Tausende Migranten kommen derzeit aus Mazedonien nach Serbien, wie hier bei Presevo. Ihr Ziel ist meistens Deutschland. Bild: Imago/HaloPix/PIXSELL
Asylpolitik

Deutschland ist selber schuld

In einem Interview des "Handelsblattes" hat Serbiens Premier Aleksandar Vucic Deutschland vorgeworfen, am Flüchtlingsstrom aus den Balkanstaaten mitverantwortlich zu sein. Er forderte die Bundesrepublik auf, "die finanziellen Hilfen für Flüchtlinge aus dem Westbalkan deutlich" zu senken. Dann werde sich das Problem mit Migranten vom Westbalkan "sehr schnell" lösen. Kritik kommt auch aus der EU.

Aktualisiert am 26. August, 15:30 Uhr

Das habe er sowohl der Bundesregierung als auch den Ministerpräsidenten der Länder wie beispielsweise Horst Seehofer gesagt. Vucic sprach aus, wofür man in Deutschland gleich als Rassist abgestempelt wird: „Wenn wir von Flüchtlingen vom Westbalkan sprechen, handelt es sich zum allergrößten Teil um Roma. Sie wollen nur an die finanziellen Hilfen des deutschen Staates kommen. “

Auch die EU-Kommission gibt Deutschland indirekt selber schuld an der Flüchtlingswelle: Deutschland ist nach Angaben aus Brüssel derzeit der einzige EU-Staat, der Flüchtlinge aus Syrien nicht systematisch in EU-Ersteinreiseländer wie Italien oder Griechenland zurückschickt. „Wir begrüßen diesen Akt europäischer Solidarität“, lobte eine Sprecherin der EU-Kommission am Dienstag in Brüssel. Für die EU-Kommission zeige die deutsche Entscheidung, dass es nicht möglich sei, die Länder an den EU-Außengrenzen mit dem Flüchtlingsstrom alleinzulassen. Dann folgte ein Seitenhieb, warum das deutsche Klagen auch selbst verschuldet ist: Es seien derzeit jedoch keine anderen EU-Staaten bekannt, die wie Deutschland auf eine Anwendung der sogenannten Dublin-Verordnung verzichteten, so die EU-Sprecherin. Diese sieht vor, dass derjenige Mitgliedstaat, in dem ein Asylbewerber erstmals europäischen Boden betritt, für das Asylverfahren verantwortlich ist.

Bearbeitungszeit dauert viel zu lang

Einen weiteren Punkt für selbst verschuldete Probleme hat die Zeitung „Die Welt“ ermittelt: Deutschland braucht besonders lange für die Bearbeitung von Asylanträgen. Aktuell liegt die durchschnittliche Bearbeitungszeit der Asylanträge laut Bundesamt für Migration bei 5,4 Monaten – nach der Antragstellung, die jedoch nicht immer sofort nach der Einreise erfolgt. Die Schweiz dagegen bearbeitet seit 2012 Asylgesuche von Bürgern aus Balkanstaaten in nur 48 Stunden. Die Zahl der Anträge aus diesen Ländern ging in den Folgejahren zwischen 30 und 90 Prozent zurück. Leicht abgewandelt wurde das Verfahren nun auch für die afrikanischen Herkunftsstaaten Marokko, Nigeria und Tunesien eingesetzt, wo es in 35 bis 65 Tagen erledigt wird. Norwegen bearbeitet laut „Welt“ bereits seit 14 Jahren Asylanträge von Personen aus sicheren Staaten in maximal 48 Stunden. Und 80 Prozent aller Anträge in den Niederlanden wurden innerhalb einer Woche bearbeitet, auch wenn sich durch den Ansturm diese Zeitspanne verlängert hat. Auch Schweden war früher schneller (meist innerhalb von drei Wochen), braucht aber durch die vielen Flüchtlinge mittlerweile im Schnitt fünf Monate.

CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer fährt am Mittwoch in ein Asylzentrum in Zürich. Dort will er sich ein Bild von der Schweizer Verfahrenspraxis machen, die ein mögliches Vorbild für Deutschland sein könnte. So verteile die Schweiz Bewerber nicht mehr im ganzen Land, sondern behandle die Anträge in Asylzentren, in denen auch Richter angerufen werden können.

Asylbewerber bekommen in Dänemark künftig deutlich weniger Geld zum Leben. Das Parlament beschloss am Mittwoch mit 56 zu 50 Stimmen eine Asylreform, die die Hilfen für Flüchtlinge kräftig kürzt. Alleinstehende ohne Kinder erhalten danach beispielsweise im Monat noch knapp 6000 dänische Kronen (knapp 800 Euro) vor Steuern statt knapp 11 000 Kronen (rund 1450 Euro). Die Reform, die am 1. September in Kraft tritt, ist ein Prestigeprojekt der neuen liberalen Minderheitsregierung. Sie soll es für Flüchtlinge weniger attraktiv machen, nach Dänemark zu kommen. Durchsetzen konnten die Liberalen ihr Vorhaben mit den Stimmen der anderen bürgerlichen Parteien, darunter die rechtspopulistische Dänische Volkspartei, die sich für einen kompletten Asylstopp einsetzt.

 

Stabilität für den Balkan

Weiter sagte der serbische Premier im Handelsblatt, dass sein Land gut mit den vielen Flüchtlingen umgehe, die über die Türkei, Griechenland und Mazedonien ins Land strömen. „Wir tun unser Bestes“, so Vucic. Nahe der Hauptstadt Belgrad sowie in Nordserbien werde derzeit je ein Aufnahmelager für rund 1000 Migranten gebaut. Dazu gebe es eines in Südserbien. Aber allein könne man das Problem auch angesichts des nahenden Winters nicht lösen, Europa müsse enger zusammenarbeiten. In einer Nacht habe man 3000 Flüchtlinge über die Grenze zurückgebracht und 5000 weitere akzeptiert. Auch der serbische Premier kritisierte die griechischen Behörden, die „offenbar keine Verpflichtung verspüren, die Flüchtlinge zu registrieren“. Zu Ungarns Zaunbau merkte Vucic an: „Zäune zu bauen, löst kein einziges Problem in Europa. Die Migranten werden ganz einfache andere Routen auf ihrem Weg nach Westeuropa finden.“ Für die am Donnerstag in Wien stattfindende Westbalkan-Konferenz forderte er als Ziel „politische und wirtschaftliche Stabilität auf dem Balkan“. Dafür brauche es Unterstützung: „Wir wollen auf einen Pfad des Wachstums zurückkehren.“ Lob gab es für die deutsche Regierung, die schon länger „wie keine andere Regierung in der EU“ der Region so viel Aufmerksamkeit schenke.

Deutsche Helfer auf dem Balkan

Die Forderung, man müsse jetzt endlich mal den Balkan unterstützten, wird von Deutschland schon erfüllt. Insgesamt hat laut der Zeitung „Die Welt“ die Bundesrepublik diese Region mit mehr als vier Milliarden Euro unterstützt, als direkte Hilfen oder als Kredite. Serbien erhielt seit 2000 mehr als 1,6 Milliarden Euro. Es gibt Kredite für kleine und mittlere Unternehmen, ein Kataster wird aufgebaut ebenso wie die Energieversorgung, die Abwasser- und Abfallentsorgung. Albanien erhielt seit 1988 mehr als 800 Millionen Euro Entwicklungshilfe. Hilfen gab es beispielsweise für die Berufsbildung, die Trinkwasserversorgung und den Bau von Kläranlagen. Der Kosovo bekam seit 1999 fast eine halbe Milliarde Euro. Deutschland hilft bei der Berufsausbildung und beim Aufbau einer effizienten Energieversorgung. Die Hilfen für Bosnien-Herzegowina betragen seit 1993 rund 370 Millionen Euro, für Montenegro 320 Millionen Euro seit 1999 und für Mazedonien 350 Millionen Euro seit 1992.

