Brezice, Slowenien: Tausende Flüchtlinge mit Polizeieskorte auf ihrem Weg nach Norden. Bild: Imago/Pixsell/Zeljko Lukunic
Asylchaos

Der Sturm gerät außer Kontrolle

Slowenien bricht unter zehntausenden Flüchtlingen zusammen. Deutschland wappnet sich: Die große Koalition hat sich im Grundsatz auf die von der CSU angeregten Transitzonen für Flüchtlinge an der deutschen Landgrenze verständigt. Der Bund hilft den Ländern auch bei schnelleren Abschiebungen und das Asyl-Gesetzespaket ist schon ab diesem Wochenende in Kraft. Die Polizei ist stark belastet.

Das sagte Bundesinnenminister (CDU) am Freitag bei einem Besuch im sächsischen Niederau. Es gebe noch keine endgültige Vereinbarung. Im Grundsatz seien die Koalitionspartner aber übereingekommen, dass an der Grenze ein schnelles Verfahren entstehen solle für Menschen, die voraussichtlich keinen Anspruch auf Asyl hätten. Diese Grundsatzeinigung sei ein großer Fortschritt. „Wir sind uns einig, dass wir möglichst frühzeitig schon an der Grenze ein schnelles Verfahren entwickeln bei denjenigen, von denen anzunehmen ist, dass ihre Anträge unzulässig oder offensichtlich unbegründet sind“, sagte de Maizière. „Die Details dieser Einigung sind weiter im Gespräch.“ Der Minister hatte Anfang Oktober einen ersten Entwurf dazu vorgelegt und die Ressortabstimmung gegeben. Vorgesehen war darin, Flüchtlinge vor der Entscheidung über die Einreise nach Deutschland in Transitzonen an der Landgrenze bis zu eine Woche festzuhalten, ihr Asylgesuch im Schnellverfahren zu prüfen und sie bei einem Nein direkt von der Grenze aus wieder in die Heimat zurückzuschicken. Die SPD hatte sich bisher jedoch gegen die Pläne gesperrt und beklagt, der Plan setze voraus, dass ein Flüchtling formal in Haft genommen würde. Solche Haftzonen seien nicht akzeptabel.

Jetzt wird Punkt für Punkt umgesetzt, was wir zur Begrenzung des Flüchtlingszustroms für nötig halten.

Horst Seehofer, über den erneuten Erfolg der CSU in der Asylpolitik

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer begrüßte die Entscheidung der Bundesregierung zur Einrichtung von Transitzonen: „Die Bundesregierung greift damit eine zentrale bayerische Forderung zur Begrenzung der Zuwanderung auf. Wir brauchen dringend Transitzonen, um die Asylverfahren zu beschleunigen und Asylmissbrauch schnellwirksam einzudämmen. Jetzt wird Punkt für Punkt umgesetzt, was wir zur Begrenzung des Flüchtlingszustroms für nötig halten.“ Transitzonen insbesondere für Asylantragsteller aus sicheren Herkunftsstaaten seien ein erster wichtiger Baustein. „Hier muss innerhalb weniger Tage eine Entscheidung getroffen werden, um konsequent abschieben zu können. Weitere Maßnahmen zur Begrenzung der Zuwanderung müssen folgen. Das gilt insbesondere für den Schutz der EU-Außengrenzen, die Kontingentierung der Bürgerkriegsflüchtlinge und eine gerechte Flüchtlingsverteilung in der EU. Entscheidend sind jetzt Taten, nicht Worte.“

Auch die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Gerda Hasselfeldt, begrüßte die Einigung: „Die Grundsatzeinigung ist ein großer und wichtiger Schritt. Der Zustrom an Flüchtlingen ist weiterhin enorm und bisher ungebrochen. Transitzonen sind ein zentrales Instrument, um illegale Einreisen bereits an der Grenze zu verhindern. Aus der Grundsatzeinigung müssen jetzt zügig konkrete Maßnahmen werden. Die Grenze der Belastung ist erreicht, vielerorts sogar überschritten. Wenn es uns nicht gelingt, den Zustrom zügig zu reduzieren, können wir unserem Anspruch auf eine menschenwürdige Aufnahme und Unterbringung der Flüchtlinge mit Bleibeperspektive nicht gerecht werden. Mit gleicher Kraft müssen die konsequente Rückführung abgelehnter Asylbewerber, die bessere Sicherung der EU-Außengrenzen und die Bekämpfung der Fluchtursachen vorangetrieben werden.“

