Rechte Gewalttaten nehmen in Ostdeutschland immer mehr zu. (Bild: Fotolia/G. Sanders)
Studie zum Rechtsextremismus

Was nicht passt, wird passend gemacht

Ausländerfeindlichkeit in Deutschland ist laut einer Studie der Leipziger Universität in den neuen Bundesländern und in Bayern am stärksten vertreten. An den Ergebnissen gibt es große Zweifel.

Leipzig/München – Ausländerfeindlichkeit in Deutschland ist laut einer Studie der Leipziger Universität in den neuen Bundesländern und in Bayern am stärksten vertreten. An den Ergebnissen gibt es große Zweifel.

Natürlich gibt es Rechtsextreme in Bayern, wie leider im gesamten Bundesgebiet. Die Studie aber dreht sich darum, wie weit rechtsextreme Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft verbreitet sind. Seit 2002 veröffentlichen die Leipziger Forscher alle zwei Jahre „Studien“ zu Einstellungen wie Ausländerfeindlichkeit oder Antisemitismus. Aus dem Studienrahmen fällt Bayern, wo viele Ausländer leben und trotzdem jeder Dritte (33,1 Prozent) ausländerfeindliche Einstellungen und jeder Achte (12,6 Prozent) antisemitischen Aussagen zustimmt. Angeblich.

Die Auftraggeber – Die Forscher

Die erste Kritik entzündet sich am Auftraggeber des speziell für Bayern ausgekoppelten Teils: Es sind die bayerischen Landtags-Grünen. „Wes‘ Brot ich ess, des‘ Lied ich sing“, so heißt ein Sprichwort. Mehrere Hunderttausend Euro wendet Bayern jedes Jahr für den Kampf gegen Rechtsextreme auf, natürlich nicht genug für die Grünen. Auch die Bayern-SPD stimmt ein und gibt wie die Grünen der CSU-Forderung „Wer betrügt, der fliegt“ eine Mitschuld. Es ist egal, dass das geplante NPD-Verbot eine Initiative Bayerns ist. Egal, dass gerade der Antisemitismus durch die Staatsregierung präventiv und repressiv bekämpft wird. Linksextremismus oder islamistischer Extremismus existieren für die Leipziger Forscher scheinbar nicht. Wenn man eine „Mitte-Studie“ macht, müsste man dann aber nicht auch diese Positionen abfragen? Der Extremismusforscher Eckhard Jesse jedenfalls kritisiert genau diesen Punkt und nennt die Vorgehensweise der Leipziger „ideologisch geleitet“, „analytisch irreführend“ und „inhaltlich fragwürdig“. Der Berliner Politikwissenschaftler Klaus Schroeder warf den Verfassern bereits 2010 vor, eine „linke Kampfschrift gegen liberale und konservative Auffassungen und die hiesige Gesellschaftsordnung“ veröffentlicht zu haben. Das findet sich in den umständlichen Erläuterungen der aktuellen Studie wieder, in denen antiautoritäre Erziehung positiv, Leistung und Sanktionsmöglichkeiten für Transferleistungsempfänger negativ besetzt sowie Disziplin als „gewaltvoll“ definiert wird. Da werden die Kapitalismuskritiker Theodor Adorno und Max Horkheimer zitiert und in einer Randbemerkung liest man von einer Kooperation mit der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung bis 2012.

Die Methoden

Es gab je drei Aussagen in den sechs Kategorien

  • Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur,
  • Chauvinismus,
  • Ausländerfeindlichkeit,
  • Antisemitismus,
  • Sozialdarwinismus,
  • Verharmlosung des Nationalsozialismus,

nach denen in Leipzig schon die Gesinnung der Menschen festgestellt wurde. Missverständlich, pauschal und schlicht falsch seien die Fragen, das sind die Vorwürfe aus der Wissenschaft. Die meisten Menschen haben eine viel differenziertere Auffassung, als die vorgegebenen Antworten zulassen. Schon allein das Wort „Ausländer“ würden viele Menschen untergliedern in EU-Bürger und Nicht-EU-Bürger, in christlich-abendländische und andere Kulturkreise. Die, die differenzieren, nehmen an solchen Umfragen vermutlich gar nicht erst teil – hier 45,3 Prozent der Angefragten. Es gab fünf verschiedene Formen der Zustimmung, von „Stimme voll zu“ (5 Punkte) bis „Lehne voll ab“ (1 Punkt). Wer alle Aussagen einer Kategorie bejahte oder mehr als 12 Punkte erzielte, galt als rechtsextrem.

Lauter Chauvis!

In der Kategorie „Chauvinismus“, der „Überhöhung der Eigengruppe, in diesem Falle der Nation“ lag Bayern mit 26,4 Prozent vorn. Die drei Aussagen dazu:

  • „Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben“,
  • „Das oberste Ziel deutscher Politik sollte es sein, Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht“ und
  • „Was unser Land heute braucht, ist ein hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland“.

