2500 Flüchtlinge bei ihrer Ankunft in Dortmund. Bei den Abschiebungen gehört NRW zu den säumigen Ländern. (Bild: Imago/JOKER/Martina Hengesbach)
Flüchtlingskrise

NRW-Kommunen fordern Aufnahmestopp

Mit einer „Überlastungsanzeige“ warnen 40 Kommunen in Nordrhein-Westfalen vor einem Notstand durch Flüchtlinge. „Irgendwann haben wir keine Kraft und kein Geld mehr“, so ein Bürgermeister. Neben vielen kleineren Kommunen gehört zu den Beschwerdeführern auch die größte Stadt des Landes, Köln. Der Städte- und Gemeindebund fürchtet, dass „das System kollabiert“.

Der ungebremste Zustrom von Flüchtlingen und Asylsuchenden bringt immer mehr Städten und Gemeinden an ihre Kapazitätsgrenze. Rund 40 Städte und Gemeinden – immerhin ein Zehntel aller 396 Kommunen in Nordrhein-Westfalen (NRW) – haben mit „Überlastungsanzeigen“ an die zuständige Bezirksregierung Arnsberg um einen Stopp der Zuweisung weiterer Flüchtlinge gebeten. Das teilte der Städte- und Gemeindebund NRW mit. „Wenn wir verhindern wollen, dass das System kollabiert, brauchen wir ein Umsteuern bei der Flüchtlingspolitik auf Landes- und Bundesebene“, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Städte und Gemeindebundes NRW, Bernd Jürgen Schneider, in Düsseldorf.

Die Bezirksregierung Arnsberg, die im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen zuständig für die Zuweisung von Flüchtlingen in die Kommunen ist, bekommt nach eigenen Angaben seit September immer wieder solche Überlastungsanzeigen. Auf Anfrage der Welt erklärte die Bezirksregierung, dass es aktuell 20 laufende Verfahren gebe. Der Städte- und Gemeindebund in NRW nennt knapp 40 Fälle. Zu den rund 40 Fällen gehöre neben kleinen Gemeinden und mittelgroßen Städten die Metropole Köln.

Etwa 214.000 Menschen sind nach offiziellen Landesangaben allein bis Oktober in NRW angekommen. Pro Woche seien es etwa 13.000 bis 15.000.

Städte- und Gemeindebund fordert klare Begrenzung des Zustroms

„Diese Überlastungsanzeigen sind ein klares Signal: Wir müssen den Zustrom begrenzen“, machte Schneider deutlich. So müsse der Bund endlich – wie bereits mehrfach gefordert – eigene große Aufnahmeeinrichtungen schaffen, in denen die Hälfte der Neuankömmlinge untergebracht werden könnte. Auch sei das Land NRW im Verzug mit dem Bau einer ausreichenden Anzahl großer Unterkünfte. Diese könnten als Puffer vor der Zuweisung von Flüchtlingen an die Kommunen dienen.

Diese Überlastungsanzeigen sind ein klares Signal: Wir müssen den Zustrom begrenzen.

Bernd Jürgen Schneider, Städte- und Gemeindebund in NRW

Schneider verteidigt die Kommunen, die auf dieses Vorgehen setzen: „Jede Überlastungsanzeige ergeht erst nach gründlicher Prüfung, ist aber Ausdruck einer akuten Notlage.“ Schließlich sei der Ausbau der Unterbringungsmöglichkeiten vor Ort von vielen Faktoren abhängig, auf die die Kommunen keinen Einfluss hätten, so Schneider. Man müsse die EU-Außengrenzen schützen, der Bund müsse eigene Aufnahmeeinrichtungen schaffen und das Land NRW sei in Verzug mit dem Bau eigener Unterkünfte.

Gemeinden bitten um Zuweisungspausen

In der Regel würden die Überlastungsanzeigen differenziert abgegeben, betont der Städte-und Gemeindebund. So werde eine mehrere Tage andauernde Zuweisungspause eingefordert, bis bereits im Bau befindliche Unterkünfte fertig gestellt sind. Oder es werde mitgeteilt, dass nur eine geringere Anzahl von Flüchtlingen als nach dem Verteilschlüssel errechnet aufgenommen werden kann.

