Die Belastungsgrenze vieler Kommunen ist erreicht. Die CSU fordert eine andere Asylpolitik. (Bild: Fotolia/cevahir87)
Asylpolitik

Grenzen setzen

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer sieht die politische Verantwortung für die Flüchtlingspolitik nur noch beim Bund. "Wir sind nicht bereit, die Verantwortung für diese Situation zu tragen", sagte Seehofer nach einem Krisentreffen mit den Kommunalpolitikern der Grenzregion zu Österreich am Mittwochabend in Deggendorf. Das ist erneut ein Appell an die Kanzlerin, den Kurs zu ändern.

Seehofer legt die politische Verantwortung für die Flüchtlingskrise damit in die Hände des Bundes. Anlass sind die Nöte Bayerns bei der Unterbringung von täglich mehreren tausend Menschen, die über die österreichische Grenze kommen.

Wenn die Politik der Zuwanderung keine Grenzen setzt, wird die Bevölkerung der Politik Grenzen setzen.

Horst Seehofer

Einen einseitigen bayerischen Aufnahmestopp verkündete Seehofer noch nicht. Stattdessen vereinbarte die Runde, sich in den nächsten Wochen mit provisorischen Notmaßnahmen zu behelfen. Seehofer forderte den Bund auf, Bundesliegenschaften wie die Kasernen zur Verfügung zu stellen und dort in Eigenregie Flüchtlinge unterzubringen. Nach Angaben des bayerischen Landkreispräsidenten Christian Bernreiter (CSU) gehen die Unterbringungsmöglichkeiten rapide zur Neige.

Es gibt keine Container mehr, es gibt keine Betten mehr, es gibt keine Zelte mehr.

Christian Bernreiter

Die Landkreise an der Grenze zu Österreich wollen keine zusätzlichen Flüchtlinge mehr aufnehmen. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hatte deshalb auf Wunsch der Kommunalpolitiker für Mittwochabend das Treffen angesetzt. An dem Gespräch in Deggendorf haben Oberbürgermeister und Landräte aller betroffenen Grenz-Landkreise in Nieder- und Oberbayern teilgenommen. „Wir haben eine besondere Situation in ganz Ostbayern“, erläuterte Seehofer am Rande der CSU-Fraktionssitzung.

Widerstand gegen Merkels Kurs wächst

Manche sprachen von einer denkwürdigen Sitzung der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Auch der CSU-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Fraktionsarbeitsgruppe Innenpolitik, Hans-Peter Uhl, tat das auf Nachfrage des Bayernkurier. Der Grund: „Die unterschiedlichen Standpunkte in der Union wurden kristallklar.“ Im Gegensatz zu einigen Medienmeldungen sei die Sitzung aber „sehr friedlich“ gewesen. Auch der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach sagte dem Sender N24, neben „viel Übereinstimmung“ sei ein „Dissens“ deutlich geworden, „insbesondere bei der Beantwortung der Frage, ob die Flüchtlingskrise zu schaffen sei, wenn die Zugangszahlen so bleiben, wie sie seit August sind“. Da habe es „in der Tat unterschiedliche Einschätzungen“ gegeben.

Merkel sperrte sich weiter dagegen, eine Obergrenze für die Zahl von Asylbewerbern in Deutschland einzuführen, da dies dem Grundgesetz widerspräche und die Gefahr bestünde, dass solche Festlegungen nicht eingehalten werden könnten. Ihr Ziel sei deshalb mehr Solidarität in Europa bei der Verteilung der Flüchtlinge, verstärkte Bekämpfung der Fluchtursachen, engere Zusammenarbeit mit der Türkei und Friedensbemühungen für Syrien. Abgelehnte Asylbewerber sollen zudem schneller abgeschoben werden. Merkel habe „ihren Kurs erläutert und deutlich gemacht, dass sie dabei bleiben wird“, berichtete Bosbach. Laut Teilnehmerkreisen habe Merkel die Erklärung, warum sie die deutsch-österreichische Grenze für Flüchtlinge nicht schließen wolle, mit der rhetorischen Frage ausklingen lassen: „Oder glaubt hier jemand ernsthaft, dass wir Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen können?“ Daraufhin hätten gleich mehrere Abgeordnete spontan „Ja“ gerufen und damit heftigen Applaus ausgelöst.