Schneller abschieben

Die Länder sollen zudem mit Unterstützung des Bundes in den nächsten Tagen verstärkt abgelehnte Asylbewerber abschieben. Dafür würden auch Flugzeuge gechartert und Flüge von verschiedenen Airports in Deutschland aus organisiert, sagte Bundesinnenminister de Maizière ebenfalls in Niederau. Details nannte er nicht. Zuständig für die Abschiebungen seien die Länder. Der Bund und die Bundespolizei lieferten aber Unterstützung.

Wir wollen bei den Abschiebungen der abgelehnten Bewerber, die keinen Anspruch haben, hier zu bleiben, besser werden, schnell besser werden noch in diesem Jahr.

Peter Altmaier

Das beschlossene Asyl-Gesetzespaket, das auch einzelne Änderungen zu Abschiebungen enthält, trete darüber hinaus bereits an diesem Wochenende in Kraft, sagte de Maizière. Danach könnten sofort Maßnahmen zur beschleunigten Rückführung beginnen. In Zukunft würden Abschiebungen zum Beispiel nicht mehr vorher angekündigt. Es sei aber noch nicht gleich am Wochenende mit größeren Abschiebeaktionen zu rechnen, betonte er. „Das muss natürlich human und fair und anständig von statten gehen. Aber die Zahlen werden steigen“, versprach der Minister. Ab wann und in welcher Höhe, das könne er nicht sagen. Damit könnten unter anderem die von Bund und Länder beschlossenen schnelleren Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber und die Umstellung von Geld- auf Sachleistungen bei der Versorgung im Prinzip schon am Wochenende beginnen. Auch der Bau von Unterkünften soll beschleunigt werden. Vorgesehen sind außerdem Milliardenhilfen des Bundes für Länder und Kommunen. Ursprünglich war der 1. November als Zieldatum festgelegt. Kanzleramtschef Peter Altmaier bewertete die raschere Umsetzung der schärferen Asylregelungen als ein gutes Signal. „Wir wollen bei den Abschiebungen der abgelehnten Bewerber, die keinen Anspruch haben, hier zu bleiben, besser werden, schnell besser werden noch in diesem Jahr“, sagte der Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung in der ARD.

Die EU redet und Slowenien geht im Chaos unter

Auf einem Sondertreffen der Regierungschefs der von der Balkanroute betroffenen europäischen Länder am Sonntag soll geklärt werden, wie man mit der anhaltend hohen Zahl an Flüchtlingen und Migranten, die täglich aus der Türkei über Griechenland und die Balkanstaaten Richtung Deutschland kommen, umgehen soll. Die Balkanstaaten haben auf den Ansturm mit sehr unterschiedlichen Maßnahmen reagiert. Ungarn hat seine grüne Grenze zu Serbien und Kroatien mit einem Zaun gesichert, so dass die meisten Flüchtlinge nun über Slowenien nach Österreich weiterreisen. Die EU berät daher auch, wie man dem kleinen Land helfen kann.

Wir müssen an der Festung Europa bauen.

