Ansturm von Asylbewerbern am Münchner Hauptbahnhof. Bild: Wolfram Göll
Asylpolitik

Ein Fehler, der uns noch lange beschäftigen wird

Bayern fordert mehr Unterstützung für Ungarn zum Schutz der EU-Außengrenzen. Kritik gab es an der Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Asylbewerber aus Ungarn unregistriert und unter Missachtung der Dublin-Regeln ins Land zu lassen. "Das war ein Fehler, der uns noch lange beschäftigen wird", sagte Ministerpräsident Horst Seehofer auf "Spiegel-online".

Bayern fordert mehr Unterstützung für Ungarn zum Schutz der EU-Außengrenzen. Zur Bewältigung der hohen Flüchtlingszahlen müsse alles getan werden, um das Schengen-Abkommen unbedingt aufrecht zu erhalten und zu schützen, teilte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer am Freitag nach einem Telefonat mit dem ungarischen Premierminister Viktor Orban mit. „Jetzt geht es deshalb darum, alles zu unternehmen und zu unterstützen, was den Schutz der EU-Außengrenzen sicherstellt. Hier ist gerade Ungarn auf Hilfe, Unterstützung und Zusammenarbeit aller EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Institutionen angewiesen.“ Seehofer und Orban sind demnach der Überzeugung, „dass der wirksamste Schlüssel zur Lösung der aktuellen Probleme darin liegt, die bestehenden europäischen Regeln und Mechanismen uneingeschränkt anzuwenden beziehungsweise wieder herzustellen“. Die Landtags-CSU gab am Freitag zudem bekannt, Orban zur Herbstklausur am 23. September ins oberfränkische Kloster Banz in Bad Staffelstein einzuladen.

Allein am Wochenende sollen 40.000 Flüchtlinge kommen

Unterdessen rechnet die Bundesregierung an diesem Wochenende mit der Ankunft von zehntausenden weiteren Flüchtlingen in Deutschland. „Ich habe gerade die letzten dramatischen Zahlen bekommen: Wir erwarten allein für die nächsten zwei Tage, am Wochenende, circa 40.000 Flüchtlinge aus den südlichen und südöstlichen Nachbarländern“, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Freitag in Prag. Das wären rund doppelt so viele wie am vergangenen Wochenende, als die Bundesregierung in Absprache mit Wien und Budapest beschlossen hatte, Tausenden Flüchtlingen aus Ungarn die Einreise ohne bürokratische Hürden und Kontrollen zu erlauben. Daraufhin waren bis Montag rund 20.000 Migranten nach Deutschland gekommen, überwiegend nach München.

Das war ein Fehler, der uns noch lange beschäftigen wird. Ich sehe keine Möglichkeit, den Stöpsel wieder auf die Flasche zu kriegen.

Horst Seehofer

Zu dieser Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland fahren zu lassen, sagte CSU-Chef Horst Seehofer Spiegel-Online: „Das war ein Fehler, der uns noch lange beschäftigen wird. Ich sehe keine Möglichkeit, den Stöpsel wieder auf die Flasche zu kriegen.“ Deutschland komme bald in eine nicht mehr zu beherrschende Notlage. Damit stellte sich der Ministerpräsident hinter die scharfe Kritik des ehemaligen Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrich, der Merkels Entscheidung in der Passauer Neuen Presse eine „beispiellose politische Fehlleistung“ genannt hatte, insbesondere wegen der fehlenden Kontrollen und der ausbleibenden Registrierung. Das werde „verheerende Spätfolgen“ haben. Der CSU-Politiker warnte davor, dass unter den Flüchtlingen auch eine schwer abschätzbare Zahl von IS-Kämpfern und islamistischen Schläfern sein könnte. Er hoffe, dass dieses nicht noch zu einem bösen Erwachen führen werde: „Ich bin jedenfalls überzeugt, dass kein anderes Land der Welt sich so naiv und blauäugig einer solchen Gefahr aussetzen würde.“ Die Sicherheitsbehörden haben der Passauer Neuen Presse zufolge schon 29 erwiesene Syrien-Kämpfer unter Asylbewerbern identifiziert.