„Wir dürfen nicht die weiße Fahne hissen“

Abgeordnete hätten die Kanzlerin auch für ihr Nein zu einer Obergrenze für Asylbewerber kritisiert und zu Ihrer Äußerung, die lange deutsche Grenze könne man nicht schützen. Da habe der langjährige Bundespolizist und jetzige Abgeordnete Armin Schuster gesagt, Merkel solle doch der Bundespolizei vertrauen. „Wir können die Grenze schützen, wir haben das gelernt“, soll Schuster laut Uhl sinngemäß gesagt haben. Auch andere Abgeordnete wie der ehemalige Landespolizist Clemens Binninger, Wolfgang Bosbach und Uhl selbst hätten klar gemacht, was man alles machen dürfe. „Wir dürfen nicht die weiße Fahne hissen“, sagte beispielsweise der CDU-Innenpolitiker Binninger. „Wer kontrolliert, muss auch zurückweisen können“, erklärte Uhl. „Und wir dürfen illegale Einwanderer an der Grenze zurückweisen.“ Laut dem CSU-Politiker ist eine Mehrheit in der CDU/CSU-Fraktion für diese Art der Grenzschließung, wenn es so weiter gehen sollte. „Wir haben für unsere Meinungen ständig mehr Applaus bekommen“, sagte Uhl dem Bayernkurier. Mit Schuster, Binninger und Bosbach sprach Uhl am Ende der Sitzung.

Während wir hier reden, kommen heute 10.000 neue Flüchtlinge an, morgen 10.000 und übermorgen 10.000. Wie lange wollen wir noch warten, bis wir handeln?

Hans-Peter Uhl zu Angela Merkel

Zu Merkels Lösungsweg über die Außenpolitik, beispielsweise mit der „durchaus richtigen“ Reise in die Türkei, hat Uhl gewarnt, dass dies keine unmittelbare Wirkung haben werde. „Während wir hier reden, kommen heute 10.000 neue Flüchtlinge an, morgen 10.000 und übermorgen 10.000. Wie lange wollen wir noch warten, bis wir handeln?“, fragte Uhl die Kanzlerin. In zwei Wochen sei wieder Fraktionssitzung. „Wenn bis dahin 140.000 Asylbewerber hinzugekommen sind, dann kann ich mir gut vorstellen, wie dann die Stimmung dort sein wird.“ Um mit Merkels Worten zu sprechen, seien die Grenzkontrollen und Zurückweisungen „alternativlos“, so Uhl zum Bayernkurier. Merkel lehnt dies weiter ab, weil es die kleineren europäischen Ländern auf der sogenannte Balkan-Route ins Chaos stoßen könnte, sollten das große EU-Land Deutschland, und danach Österreich und weitere EU-Staaten die Grenzen schließen. Damit würden die Flüchtlinge sich in Balkanländern wie Serbien stauen, die in große Schwierigkeiten geraten würden. „Wir haben diese Länder gerade erst stabilisiert“, warnte die Kanzlerin. Binninger entgegnete laut Sitzungsteilnehmern, Polen weise sehr viele illegale Einwanderer ab. Dort funktioniert es also.

Ein Staatsvolk, das sich nicht vor illegaler Zuwanderung geschützt fühlt, könnte eine andere Regierung wählen.

Hans-Peter Uhl

Merkel hat auch laut Bosbach im N24-Interview den „glaubwürdigen Eindruck erweckt, sie kennt die Probleme, sie weiß, welche Sorgen die Menschen haben“. Sie sei anders als die Innenpolitiker der Unionsfraktion aber mehr auf die außenpolitische Dimension der Krise fokussiert. Der Münchner CSU-Abgeordnete Uhl mahnte aber in der Sitzung zu mehr Augenmerk auf das eigene Land: „Ein Staatsvolk, das sich nicht vor illegaler Zuwanderung geschützt fühlt, könnte eine andere Regierung wählen.“ In der digitalisierten Welt verstärkten sich solche Stimmungen noch schneller. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte, die Bundesregierung schwäche ihre Verhandlungsposition gegenüber der Türkei, wenn sie die Grenze der Aufnahmefähigkeit verkünde. Viele der Flüchtlinge kommen über die Türkei. Merkel warnte zudem laut Teilnehmern davor, dass ein Signal, die Belastungsgrenze sei erreicht, dazu führen könne, dass sich noch viele vor dem Winter auf den Weg machten.