Die Bezirksregierung Arnsberg teilte auf Anfrage der Welt mit, dass Kommunen sich nicht dauerhaft sperren könnten, sondern ihre Quote erfüllen müssten. Ein Aufschub werde nur ein paar Tage, höchstens zwei Wochen gewährt. Der Verteilschlüssel bei Flüchtlingen orientiere sich zu 90 Prozent an der Einwohnerzahl und zu zehn Prozent an der Fläche der Städte und Gemeinden.

Kann nicht garantieren, die zugewiesenen Menschen unterzubringen.

Bert Risthaus (CDU), Bürgermeister von Ascheberg

Die Welt zitiert unter anderem die Bürgermeisterin von Holzwickede, Ulrike Drossel (parteilos). Sie schrieb in einem amtlichen Schreiben wörtlich im Fettdruck: „Holzwickede kann bis zur Schaffung neuer Unterkünfte keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen!!!“ Holzwickede habe sogar bereits die zweite Überlastungsanzeige gestellt, so der Verband.

Der Bürgermeister der Gemeinde Ascheberg, Bert Risthaus (CDU), hatte Anfang Oktober als erster Bürgermeister in NRW eine Überlastungsanzeige gestellt. An die Bezirksregierung schrieb er Folgendes:  „Ich fordere Sie auf, Zuweisungen in meine Gemeinde nur noch nach meiner vorherigen Zustimmung auszusprechen und ab sofort unabgestimmte Zuweisungen zu unterlassen. Andernfalls kann ich nicht garantieren, die zugewiesenen Menschen unterzubringen.“

Es sind einfach zu viele Menschen

Weiter schrieb Risthaus, andernfalls müsse die Bezirksregierung „damit rechnen, dass ich die Aufnahme verweigern und Ihnen die Personen zwecks Vermeidung von Obdachlosigkeit wieder zurückschicken werde“. Er hält das Vorgehen der Bezirksregierung für rechtswidrig, „da Sie ohne Rücksicht auf die örtlichen Verhältnisse agieren“. Risthaus kündigt an, dass er vor dem Verwaltungsgericht einstweiligen Rechtsschutz beantragen werde, falls sich nichts ändern sollte.

Seien wir ehrlich, es gibt Obergrenzen: Irgendwann sind alle Häuser belegt, irgendwann haben wir keine Kraft und kein Geld mehr.

Bert Risthaus, Bürgermeister Ascheberg

Risthaus will sich allerdings nicht nachsagen lassen, er verweigere sich komplett; es geht ihm um das Tempo, mit dem die Flüchtlinge derzeit ankommen. „Es sind einfach zu viele Menschen, die wir in der Kürze der Zeit nicht unterbringen können“, betont der Bürgermeister. „Wohnungen sind bei uns stark nachgefragt. Wir haben kaum Leerstand. Ascheberg hat nicht ohne Ende Kapazitäten. Seien wir ehrlich, es gibt Obergrenzen: Irgendwann sind alle Häuser belegt, irgendwann haben wir keine Kraft und kein Geld mehr. Die Kommunen werden schlichtweg viel zu sehr alleingelassen“, sagt der Bürgermeister.

Auch der Deutsche Städtetag schlägt Alarm

Bund und Länder müssen nach Einschätzung der Kommunen deutlich mehr Geld ausgeben, damit Städte und Gemeinden die vielen Flüchtlinge integrieren können. „Bei den Kommunen liegt die Hauptlast, weil bei uns die Flüchtlinge letztlich ankommen“, sagte Eva Lohse (CDU), die Präsidentin des Deutschen Städtetags, nach einer Tagung in Hamburg. Es sei notwendig, die Zuwanderung von Flüchtlingen besser zu steuern, zu reduzieren und den Bau von zusätzlichem Wohnraum sowie die kommunalen Maßnahmen zur Integration finanziell abzusichern, sagte die Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen.

Lohse appellierte an die Bundesländer, bereits bewilligte Finanzmittel vom Bund in Höhe von 670 Euro je Flüchtling und Monat auch tatsächlich in voller Höhe an die Städte und Gemeinden weiterzureichen. In einigen Bundesländern würden stattdessen andere Zuweisungen gekürzt. Ein Katalog des Städtetags benennt als notwendige Schritte ein stärkeres Angebot an Sprach- und Integrationskursen, die Förderung von Kindern und Jugendlichen in Kitas und Schulen, gezielte Angebote zum Nachholen von Ausbildungsabschlüssen und Angebote der Weiterbildung. Solche Integrationsangebote sollten nach Ansicht der Kommunen in aller Regel für die Flüchtlinge verpflichtend sein.

Welt/Focus/PM/dpa/wog