Die Kassen brauchen mehr Geld für teure Medikamente: Der Zusatzbeitrag könnte 2016 um durchschnittlich 0,3 Prozent steigen. Den Arbeitnehmer würde das 9 Euro kosten. Bild: Imago
Kassen im Minus

Gesetzliche Krankenversicherung wird teurer

Gesetzlich Krankenversicherte werden voraussichtlich ab 2016 stärker zur Kasse gebeten. Sie sollen für das Defizit aufkommen, das AOK und Co. seit diesem Jahr einfahren. In der ersten Jahreshälfte klafft eine Lücke von einer halben Milliarde Euro. Die Arbeitgeber lehnen eine Kostenbeteiligung ab.

Neue Medikamente wie zum Beispiel das Hepatitis-C-Mittel Sovaldi kosten viel Geld, Tarife von Ärzten sind gestiegen, in den Krankenhäusern kommt es zu Kostensprüngen, und auch die Pflege wird nicht billiger: Die Gründe für die Mehrkosten, die den Kassen die Budgets sprengen, sind vielfältig. Florian Lanz, Sprecher des GKV Spitzenverbandes, bestätigte gestern entsprechende Medienberichte. Diese würden ein „durchaus realistisches Bild zeichnen“, sagte er. „Wir gehen davon aus, dass es im ersten Halbjahr ein Defizit von rund einer halben Milliarde Euro gegeben hat“, sagte er, wies aber darauf hin, dass es erst in der kommenden Woche exakte Zahlen geben werde, wenn das Bundesgesundheitsministerium sie zusammengefasst und veröffentlicht hat.

Finanzielle Polster schmelzen

Das „Handelsblatt“ hatte in dieser Woche schon einmal den Taschenrechner bemüht: Demnach kommen die Innungskrankenkassen auf ein Halbjahresminus von 118 Millionen Euro, die Betriebskassen auf 100 Millionen, die Ersatzkassen auf 191 Millionen und die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) auf eine Defizit von 110 Millionen Euro. Die stattlichen Polster der Kassen beginnen also zu schmelzen. Ende vergangenen Jahres hatte die Gesetzliche Krankenversicherung noch insgesamt 28 Milliarden Euro Rücklagen, 12,5 Milliarden davon im Gesundheitsfonds.

Trotz der vorhandenen Reserven werden mehrere Kassen an der Beitragsschraube drehen müssen – auch, weil die Rücklagen ungleich verteilt sind. Seit diesem Jahr liegt der Beitrag zur Gesetzlichen Krankenversicherung bei 14,6 Prozent. Arbeitgeber und Arbeitnehmer tragen je die Hälfte. Dazu kommt ein Zusatzbeitrag, den die Kassen je nach Finanzlage regelmäßig neu bestimmen dürfen. Ihn muss allein der Arbeitnehmer schultern, und der Zusatzbeitrag dürfte laut GKV 2016 nun um durchschnittlich 0,3 Prozent steigen.

Koalition uneinig

In der Koalition gibt es bereits erste Meinungsverschiedenheiten darüber, wer die Zeche zahlen soll. Nur der Arbeitnehmer oder auch der Arbeitgeber? Rund 9 Euro mehr müssten die Arbeitnehmer ab 2016 von ihren Löhnen abführen, und die SPD ist schon jetzt empört: Die Belastung, die jetzt komme, könne nicht allein vom Arbeitnehmer getragen werden, „das ist unverhältnismäßig“, schimpfte der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach und forderte, auch den Arbeitgeber bei künftigen Steigerungen des Zusatzbeitrages in die Pflicht zu nehmen. Damit wären die Genossen dann drauf und dran, ihre eigenen Ideen über Bord zu werfen: „Es war die Idee der rot-grünen Bundesregierung, das damals so zu machen“, verweist Georg Nüßlein (CSU), stellvertretender Vorsitzender der Unions-Fraktion im Bundestag, auf die bestehende Regelung, die er beibehalten möchte. Letztlich gehe es um Arbeitsplätze und Arbeitskosten an der Stelle, macht der CSU-Politiker klar. „Und ich halte es immer noch für durchaus richtig, auf diese Arbeitsplätze noch Rücksicht zu nehmen.“

Wirtschaft warnt vor Anstieg der Arbeitskosten

Der Forderung vom festgeschriebenen Arbeitgeberbeitrag abzurücken und ihn für Beitragserhöhungen zu öffnen, erteilt auch die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) eine Absage: „Die Arbeitgeber übernehmen nach wie vor einen deutlich höheren Kostenanteil an der Krankheitskostenfinanzierung“, verdeutlicht vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt.

Das würde der Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen schaden.

Bertram Brossardt, vbw-Hauptgeschäftsführer

Die Kosten für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall würden komplett von Arbeitgeberseite getragen. „Allein dieser Posten beläuft sich mit jährlich knapp 34 Milliarden Euro auf umgerechnet rund drei Prozentpunkte“, sagt der Hauptgeschäftsführer, der auch vor einem Anstieg der Arbeitskosten warnt, sollten die Arbeitgeber noch mehr bezahlen müssen. „Das würde der Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen schaden.“ Die vbw fordert nach dem Minus der Gesetzlichen Krankenkassen nun von der Politik eine zukunftsfähige Ausgestaltung des Gesundheitssystems und verweist auf ihr eigenes Konzept „Regionale Gesundheits-Kombi“.

Das Bundesgesundheitsministerium will sich derzeit noch nicht zu Beitragserhöhungen äußern. Prognosen über den Zusatzbeitrag soll es im Herbst geben.