Kritik beschränkt sich auf eine Sachfrage

Schon Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hatte kürzlich klar gemacht, dass eine unterschiedliche Auffassung in einer zugegeben enorm wichtigen Sachfrage noch lange kein Putsch gegen die Kanzlerin sei. „Wir dürfen doch auch einmal in der Sache diskutieren, ohne dass man dann gleich die Kanzlerin infrage stellt“, stellte auch Unionsfraktionsvize Thomas Strobl (CDU) im ZDF-Morgenmagazin die teilweise sensationsheischenden Presseberichte richtig. Auch der CDU-Abgeordnete Bosbach sagte dem Fernsehsender N24: „Die Kanzlerin kann sich auf die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht zu 80 Prozent verlassen, sondern zu 100 Prozent.“

Nach lebhafter Diskussion billigte die Fraktion schließlich einstimmig das Asylpaket, das am Donnerstag im Bundestag verabschiedet werden soll. Es enthält Verschärfungen des Umgangs mit Asylbewerbern, aber auch Verbesserungen der Integration.

Am Donnerstag gibt Merkel im Bundestag eine Regierungserklärung zu dem später am Tag stattfindenden EU-Gipfel in Brüssel ab, auf dem ebenfalls über Flüchtlingspolitik beraten wird. Auch Seehofer gibt eine Regierungserklärung im Landtag ab.

Immer mehr sagen: „Wir schaffen das nicht!“

Nach einem Bericht der Zeitung „Bild“ unterzeichneten einen in der vergangenen Woche bekanntgewordenen Brandbrief an Merkel inzwischen 126 CDU-Funktions- oder Mandatsträger, darunter 38 Landtagsabgeordnete. Hauptforderung der Initiatoren ist ein Aufnahmestopp für Flüchtlinge, die aus sicheren Drittstaaten nach Deutschland gekommen sind und die Schließung der Grenze. „Die gegenwärtig praktizierte Politik der offenen Grenzen entspricht weder dem europäischen oder deutschen Recht, noch steht sie im Einklang mit dem Programm der CDU. Ein großer Teil der Mitglieder und Wähler unserer Partei fühlt sich daher von der gegenwärtigen Linie der CDU-geführten Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik nicht mehr vertreten“, heißt es in dem Brief. Weiter ist von einem „ungesteuerten Zustrom von täglich mehreren Tausend Flüchtlingen“ die Rede. Die bisher von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen werden zwar begrüßt, sie würden allerdings „nicht zügig und effektiv zu einer Senkung des Flüchtlingszustroms“ nach Deutschland führen. Gefordert wird daher unter anderem die Wiederherstellung der Geltung des europäischen und deutschen Rechts, die Beschleunigung von Abschiebungen und Rücküberstellungen sowie „klare Botschaften zur begrenzten deutschen Aufnahmekapazität“ an die Herkunftsländer und deren Bevölkerung. Nichts anderes also, als die CSU seit Monaten fordert.

Mittelfristig sei ein großzügiges jährliches EU­‐weites Flüchtlingskontingent im Rahmen einer gemeinsamen EU-Asylpolitik anzustreben, das eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU aufbauend auf der kürzlich vom Ministerrat beschlossenen Quote beinhalte. Innerhalb des Kontingents sollte die EU Flüchtlinge vor Ort nach humanitären Gesichtspunkten sowie Verfolgungsrisiken auswählen. „Dabei ist zum Beispiel Familien sowie religiösen Minderheiten eine Priorität einzuräumen“, so der Brief.