Wer bejaht, soll rechtsextrem sein? Ja, so die Verfasser wenig überzeugend, weil die Überhöhung der Eigengruppe oft mit der Abwertung der Anderen einhergehe. „Ein starkes Nationalgefühl dient bereits als Indikator für rechtsextreme Gesinnung?“, zweifelt Innenminister Joachim Herrmann. „Das ist natürlich Schmarrn. Ein starkes Heimatgefühl muss nicht gleich eine rechte Gesinnung bedeuten – ganz im Gegenteil. Normalerweise macht es stark“, so BR-Journalistin Regina Kirschner. „In keinem anderen Land würde eine breite Zustimmung hierfür zu einer öffentlichen Debatte über Rechtsextremismus führen“, sagt der Politikwissenschaftler Schroeder.

Überall Ausländerfeinde?

Die drei Fragen zur Ausländerfeindlichkeit lauteten:

  • „Ist die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“,
  • „Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken“ sowie
  • „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“.

Beim näheren Hinsehen tauchen Fragen auf: Wie wird „Überfremdung“ definiert und wann beginnt sie? Ist Skepsis bei einem Flüchtlingsansturm wirklich schon Rechtsextremismus? Klaus Schroeder sagt: „Man darf nicht gleich Leute, die Bedenken äußern, in die rechte oder Rechtsaußen-Ecke stellen, sondern muss ihren Bedenken Rechnung tragen und muss ganz sachlich und nüchtern antworten.“ Nachfragen ergäben sicher auch hier, dass viele die pauschale Aussage zum Sozialstaat nur bejaht haben, weil sie bei vielen, aber nicht bei allen Ausländern ein solches Motiv vermuten. Außerdem: Jeder ist sich selbst der Nächste, sei es beim Arbeitsplatz oder einer Wohnung. Ausländer werden hier also als Konkurrenten, nicht als Feinde betrachtet. Schwarz-Weiß-Denken ohne Graustufen, das ist oft Bestandteil linker Missionierung. Welchen Einfluss haben Medienberichte über den Missbrauch des Sozialstaats durch Asylbewerber? Aus dem Kosovo und Serbien kamen zuletzt ganze Busladungen, um hier echte oder vermeintliche Sozialleistungen zu kassieren. 6702 Nichtdeutsche waren 2014 allein in Bayern wegen des Erschleichens von Leistungen tatverdächtig, die Dunkelziffer nicht eingerechnet. Im Dezember 2014 erhielten rund 83 000 Bulgaren und Rumänen Hartz-IV-Grundsicherung, 2013 waren es nur 45 000.

Antisemitismus: Alle in einem Topf

Bei den Fragen zum Antisemitismus wurde nicht berücksichtigt, ob die Aussagen möglicherweise von Moslems oder Linken stammen. „Wir sehen bei radikalisierten Muslimen sicherlich erhebliche antisemitische Tendenzen, eine vor Jahren kaum vorstellbare Allianz aus radikalisierten Muslimen auf der einen Seite, Links- und Rechtsextremen auf der anderen Seite“, warnte der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, jetzt in der Bild. Einen besonderen Antisemitismus in Bayern hat er „bislang nicht wahrgenommen“.

Islam-Hass oder Islam-Angst?

In die aktuelle Befragung sind weitere Aussagen eingeflossen, darunter je zwei zur Islamfeindschaft und zur Abwertung von Asylbewerbern sowie drei für die Ablehnung von Sinti und Roma. Hier reichte es, wenn den Aussagen „eher“ oder „voll und ganz“ zugestimmt wurde. Es gab kaum Unterschiede zwischen Bayern und dem Bund. 46 Prozent der Bayern forderten, Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland zu untersagen. 35,5 Prozent der Befragten fühlten sich „durch die vielen Muslime wie ein Fremder im eigenen Land“. Ob man aber angesichts der zahlreichen islamistischen Anschläge der jüngeren Zeit die Angst vor Moslems gleich als rechtsradikal werten sollte, kann man bezweifeln. Auch fordern viele Berichte über Zwangsheiraten, Genitalverstümmelungen, Schandemorde, Burka- und Kopftuchzwang geradezu zu einer kritischen Haltung zum Islam auf. Jedenfalls, wenn man Wert auf unser Grundgesetz legt. Für die Autoren existiert eine Bedrohung durch Muslime nur für „vorurteilsbehaftete“ Kritiker – schon weil der Islam kein einheitlicher Block sei. Warum fragen sie dann aber nach „den Muslimen“?

Sinti und Roma

45,7 Prozent sagten, dass Sinti und Roma zur Kriminalität neigen. Die Realität: Unter den 2014 in Bayern ermittelten 302 986 Tatverdächtigen waren 113 896 Nichtdeutsche, also 37,6 Prozent. Der Anteil der nichtdeutschen Einwohner Bayerns liegt bei 9,6 Prozent. Tatsächlich ist der Anteil ausländischer Tatverdächtiger in Relation also viel höher als bei Deutschen. Ob das auch auf die nicht gesondert geführten Sinti und Roma zutrifft, ist unklar. Unter allen Tatverdächtigen waren 2621 Bulgaren, 2391 Ungarn, 10 237 Rumänen, 3829 Kosovaren und 4264 Serben, die Hauptherkunftsländer der Sinti und Roma.

