Die Mär vom gut ausgebildeten Flüchtling
Der Wirtschaftsflügel der Union warnt ebenso wie Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner vor einer zu optimistischen Prognose bei der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. In der Realität wird es erhebliche Probleme geben, den Arbeitsmarkt adäquat für Flüchtlinge zu öffnen. Auch an Ihrer Bildung und Ausbildung bestehen erhebliche Zweifel.
Arbeitsmarkt

Die Mär vom gut ausgebildeten Flüchtling

Der Wirtschaftsflügel der Union warnt ebenso wie Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner vor einer zu optimistischen Prognose bei der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. In der Realität wird es erhebliche Probleme geben, den Arbeitsmarkt adäquat für Flüchtlinge zu öffnen. Auch an Ihrer Bildung und Ausbildung bestehen erhebliche Zweifel.

„Es ist verständlich, wenn die Bundeskanzlerin in diesen Tagen Optimismus verbreitet“, erklärte der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung von CDU und CSU (MIT), Carsten Linnemann (CDU), gegenüber dem „Handelsblatt“ und forderte gleichzeitig: „Dabei ist aber wichtig, dass wir realistisch bleiben und Schwierigkeiten nicht schönreden.“ Die unbequeme Wahrheit laute vielmehr, dass es schwierig werde, Flüchtlinge in Jobs zu bringen:

Die Mehrheit der Flüchtlinge, die zu uns kommen, hat kurz- bis mittelfristig keine Chance, auf unserem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Dies belegen Stichproben, die von der Bundesagentur für Arbeit gemacht wurden: Nur etwa zehn Prozent der registrierten Flüchtlinge sind auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar.

Carsten Linnemann im Handelsblatt

Die überragende Mehrheit werde dagegen sehr lange bis dauerhaft auf die Hilfe des Staates angewiesen sein, so Linnemanns Prognose. Außerdem glaubt der CDU-Wirtschaftsexperte, dass sich das Fachkräfteproblem nicht über das Asylrecht lösen lasse. Vielmehr warnt er davor, „die Debatte um ein Einwanderungsgesetz mit der Flüchtlingsdebatte zu vermischen. Wer das Asylrecht nicht strikt vom Einwanderungsrecht trennt, weckt neue Begehrlichkeiten und die Hoffnung, das Asylrecht als Eintrittskarte in unseren Arbeitsmarkt nutzen zu können. Wer an dieser Schraube dreht, droht sie zu überdrehen und das Asylrecht auszuhebeln“. Unabhängig davon ist es für Linnemann „keine Frage“, dass die Wirtschaft ihren Beitrag leisten müsse, „um Flüchtlinge in unsere Gesellschaft zu integrieren“. Aber auch dafür gelte: „Es ist nötig, die Probleme offen anzusprechen, um sie lösen zu können. Nur dann können wir es auch wirklich schaffen.“

Aigner: Die Zahl der Analphabeten steigt

Ähnlich hat sich jetzt Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner geäußert. Sie bezweifelte in der „Passauer Neuen Presse“ (PNP), dass die Flüchtlinge zur Linderung des Fachkräftemangels beitragen können. „Die Geschichte vom gut ausgebildeten Flüchtling stimmt nicht. Über ein Drittel der Menschen, die zu uns kommen, haben nur eine Grundschul- oder gar keine Schulbildung. Die Zahl der Analphabeten steigt“, sagte sie. Es werde immer deutlicher, dass Flüchtlinge bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels nur sehr begrenzt helfen könnten, so Aigner.

„Kein Mensch absolviert ohne Sprachkenntnisse erfolgreich eine Ausbildung“, betonte die Ministerin in der PNP. Wichtig sei daher vor allem anderen der Spracherwerb, wofür der Bund mehr Mittel zur Verfügung stellen müsse. Ein weiteres Problem laut Aigner: „Bayerns Jobcenter sind besonders unterfinanziert, weil erfolgreichere Jobcenter derzeit noch weniger Mittel bekommen als andere.“ Auch hier müsse nachgesteuert werden. Den Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylbewerber erleichtern will Aigner nicht: „Wir werden bald allein 300.000 Syrer als Flüchtlinge anerkannt haben. Für sie gibt es keinerlei Beschränkungen auf dem Arbeitsmarkt.“ Man dürfe zudem keine neuen Anreize zur Flucht schaffen.

Auch andere zweifeln

Auch nach Ansicht des CDU-Bundestagsabgeordneten Thomas Bareiß ist es „schlichtweg unrealistisch“ zu glauben, Deutschland könne alleine mit Flüchtlingen den Fachkräftebedarf decken. „15 bis 20 Prozent können weder schreiben noch lesen.“ Ein Großteil der anderen beherrsche nur die arabische Schrift.

Das Institut für Arbeits- und Berufsforschung (IAB) hatte bei einer Stichprobe 2013 unter anerkannten Flüchtlingen festgestellt, dass 13 Prozent der Untersuchten ein Hochschulstudium abgeschlossen hatten und 24 Prozent über einen mittleren Bildungsabschluss verfügten. 58 Prozent aber hatten keinerlei Berufsausbildung (der Bayernkurier berichtete). Nach einer ebenfalls nicht repräsentativen Befragung der Lawetz Stiftung 2015 waren es sogar rund zwei Drittel der Befragten, die über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügten. Hinzu kommt, dass die Ausbildung in den Herkunftsländern fast nie deutschen Standards entspricht. Auch haben viele der Asylbewerber in ihrer Heimat nie in einem Job gearbeitet, der ihrer Ausbildung entspricht, sondern oft als einfache Tagelöhner oder Handwerker.