Auszug aus dem Brief der zunächst 34 CDU-Mitglieder:

„Hilfe für Flüchtlinge ist uns nicht nur durch die christliche Nächstenliebe geboten. Sie entspricht auch der Programmatik der CDU. Wir freuen uns über die Willkommenskultur in unserem Land sowie die großartigen Anstrengungen der hauptamtlichen und ehrenamtlichen Helfer. Die Aufnahmekapazitäten Deutschlands sind allerdings bis an die Grenzen gespannt und an manchen Orten bereits erschöpft. Dennoch ist in den kommenden Wochen und Monaten mit einem weiteren großen Zustrom von Flüchtlingen zu rechnen. Dabei stehen unserem Land bereits mit den schon angekommenen Flüchtlingen große Herausforderungen bevor. Das gilt vor allem für unsere sozialen Sicherungssysteme und den Bereich der Integration, da der größte Teil der Flüchtlinge in absehbarer Zukunft voraussichtlich nicht in den deutschen Arbeitsmarkt integrierbar sein wird. Außerdem stammt die Mehrheit der Flüchtlinge aus Ländern, deren vorherrschende Gesellschaftsbilder deutlich von unseren westlichen Werten abweichen. Viele unserer grundlegenden Werte werden wir den hier Ankommenden erst noch vermitteln müssen, so den demokratischen Rechtsstaat einschließlich der Meinungsfreiheit, die die Freiheit zur Kritik an Religionen umfasst, das gleichberechtigte und friedliche Nebeneinanderleben der Religionen, die Gleichberechtigung der Geschlechter, die Nichtdiskriminierung von sexuellen Minderheiten oder das Existenzrecht Israels.“

Rund 120 Politiker, darunter CDU-Vorstandsmitglieder, unterzeichneten unterdessen einen Brief unter dem Motto „Wir schaffen das!“.

Unser Land hat Konstanten. Und an diesen Konstanten wird sich nichts ändern. Wir haben das Grundgesetz. Und in diesem Grundgesetz gibt es Grundrechte.

Angela Merkel

Auch bei einem CDU-Regionalkongress im nordsächsischen Schkeuditz wurde die Parteivorsitzende kritisiert. Teilnehmer der Zukunftskonferenz mit den Landesverbänden von Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen warfen ihr sogar Versagen vor. Weite Teile der Bevölkerung könnten Merkels „Wir schaffen das“ nicht mehr hören, sagte eines der knapp 1000 anwesenden CDU-Mitglieder, darunter auch zahlreiche Amts- und Mandatsträger aus den ostdeutschen Bundesländern. In weiteren Wortmeldungen wurden die Grenzschließung oder eine Grundgesetzänderung gefordert, so dass ab einer gewissen Zahl auch keine Asylberechtigten mehr aufgenommen werden dürfen. Deutschland drohe in eine „nationale Katastrophe“ zu schlittern, sollte der Zuzug nicht gestoppt werden, warnte ein Teilnehmer. Merkel erwiderte, dass eine Grenzschließung kaum möglich sei. „Da haben Sie schon mit einem Zaun Mühe“, sagte sie mit Blick auf die Sicherung der EU-Außengrenze in Ungarn, die den Flüchtlingszustrom nicht aufgehalten habe. Sie unterstrich, dass das Recht auf Asyl und auf Schutz vor Bürgerkrieg und Verfolgung ein Recht sei, das prinzipiell jedem Menschen zustehe. Menschen mit Bleibeperspektive müsse deshalb auch eine Perspektive in Deutschland geboten werden. Zugleich müssten die Menschen, die nicht bleiben könnten, in ihre Heimat zurückgeführt werden. „Wir können sie ordentlich behandeln, aber wir müssen die Kraft aufbringen, dann auch zu sagen, ihr müsst wieder nach Hause zurück. Und da müssen wir sagen, sind wir noch längst nicht gut genug“, so Merkel. Angst vor kultureller Veränderung sei unbegründet. „Unser Land hat Konstanten. Und an diesen Konstanten wird sich nichts ändern. Wir haben das Grundgesetz. Und in diesem Grundgesetz gibt es Grundrechte“, sagte Merkel. Dazu zähle die Gleichheit von Mann und Frau; auch die Wirtschaftsordnung der sozialen Marktwirtschaft bilde eine solche Konstante.