Asylbewerber: Alles Verfolgte?

Die Aussage „Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat großzügig sein“ lehnten 79,8 Prozent der Bayern ab. Kein Wunder angesichts der aktuellen Flüchtlingswelle. 54,8 Prozent der Bayern vermuten, dass „die meisten Asylbewerber in ihrer Heimat nicht wirklich verfolgt“ werden. Fakt ist: 52,5 Prozent aller Asylanträge in Bayern werden nicht anerkannt. Asylberechtigt sind nur 0,3 Prozent der Asylbewerber, weitere 47,2 Prozent werden nicht anerkannt, aber ihnen wird ein Schutzgrund zugebilligt.

Dumme Rechtsextreme

Auch die Höhe des Bildungsabschlusses spielte in der Studie eine Rolle: im Schnitt waren 6,8 Prozent der Abiturienten ausländerfeindlich, aber 20,8 Prozent der Nichtabiturienten. Bekannt ist, dass bayerische Mittel- und Realschüler oft das Niveau von Gymnasiasten aus anderen Bundesländern haben. Diese höhere Bildung müsste deshalb im Sinne der Autoren eigentlich weniger Ausländerfeindlichkeit als im Bund zur Folge haben. Doch weit gefehlt: 19,3 Prozent bayerischer Abiturienten und 35 Prozent der Nichtabiturienten sollen „ausländerfeindlich“ sein.

Wer wählt rechts?

Schließlich die Wahlfrage: Danach sind mehr SPD-Wähler chauvinistisch (14,5 Prozent) und ausländerfeindlich (17,9) als Unionswähler (12,5 und 17,1). Sie befürworten auch eher eine Diktatur (2,8 zu 2,1) und verharmlosen mehr den Nationalsozialismus (3 zu 1,7). Auch Linken-Wähler erreichen fast die gleichen Werte. Die als rechtsextrem Eingestuften wählen zu 21,4 Prozent die Union, 24,6 Prozent die SPD, 7,1 Prozent die Linke. Nur die Grünen sind überall gut bewertet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Christen ohne Nächstenliebe

Unerklärliche Sprünge auch bei den Konfessionen: In Bayern sind 36,8 Prozent der Evangelischen ausländerfeindlich (Bund: 17,9 Prozent), 32,1 Prozent der Katholiken (21,5), 32,8 Prozent der Konfessionslosen (15,7). Das christliche Gebot der Nächstenliebe wird scheinbar von einem Drittel der bayerischen Christen ignoriert!

Auch die Fakten sprechen gegen die Studie

Schließlich sprechen auch die Fakten gegen die angeblich rechtsradikalen Bayern: Andere Studien belegen eine hohe Zufriedenheit von Migranten gerade in Bayern. Wie kann das sein? Und der Integrationsbeauftragte Martin Neumeyer erlebt viele „hilfsbereite, offene Bürger, die ausländische Menschen bereitwillig unterstützen“. Die Kriminalstatistik weist für den Freistaat keinen höheren Wert bei Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund auf. Bei der Landtagswahl erzielten die Republikaner 1,0 Prozent, die NPD 0,6 Prozent, zusammen 1,6 Prozent. In Nordrhein-Westfalen waren es 2012 insgesamt zwei Prozent für Pro NRW und NPD. Die Autoren erklären das mit der Wirtschaftsstärke und der hohen Parteienbindung in Bayern. Was nicht passt, wird passend gemacht. Eine Studie von Klaus Schroeder ergab kürzlich, dass einzelne linksextreme Einstellungen in der Bevölkerung weit verbreitet sind. Danach waren 42 Prozent der Ansicht, Sozialismus sei eine gute Idee, die nur schlecht umgesetzt wurde.

Widersprüche in der Studie

Die Studie selbst zeigt Widersprüche: Das Bekenntnis zur Demokratie als Idee war mit 95,6 Prozent nirgendwo so hoch wie in Bayern. „Die demokratische Einstellung ist wohl das beste Mittel gegen die rechtsextreme Ideologie“, heißt es in der Studie. Wie passt das? Und wie können 6,4 Prozent in Bayern eine rechtsautoritäre Diktatur befürworten, wenn schon 95,6 Prozent sich zur Demokratie bekennen? Diese staatstragenden Kräfte sollen zum Teil rechtsextrem denken? Bayern passt wegen seines hohen Ausländeranteils nicht in das gewünschte Bild, dass mehr Ausländer für mehr Toleranz bei Einheimischen sorgen. Also schieben die Autoren den Ausreißer auf „spezifische Kulturen“ wie den – negativ gewerteten – „Bayerischen Patriotismus“.

Als Fazit bleibt klar zu sagen: Jeder Ausländerfeind und Antisemit ist einer zu viel. Aber diese fehlerhafte Studie taugt nicht dazu, rechtsextreme Einstellungen zu ermitteln.