Der Zustrom und die Sogwirkung werden erkennbar immer größer. Das beginnt uns zu überfordern.

Markus Söder

Auch andere CSU-Politiker kritisierten Merkel. Bayerns Finanzminister Markus Söder mahnte in einem Interview mit dem Münchner Merkur: „Der Zustrom und die Sogwirkung werden erkennbar immer größer. Das beginnt uns zu überfordern.“ Die Willkommenskultur und Hilfsbereitschaft der Menschen seien beeindruckend. „Aber die Vernunft sagt, dass das langfristig Folgen haben wird. Wenn in diesem Jahr mehr Menschen zuwandern, als hier geboren werden, wirkt sich das auf die kulturelle Statik einer Gesellschaft aus.“ Deutschland verändere sich derzeit „grundlegender, als wir im Moment vermuten“. Söder sagte zudem am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“», auch er sei sich nicht sicher, ob bei den Bürgerkriegsflüchtlingen „nicht auch der eine oder andere vielleicht auch Bürgerkrieger dabei ist“.

Seit die Bundesregierung erklärt hat, keine syrischen Flüchtlinge mehr in andere europäische Länder zurückzuführen, also die Dublin-III-Regelung außer Kraft zu setzen, hat der Flüchtlingszustrom ungeahnte Ausmaße angenommen.

Thomas Kreuzer

Über die Balkanroute drängen währenddessen immer mehr Flüchtlinge nach Westeuropa. „Seit die Bundesregierung erklärt hat, keine syrischen Flüchtlinge mehr in andere europäische Länder zurückzuführen, also die Dublin-III-Regelung außer Kraft zu setzen, hat der Flüchtlingszustrom ungeahnte Ausmaße angenommen“, sagte auch CSU-Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer. Die Zahlen geben ihm Recht: Auch südlich von Ungarn sind Tausende Menschen unterwegs in Richtung Norden. In Serbien wurden allein am Donnerstag 5540 Menschen registriert, wie Regierungschef Aleksandar Vucic berichtete – ein neuer Tagesrekord. Bisher waren im Schnitt nicht mehr als 2000 Migranten aus Mazedonien in Serbien angekommen.

Droht eine Überlastung?

Nach Angaben des österreichischen Innenministeriums kamen seit Montag ungefähr 16.000 Flüchtlinge bei Nickelsdorf über die ungarische Grenze. Der Zugverkehr zwischen Österreich und Ungarn soll deshalb am Wochenende wegen „massiver Überlastung“ weiter eingestellt bleiben. Seit vergangenem Samstag trafen in der bayerischen Landeshauptstadt München rund 40.000 Menschen ein.

Bayerns Sozialministerin Emilia Müller rief in München auch private Vermieter zur Entlastung bei der Unterbringung von Asylbewerber auf: „Täglich kommen über 6.000 Asylbewerber alleine in München an. Das bringt ganz Bayern an seine Belastungsgrenze, denn wir verteilen die Menschen auf alle Regierungsbezirke. Dabei brauchen wir jeden Platz, um die Schutzsuchenden bei uns menschlich unterzubringen. Über 17.000 anerkannte Asylbewerber in Bayern könnten sofort aus unseren Unterkünften ausziehen. Sie finden jedoch keinen Wohnraum. Viele Vermieter wissen gar nicht, dass anerkannte Asylbewerber nicht in Gemeinschaftsunterkünften wohnen müssen. Jeder Vermieter, der an einen auszugsberechtigten Asylbewerber vermietet, trägt zur Entlastung unserer Unterbringungskapazitäten bei.“

Die CDU-Vorsitzende Merkel bekräftigte dagegen erneut, dass Deutschland die Aufgabe bewältigen könne. Die wirtschaftliche Lage sei derzeit gut, sagte Merkel der Rheinischen Post: „Die Kosten für die Aufnahme der Flüchtlinge können wir tragen.“ Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), wies die Kritik von Friedrich zurück. „Ich halte das Verhalten der Regierung und das der Bundeskanzlerin für eine der größten Leistungen, die sie bisher erbracht haben“, sagte Röttgen am Freitag im ARD-Morgenmagazin.

(Quelle: dpa)