CSU will Familiennachzug begrenzen

Ein weiteres Problem ist der Familiennachzug. Die derzeitige Rechtslage garantiert jedem anerkannten Asylbewerber, dass er innerhalb von drei Monaten nach seiner Anerkennung seine Familie, also Ehepartner und Kinder, ohne Bedingung nachholen kann. Später muss er dann unter anderem ausreichenden Wohnraum vorweisen können, was in der Praxis aber offenbar selten eingefordert wird. Dieses Recht will die CSU ändern.

Lassen wir nun auch noch den Familiennachzug zu, wie ihn die derzeitige Rechtslage erlaubt, dann müssen wir die aktuellen Zuwandererzahlen möglicherweise mit einem Faktor drei oder vier multiplizieren.

Hans-Peter Uhl

„Wir müssen den Familiennachzug begrenzen. Dabei will ich keine Personengruppen von vornherein ausschließen, auch nicht die Menschen aus Bürgerkriegsgebieten wie Syrien, die ja ohnehin nur ein zeitlich begrenztes Bleiberecht erhalten“, sagte Uhl der Zeitung „Die Welt“. Uhl hält die Zahl der Menschen sonst für nicht mehr kontrollierbar. „Wir sehen uns mit einer ungeheuren Menge an Einwanderern konfrontiert. Diese Menge als solche ist schon kaum noch zu bewältigen. Lassen wir nun auch noch den Familiennachzug zu, wie ihn die derzeitige Rechtslage erlaubt, dann müssen wir die aktuellen Zuwandererzahlen möglicherweise mit einem Faktor drei oder vier multiplizieren.“ Und diese Schätzungen sind eher vorsichtig. „Der Familiennachzug belastet unsere Sozialsysteme über Gebühr.“

Gleicher Auffassung ist der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU). Er sagte ebenfalls in der „Welt“ : „Es ist in Anbetracht der exorbitant hohen Zahlen nicht sachgerecht, es jedem Syrer zuzugestehen, seine Familie nachzuholen.“ Man müsse zudem darüber nachdenken, ob man neben nationalem Recht nicht auch die EU-Richtlinie aus dem Jahr 2001 ändern müsse. Diese regelt den Nachzug der „Kernfamilie“. Zu mehr als 66 Prozent sind die Flüchtlinge Männer.

Als wir die Zahl genannt haben, wurde in Afghanistan verbreitet, dass Deutschland 800.000 Afghanen einlade und man sich sputen müsse, noch darunter zu sein.

Thomas de Maizière

Auf die Frage, wie viele Menschen in den nächsten Monaten oder Jahren durch den Familiennachzug nach Deutschland kommen könnten, erwiderte Innenminister Thomas de Maizière: „Nein, ich möchte keine neuen Zahlen nennen. Wir haben eine hohe Unsicherheit über die weitere Entwicklung. Außerdem werden momentan alle Zahlen missbraucht – entweder zur Verunsicherung der eigenen Bevölkerung oder zur Ankurbelung des Geschäfts für Schleuser.“ Ein Beispiel sei die Prognose über 800.000 Flüchtlinge, die man in diesem Jahr aufgrund der Zugangszahlen erwartete. „Als wir die Zahl genannt haben, wurde in Afghanistan verbreitet, dass Deutschland 800.000 Afghanen einlade und man sich sputen müsse, noch darunter zu sein“, so de Maizière weiter.

Sozialleistungen für Flüchtlinge kürzen?