Weitere „Vermittlungshemmnisse“: Trauma und Analphabeten

Obendrauf kommen weitere Hürden, in der Sprache der Bundesagentur für Arbeit auch „Vermittlungshemmnisse“ genannt. Neben teilweise komplett fehlender schulischer Bildung kommen Flucht-Traumata, fehlende Zertifikate über die Bildungsabschlüsse und vor allem mangelnde Sprachkenntnisse zum Tragen. Zuletzt hat eine Studie der TU München ergeben, dass knapp ein Viertel der Flüchtlingskinder aufgrund ihrer Kriegs- und Fluchterlebnisse unter einer „manifesten Posttraumatischen Belastungsstörung“ (PTBS) leiden. Sie leiden unter Schlaflosigkeit, Wutausbrüchen und Konzentrationsschwierigkeiten, teilweise sind sie selbstmordgefährdet. Wie sie ohne vorherige, oft langwierige Therapie in den Schulalltag integriert werden sollen, stellt ein weiteres Problem auf dem Weg zu einer guten Ausbildung dar. Nach Ansicht der Bundespsychotherapeutenkammer ist sogar mindestens die Hälfte aller Flüchtlinge in Deutschland psychisch schwer krank. Von diesen psychisch Kranken unter den Flüchtlingen litten 40 bis 50 Prozent unter PTBS, wovon wiederum rund 40 Prozent schon mal Suizidgedanken hegten.

Auch ein Blick auf die Analphabeten-Raten in den Herkunftsländern lohnt. Die zehn Länder, aus denen derzeit die meisten Asylbewerber nach Deutschland kommen, sind Syrien (13,6 Prozent Analphabeten bei den über 15-Jährigen), Albanien (2,4 Prozent), Afghanistan (61,8 Prozent), Irak (20,3 Prozent), Serbien (1,9 Prozent), Mazedonien (2,2 Prozent), Eritrea (26,2 Prozent), Kosovo (8,1 Prozent), Nigeria (40,4 Prozent) und Pakistan (42,1 Prozent). Wer aber nicht mal lesen oder schreiben kann, wie soll der eine deutsche Ausbildung absolvieren?

Thema auch bei MU-Landesversammlung

In einen offenen Diskurs will kommenden Samstag auch die Mittelstands-Union (MU) der CSU bei ihrer Landesversammlung in Deggendorf treten. Dort werden EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) und MIT-Vorsitzender Linnemann neben dem Veranstaltungsmotto „Erwirtschaften vor Verteilen – Leistung muss sich lohnen!“ auch über die aktuelle Frage der Wirtschaft zur Integration der großen Zahl von Flüchtlingen, die in Deutschland Schutz suchen, referieren. MU-Landesvorsitzender Hans Michelbach, MdB, sagte zur Position der MU bezüglich der Flüchtlinge und dem deutschen Arbeitsmarkt bereits im Vorfeld:

Gerade jetzt in der Flüchtlingskrise gilt: Wohlstand und Arbeitsplätze bleiben nur sicher, wenn Mittelstand und Mittelschicht, als Leistungsträger unserer Gesellschaft, von Bürokratien, Steuern und Abgaben entlastet werden. Noch läuft die Konjunktur und sprudeln die Steuern. Wir müssen den Hilfsbedürftigen helfen – aber auch die Helfenden wirksam entlasten: Mittelstand und Mittelschicht tragen den Löwenanteil der Steuern und Abgaben. Integration gelingt am Ende nur, wenn dem Mittelstand die Kraft bleibt, die notwendigen zusätzlichen Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern.

Hans Michelbach

Europa im Gesamten ist gefordert

Auch Europa braucht laut Michelbach einen starken Mittelstand, um handlungsfähig zu bleiben. Europas Zukunft müsse deshalb „Soziale Marktwirtschaft“ und nicht „Transferunion und Schuldenvergemeinschaftung“ heißen. Die MU formuliert deshalb in ihrem Leitantrag, der am Samstag zur Abstimmung stehen wird:

Kein anderes Wirtschaftssystem ist so menschenfreundlich, freiheitsfreundlich und solidarisch wie die Soziale Marktwirtschaft. Wir wollen das deutsche Erfolgsmodell der Sozialen Marktwirtschaft in der Gesetzgebung und in den Verträgen der EU verankern. Das muss insbesondere auch im Hinblick auf die Gesetzgebung und besondere Regeln für kleine und mittelständische Unternehmen gelten.

Auszug aus MU-Leitantrag

Einer starken EU bedürfe es wiederum, um im weltweiten Wettbewerb und in weltweiten Krisen bestehen zu können, so die MU. „Die EU kann aber nur dann zum Besten ihrer Bürger und der Nationen wirken, wenn in ihr die Grundsätze der Freiheit, Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft (wieder) gelten“, heißt es dazu weiter in dem Leitantrag. Auf jenen Grundsätzen müsse eine engere europäische Zusammenarbeit fußen. Denn Europa dürfe nicht auf Kosten einzelner Länder arbeiten. „Das betrifft alle politischen Bereiche. In diesem Sinne unterstützen wir Verhandlungen über eine schlankere, bürgernähere – und damit stärkere EU“, fordert die MU.

(dia/avd)