Die GIZ eröffnet Chancen

Vor Ort leistet beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH im Auftrag der Bundesregierung einen Beitrag dazu, zum einen für die Menschen neue Chancen auf den Arbeitsmärkten in den jeweiligen Ländern zu eröffnen, aber auch Wege für eine legale Migration als Fachkraft nach Deutschland aufzuzeigen.

In Serbien zum Beispiel bleiben trotz hoher Arbeitslosigkeit viele technische Stellen unbesetzt, da es nicht ausreichend qualifiziertes Fachpersonal gibt. Die GIZ unterstützt die serbische Regierung an acht Schulen bei der Einführung eines dualen Ausbildungsmodells, das eine Kooperation mit Unternehmen vorsieht. 2014 startete der erste Jahrgang mit 380 Schülerinnen und Schülern mit der reformierten Ausbildung. „Die Jugendlichen verbessern ihre Berufsperspektiven maßgeblich“, sagt Heinz-Dieter Harbers, GIZ Projektleiter in Belgrad. „Unsere Azubis sind durch ihre Qualifikationen sehr gefragt und mit dem Praxisteil im Unternehmen können europäische Ausbildungsstandards erreicht werden.“

Von der Vermittlung profitieren Unternehmen in Deutschland, die Fachkräfte selbst und die Herkunftsländer – ein dreifacher Gewinn.

Ganz konkret steuert die GIZ dem Fachkräftemangel in Deutschland mit dem Projekt „Triple Win“ entgegen. Zusammen mit der Zentrale für Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit vermittelt die GIZ Pflegekräfte aus Serbien und Bosnien-Herzegowina, die in ihren Heimatländern nur schwer einen Job finden können. Die Teilnehmer werden intensiv von der GIZ begleitet und nehmen bereits vor Ort an Sprach- und Fachkursen teil. Von der Vermittlung profitieren Unternehmen in Deutschland, die Fachkräfte selbst und die Herkunftsländer – ein dreifacher Gewinn. Bis dato wurden aus den beiden Ländern 323 Pflegekräfte (170 Serbien, 153 Bosnien) vermittelt, von denen 271 bereits in Deutschland arbeiten (140 Serben, 131 Bosnier). „Das Angebot wird nicht nur von den Pflegekräften, sondern auch von den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen in Deutschland sehr gut angenommen“, sagt Björn Gruber von der GIZ.

Chancen für Akademiker aus dem Balkan und Osteuropa

Perspektiven für Akademiker ermöglicht die GIZ mit dem Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft durch das Zoran-Djindjic-Stipendienprogramm. Seit 2004 konnten 500 Studenten aus sieben osteuropäischen Ländern als Praktikanten für einige Monate in deutsche Unternehmen vermittelt werden. Neben Sprachkursen und Fachseminaren hilft das Praktikum den Studenten sich ein Netzwerk aufzubauen und die Berufsaussichten zu verbessern.

Seit Mai 2015 gibt es in Kosovo ein Informationscenter, das zu den Beschäftigungsoptionen vor Ort und den Möglichkeiten und Voraussetzungen der legalen Migration nach Deutschland informiert. Gemeinsam mit dem kosovarischen Arbeitsministerium werden den Interessenten zunächst die Möglichkeiten im Kosovo selbst aufgezeigt. Hier wird auch auf das existierende deutsche Angebot in Kosovo hinsichtlich qualifizierter Ausbildung und Berufsvorbereitung sowie Beschäftigungs- und Wirtschaftsförderung hingewiesen und Workshops unter anderem zum Thema Existenzgründung, Start-Ups und Beschäftigungsmöglichkeiten vor Ort angeboten. Neben der Information über Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland werden auch Bewerbungstrainings angeboten. Nina Theiss, GIZ Projektleiterin in Priština, klärt mit drei kosovarischen Kollegen über Engpassprofile und nötige Qualifizierungen auf: „Wir wollen Alternativen aufzeigen. Viele der Menschen, die zu uns kommen sind nicht nur qualifiziert, sondern auch hoch motiviert. Ihr Wunsch ist es Arbeit zu finden.“

(Quellen: GIZ, Handelsblatt, Welt)