„Bei den Sozialleistungen für Flüchtlinge gibt es Handlungsbedarf“, fügte Mayer in der „Passauer Neuen Presse“ hinzu. Man schaffe im Asyl-Maßnahmenpaket nun die Voraussetzungen dafür, „dass für einen erweiterten Personenkreis von Asylbewerbern die Möglichkeit besteht, Sozialleistungen deutlich abzusenken“, so Mayer. Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) brachte geringere Finanzhilfen für anerkannte Flüchtlinge ins Gespräch, die Hartz IV bekommen können. Es stelle sich die Frage, ob man „Menschen, denen wir jetzt erst mal die Sprache und zum Teil Lesen und Schreiben beibringen müssen, vom ersten Tag genau so viel mit Hartz IV zahlen sollen wie jemandem, der 30 Jahre gearbeitet hat und jetzt arbeitslos ist“. Schäuble will darum den Hartz-IV-Satz für Flüchtlinge senken. „Können wir nicht wenigstens die Kosten für die Eingliederungsleistungen abziehen?“, fragte Schäuble in Berlin. „Wir werden darüber noch diskutieren müssen.“ Das Sozialministerium rechnet für nächstes Jahr mit 240.000 bis 460.000 neuen Leistungsempfängern. „Wir werden diese Aufgabe meistern und wir wollen das ohne neue Schulden schaffen“, sagte Schäuble bei einem Kongress von Maschinen- und Anlagenbauern in Berlin.

Die Stimmung in der Bevölkerung kippt

Laut einer repräsentativen Erhebung des Meinungsforschungsinstituts YouGov halten 56 Prozent der Bundesbürger die Asylbewerberzahlen inzwischen für zu hoch. Mitte September hatten sich nur 46 Prozent der Befragten dieser Aussage angeschlossen. Umgekehrt sehen mittlerweile nur noch 19 Prozent der Umfrageteilnehmer Deutschland in der Lage, weitere Asylsuchende aufzunehmen (vorher 28 Prozent). Auch die Einschätzung von Kanzlerin Merkel („Wir schaffen das“) teilen demnach bloß noch 32 Prozent der Bundesbürger (43 Prozent bei der letzten Befragung Anfang September). Doppelt so viele sind inzwischen der gegenteiligen Meinung (vorher 51 Prozent).

Das hier sollte für die Kanzlerin eigentlich eine Warnung sein: Die höchste Zustimmung für Angela Merkels Position wird mit 82 Prozent bei den Anhängern der Grünen registriert.

Auch der aktuelle sternRTL-Wahltrend lieferte mit einer repräsentativen Forsa-Umfrage Aufschlussreiches zu den Positionen von Angela Merkel und Horst Seehofer in der Flüchtlingspolitik. Nach der aktuellen Umfrage teilen 45 Prozent der wahlberechtigten Bundesbürger die Haltung der Kanzlerin und 42 Prozent die Position des bayerischen Ministerpräsidenten. Der Unterschied zu YouGov hat vor allem eine Ursache: Dass man offenbar die Sachfrage mit den Namen Seehofer und Merkel verbunden hat. Bayern haben es aber insbesondere in Westdeutschland zumindest bei einem Teil der Bevölkerung schwer, um es vorsichtig auszudrücken. Es gibt auch regionale Unterschiede in der Umfrage: Während in Bayern und Ostdeutschland 53 beziehungsweise 52 Prozent Seehofers Position zustimmen, sind es in Westdeutschland ohne Bayern 37 Prozent. Von den Anhängern der CDU halten 49 Prozent, von denen der CSU aber nur 25 Prozent Merkels Position für richtig. Mit 64 Prozent ist die Unterstützung Seehofers unter CSU-Anhängern deutlich größer als im Durchschnitt aller Bundesbürger oder Bayern. Und das hier sollte für die Kanzlerin eigentlich eine Warnung sein: Die höchste Zustimmung für Angela Merkels Position wird mit 82 Prozent bei den Anhängern der Grünen registriert.

Polizei: Gewalttätige Asylbewerber konsequent abschieben

Polizeigewerkschaft und Kommunen fordern die konsequente Abschiebung gewalttätiger Flüchtlinge. Bei diesen Menschen müsse das Asylverfahren im Eilverfahren entschieden werden, sagte der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, am Mittwoch in Berlin. Zudem sollten solche Flüchtlinge nicht gegen die Ablehnung ihres Asylbegehrens juristisch vorgehen können. Alle Flüchtlinge müssten über deutsche Normen aufgeklärt werden, so der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Wendt: „Die Menschen müssen wissen, was sie bei uns dürfen und was sie nicht dürfen.“ Polizeigewerkschaft und Kommunalverband verlangten zudem einen besseren Schutz der Flüchtlingsunterkünfte vor ausländerfeindlichen Angriffen und härtere Strafen für „Hasskriminalität“. Auch das Einschüchtern von Kommunalpolitikern, wenn man sich beispielsweise vor deren Wohnhäusern versammele, müsse künftig strafbar sein. Auch Landsberg warnte, in den Gemeinden drohe die Stimmung der Bürger zu kippen. Wendt sagte, ein Teil der Polizei sei mit den Kräften am Ende. Allein in Hamburg seien Einsatzkräfte wegen Schlägereien in Flüchtlingsheimen rund 1000 Mal in diesem Jahr ausgerückt. Daher brauche es mehr Polizisten.

