Nach den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht an mehreren Orten in Nordrhein-Westfalen geht die Polizei in vier Städten knapp 1000 angezeigten Straftaten nach. Das ergibt sich aus einem Bericht des NRW-Innenministeriums mit Zahlen aus Köln, Düsseldorf, Dortmund und Bielefeld, den Innenminister Ralf Jäger (SPD) dem Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags vorgelegt hat. Es seien insgesamt 1216 Personen als Opfer erfasst (Stand: 18. Januar) – nahezu die Hälfte von ihnen als Opfer einer Sexualstraftat. Die übrigen Anzeigen beziehen sich auf Körperverletzung, Taschendiebstahl, Hehlerei oder Raub. Jäger erklärte, es gebe eine heterogene Motivlage der Täter: Die einen Verdächtigen hätten nur Eigentumsdelikte begehen wollen, die anderen sexuelle Übergriffe. Von den 982 Strafanzeigen entfallen 821 auf Taten in Köln (davon 359 Sexualdelikte), 113 in Düsseldorf (69 Sexualdelikte), 28 in Dortmund (4 Sexualdelikte) und 20 in Bielefeld (5 Sexualdelikte). In den vier Großstädten ermittelte die Polizei bisher 52 Tatverdächtige, die fast ausschließlich nichtdeutscher Nationalität sind. Allein in Köln wurden 1049 Personen als Opfer erfasst, darunter 482 Opfer von Sexualstraftaten.

Der „Focus“ meldete zudem am Montag, dass ein neuer Bericht des NRW-Justizministeriums offenbare: In fast ganz Nordrhein-Westfalen habe es sexuelle Angriffe und räuberische Attacken von Menschen mit nordafrikanischer Herkunft gegeben, darunter in Düsseldorf, Detmold, Essen, Dortmund, im Kreis Borken, in Paderborn, Bonn und Bielefeld.

Köln: 30 Verdächtige, davon 15 Asylbewerber

Der Verdacht richtet sich in Köln bisher gegen 30 Personen. „Alle bisher ermittelten Tatverdächtigen sind nicht deutscher Nationalität“, heißt es in dem Bericht. 15 der 30 Verdächtigen sind Asylbewerber, elf halten sich illegal in Deutschland auf, zwei sind minderjährige unbegleitete Flüchtlinge, und zwei haben eine Aufenthaltsgenehmigung. Von den 30 Verdächtigen von Köln stammen 25 aus Marokko und Algerien. Die anderen Verdächtigen stammen aus Albanien, Afghanistan, Tunesien, Libyen und dem Iran. Sieben der 30 Verdächtigen sitzen in U-Haft.

Auch in den anderen Großstädten hat die Polizei konkrete Tatverdächtige im Blick, hier nur ein paar Beispiele: In Düsseldorf sind es neun Verdächtige (vier aus Marokko, zwei aus Bangladesch, ein Algerier, ein Afghane, ein Deutscher), in Bielefeld vier (3 Marokkaner, 1 Algerier) und in Dortmund ebenfalls neun (2 Iraker, 1 Algerier, 2 Marokkaner, 2 Syrer und 2 Deutsche). In der Düsseldorfer Altstadt waren laut Bericht alkoholisierte, aggressive Männer aufgefallen. „Einsatzkräfte stellten ein bisher ungewohntes Phänomen fest, bei dem gezielt Gruppen von jungen Männern mit Migrationshintergrund gar keinen Respekt vor Frauen zeigten und jegliche sozial übliche Distanz unterschritten“, heißt es.

In Dortmund werden derzeit 28 Straftaten bearbeitet, darunter vier Sexualdelikte. Unter 32 Betroffenen sind sieben Opfer einer Sexualstraftat.

Die für alle Beteiligten nicht vorhersehbare Aggressivität der beteiligten Männer gegenüber den Sicherheitsdiensten war erheblich.

Bielefelder Polizei

Auch in der Bielefelder Innenstadt gab es mehrere Einsatz-Anlässe – etwa wegen Randale oder Schlägereien. Erst nach einem Presseaufruf seien Anzeigen erstattet worden. 18 Straftaten – darunter fünf Sexualdelikten – geht die Polizei aktuell nach. 22 Opfer sind erfasst sowie vier Verdächtige aus Marokko und Algerien. Der Chef des Sicherheitsdienstes der Bielefelder Disco „Elephant Clubs“ hatte im „Westfalen-Blatt“ berichtet, dass bis zu 500 Männer sich mehrfach mit Gewalt Zugang zu der Disco verschaffen wollten. Frauen seien von ihnen im Intimbereich angefasst worden. „Nur unter Anwendung körperlicher Gewalt konnten wir den Frauen helfen, sich zu befreien“, so der Sicherheitsmann. Die eingesetzte Polizei meldete laut der Zeitung: „Die für alle Beteiligten nicht vorhersehbare Aggressivität der beteiligten Männer gegenüber den Sicherheitsdiensten war erheblich.“ Die Polizei schätzt jedoch, dass sich dort „nur“ etwa 150 Menschen mit Migrationshintergrund aufhielten und „nur“ 50 bis 60 Migranten dreimal vergeblich versucht hätten, mit Gewalt in den Elephant-Club zu gelangen. Zwei Türsteher hatten dem „Westfalen-Blatt“ obendrein berichtet, dass der Öffentlichkeit verschwiegen worden sei, dass es beim Bielefelder Jugendkarneval im Jahr 2014 Prügeleien unter jungen Migranten gegeben habe. Diese Männer sollen zudem minderjährige Besucherinnen der Karnevalsfeier – der Eintritt war nur von 14 bis 18 Jahren – sexuell bedrängt haben. Im Jahr darauf habe es dann auch noch sexuelle Übergriffe von vier anderen Zuwanderern auf junge Frauen gegeben, so die Schilderungen der Türsteher. Dies hat die Stadtverwaltung nun bestätigt.