Johanna Mikl-Leitner, österreichische Innenministerin

Dort herrscht zum Teil blankes Chaos. Reporter berichten, dass die Lage „völlig außer Kontrolle“ geraten sei. Die Temperaturen im slowenisch-österreichischen Grenzgebiet in der Nacht liegen nahe dem Gefrierpunkt und viele Flüchtlinge haben keine warme Kleidung. 50.000 Flüchtlinge in den letzten 5 Tagen kamen in Slowenien an. Der Flüchtlingsansturm auf dem Balkan bricht immer neue Rekorde. Slowenien meldete am Freitag über 14.000 Flüchtlinge, die auf der Durchreise nach Österreich und weiter nach Deutschland seien. Am Vortag waren es 12.000. Weil Ungarn seine Grenze zu Serbien und Kroatien mit Stacheldraht abgeriegelt hat, wurde Slowenien zum Brennpunkt in der Flüchtlingskrise. Das Alpen-Adria-Land ist damit heillos überfordert. Die Lage am slowenisch-österreichischen Grenzübergang Spielfeld sei chaotisch, meldete die Nachrichtenagentur APA (Näheres dazu in unserem Bericht). Hunderte Flüchtlinge marschierten am Freitagmorgen auf den viel befahrenen Bahngleisen in Richtung Norden. Die Strecke wurde für den Eisenbahnverkehr gesperrt. Klar ist bei alldem nur eines: Die Menschen wollen meist weiter nach Österreich und Deutschland. Bei einem Besuch der Grenze sagte die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner angesichts des Ansturms: „Wir müssen an der Festung Europa bauen.“ In Spielfeld überrannten Tausende die Sperren, weshalb die Sicherheitsanlagen dort verstärkt wurden. Die Flüchtlinge kommen vor allem aus Syrien, Afghanistan, Pakistan und dem Irak. Sie gönnten sich keine Pausen und strebten schnellstens nach Westeuropa, berichtete eine Mitarbeiterin des Roten Kreuzes der kroatischen Zeitung „Jutarnji list„. Die Flüchtlinge und Migranten befürchteten, die Grenzen könnten doch dauerhaft geschlossen werden.

Kampf gegen Rechtsextreme

Angesichts zunehmender rechtsextremistisch motivierter Gewalt gegen Flüchtlinge will die große Koalition in Berlin die Sicherheitsbehörden massiv ausbauen. „Wir werden nicht zulassen, dass Rechtsextreme den Ruf Deutschlands als weltoffenes Land besudeln“, sagte Thomas Strobl (CDU). Er kündigte eine Stärkung des Verfassungsschutzes an. Auch Burkhard Lischka (SPD) forderte: „Wir brauchen eine erhebliche Personalaufstockung sowohl beim Bundesamt für Verfassungsschutz als auch beim BKA.“

Jetzt wird so richtig sichtbar, wenn der öffentliche Dienst über Normalmaß hinaus belastet wird. Alles ist auf Kante genäht.

Rainer Wendt, DPolG, in der Zeitung „Die Welt“

Laut dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, werden bei der Polizei zwangsweise andere Aufgaben als die Flüchtlingskrise zunehmend vernachlässigt. Die Zahl der Verkehrstoten steige, denn die Verkehrsüberwachung sei teilweise völlig zum Erliegen gekommen, sagte er der Zeitung Welt. Das Ziel, bis 2020 die Zahl der Verkehrstoten um 40 Prozent zu senken, werde man klar verfehlen. „Wir sind jetzt erst bei 16 Prozent.“ Der Gewerkschaftler befürchtet insbesondere bei der Bereitschaftspolizei Defizite, beispielsweise bei der Einbruchskriminalität, bei der sich die Folgen aber noch nicht messen ließen. Auch bei Fußballspielen und Demonstrationen könne man künftig voraussichtlich nicht mehr überall vertreten sein – mit verschiedenen Konsequenzen. Die Stimmung unter den Kräften der Bundespolizei und der bayerischen Landespolizei sei angespannt. Weil die Polizisten nach ihrem Asyleinsatz statt zu ihren Familien in andere Einsätze müssten, etwa zu Fußballspielen oder Demonstrationen, „beginnen Polizistenfamilien auseinanderzubrechen“, so Wendt.

EU: Grenzkontrollen regelkonform

Die Wiedereinführung von Grenzkontrollen in Deutschland und Österreich ist nach Einschätzung der EU-Kommission regelkonform. Die zeitlich begrenzten Maßnahmen seien sowohl notwendig als auch angemessen und entsprächen den Regeln des Schengen-Raums, erklärte die Brüsseler Behörde am Freitag. Die Entscheidungen in Berlin und Wien seien durch eine ernsthafte Bedrohung der inneren Sicherheit und der öffentlichen Ordnung bedingt, die durch den außergewöhnlichen Zustrom von Menschen auf der Suche nach internationalem Schutz hervorgerufen werde. Die Maßnahmen dienten dazu, die Kontrolle zurückzuerlangen. Deutschland hatte die Kontrollen am 13. September eingeführt, Österreich am 16. September. An Landesgrenzen innerhalb des Schengen-Raums sind Kontrollen nur in Ausnahmefällen und zeitlich begrenzt erlaubt. Derartige Maßnahmen müssen von der EU-Kommission genehmigt werden.