Fast alle Flüchtlinge drängen in die Ballungsräume und Großstädte.

Uwe Brandl, Bayerischer Gemeindetagspräsident

Bei der Eröffnung der Messe „Kommunale“ in Nürnberg sagte der bayerische Gemeindetagspräsident Uwe Brandl: „Der ländliche Raum, der ausreichend Wohnraum und Unterbringungsmöglichkeiten sowie vielfältige Chancen bereithält, scheint für die Flüchtlinge nicht attraktiv zu sein. Fast alle drängen in die Ballungsräume und Großstädte. Alle staatlichen und kommunalen Ebenen müssen zusammenarbeiten, um dieses Problem zu lösen.“

Ferner wies Brandl darauf hin, dass die Landratsämter derzeit massiv das Personal in ihren Jugendämtern aufstockten. „Dies hat Auswirkungen auf die Kreisumlage, die die Gemeinden, Märkte und Städte zu bezahlen haben. Hier muss der Staat eine faire Kostenerstattung sicherstellen“, so der Abensberger Bürgermeister. Außerdem forderte er eine Übernahme der kommunalen Ausgaben im Hinblick auf die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, deren Betreuung von den Bezirken finanziert wird. „12.000 dieser Jugendlichen befinden sich gegenwärtig in Bayern. Pro Person fallen Kosten von 6.000 Euro im Monat an, dies sind für 2016 über 720 Millionen Euro, die wiederum über Umlagen an die Kommunen weitergereicht werden. Wir brauchen hier dringend eine tragfähige finanzielle Lösung!“ Und dabei ist nicht eingerechnet, dass nächstes Jahr noch viel mehr unbegleitete Minderjährige kommen könnten.

Brandl forderte außerdem:

  • umfassende Fördermittel für den Wohnungsbau.
  • gemeinsame und durchfinanzierte Instrumente, um die Integration in Gesellschaft, Sprache und Arbeit schnell voran zu bringen.
  • die Übernahme der Personalkosten für die Asylbearbeitung und die Beratung an den staatlichen Landratsämtern und in den Unterkünften.
  • ein eigenes Asylleistungsgesetz, das die Sach-, Geld- und Betreuungsleistungen für alle Asylbewerber regelt.
  • klare Signale der Bundesregierung an die anderen Mitgliedstaaten der EU, dass Deutschland europäische Solidarität erwartet und nicht unbegrenzt Hilfe leisten kann.

Grünes Land, andere Realität

Die bayerischen Grünen dagegen wollen laut den Leitanträgen für ihren Parteitag am Wochenende in Bad Windsheim die Kommunen verpflichten, so viele Flüchtlinge aufzunehmen, wie es zwei Prozent ihrer Einwohnerzahl entspricht. In der realen Welt haben viele Kommunen diesen Wert längst überschritten, weil eine faire Verteilung der vielen Asylbewerber gar nicht mehr möglich ist. Jede Unterkunft wird genommen, egal, wo sie steht. Starre Quoten sind in der aktuellen Lage nicht flexibel genug und deshalb Unsinn.

Auch die Bremer Grünen, die den Asylkompromiss von Bund und Ländern abgelehnt haben, zeigen zum wiederholten Male, dass diese Partei nicht geeignet ist, Verantwortung für unser Land zu tragen. Damit muss sich Bremen nach dem Koalitionsvertrag bei der Abstimmung im Bundesrat am Freitag enthalten – oder die beiden Landesvertreter unterschiedlich abstimmen. Dieses Verhalten hat den Bremer Koalitionspartner SPD massiv verärgert.

(dpa/avd)