Jäger: Das Ausmaß war am 1. und 2. Januar nicht zu erkennen

NRW-Innenminister Ralf Jäger verteidigte sich im Innenausschuss des Landtags gegen Vorwürfe, zu spät und nicht ausreichend über die Silvester-Übergriffe informiert zu haben. „Es steht der Vorwurf im Raum, ich hätte die Öffentlichkeit am 1. Januar nicht ausreichend informiert“, so Jäger. Dies sei eine „Gratwanderung“ gewesen. Die Dynamik in Bezug auf die steigende Zahl der Anzeigen zeige, dass das Ausmaß der Übergriffe am 1. und 2. Januar nicht erkennbar gewesen sei. Er kündigte vollständige Aufklärung an: „Dieses Innenministerium hat nichts zu verbergen. Alles muss auf den Tisch.“

Sie übernehmen keine politische Verantwortung. Dafür sollten Sie sich schämen!

Gregor Golland, CDU, zu Innenminister Jäger

CDU-Innenexperte Theo Kruse sprach von „Staatsversagen“ und einem „landesweiten Phänomen“. Der Abgeordnete Gregor Golland (CDU) forderte Jäger indirekt zum Rücktritt auf: „Sie übernehmen keine politische Verantwortung. Dafür sollten Sie sich schämen!“ Die FDP zeigte sich besorgt, dass sich Bürgerwehren bildeten und sogar Rockergruppen meinten, für Sicherheit sorgen zu müssen.

Nachdem Jäger sich noch vergangene Woche vor seiner eigenen Verantwortung weggeduckt hatte und die Schuld allein bei der Polizei ablud (der Bayernkurier berichtete), nahm er nun zumindest verbal die Polizisten vor Ort in Schutz. „Die Beamten haben in der Nacht keine Fehler gemacht, sie haben alles gegeben, aber sie waren letztlich zu wenig und konnten gegen die unkontrollierbare Lage nichts ausrichten“, sagte Jäger.

Kommende Woche wird der Untersuchungsausschuss eingesetzt

Um vollständige Aufklärung wird Jäger wohl kaum herumkommen, denn der NRW-Landtag wird voraussichtlich schon kommende Woche einen Untersuchungsausschuss einsetzen. CDU und FDP haben den Antrag auf Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses bereits gestellt. Die Oppositionsparteien werfen der Landesregierung vor, bisher keinen Beitrag zur Aufklärung der Geschehnisse rund um den Kölner Hauptbahnhof geleistet zu haben. Mit dem Untersuchungsausschuss solle geklärt werden, warum eine Gruppe vermutlich vor allem nordafrikanischer Männer fast ungehindert Frauen sexuell belästigen und bestehlen konnte.

Die Opposition wirft Jäger und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (ebenfalls SPD) zudem vor, nach den Übergriffen in der Silvesternacht zu spät eingegriffen und reagiert zu haben. Kraft hatte in einer Sondersitzung des Landtags vergangenen Donnerstag von operativen Fehlentscheidungen der Kölner Polizei und gravierenden Fehler in der Kommunikation gesprochen. Sie kündigte mehr Personal bei Polizei und schnellere Strafverfahren an.

Lange Verfahrensdauer und lasche Abschiebungspraxis ziehen Kriminelle an

Im Frauenausschuss des Landtags hatte Jäger bereits vorher ausgesagt, aus dem nordafrikanischen Raum seien in den vergangenen Jahren zahlreiche Menschen als Flüchtlinge gekommen oder lebten illegal in Deutschland. Viele hielten sich mit Kriminalität über Wasser. Jäger kritisierte, dass die Asylverfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) extrem lange dauerten. Es vergingen oft viele Monate, bis ein Antrag überhaupt gestellt werden könne. Die mitunter zwei bis drei Jahre Aufenthalt bis zu einer negativen Entscheidung sei vielen ein Anreiz, nach Deutschland zu kommen, sagte Jäger.

Dass aber auch die lasche Abschiebepraxis der SPD-regierten Länder auf ausländische Kriminelle attraktiv wirken muss, verschwieg Jäger. Allein in NRW hielten sich am Stichtag 30. November 2015 laut Ausländerzentralregister genau 11.277 Ausreisepflichtige ohne Duldung auf, die schon lange hätten abgeschoben werden können. Darüber hinaus halten sich in NRW noch 42.869 Ausreisepflichtige mit Duldung auf, eine ungewöhnlich hohe Zahl. Die zusammen 54.146 Ausreisepflichtigen in NRW sind ein einsamer Rekord aller Bundesländer. Im Vergleich dazu finden sich in Bayern insgesamt nur 16.481 Ausreisepflichtige.

dpa/wog/avd