Christian Schmidt, Bundeslandwirtschaftsminister und Chef des Evangelischen Arbeitskreises der CSU. (Foto: BMEL/Thomas Köhler)
Insektizide

Tod im Bienenstock

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt will den Schutz von Bienen verbessern. Wie die "Bild"-Zeitung am Dienstag berichtete, unterzeichnete Schmidt aus diesem Grund eine Eilverordnung, die den Handel und die Aussaat mit Insektizide-behandeltem Wintergetreide-Saatgut verbietet.
Die Saatgutbehandlung mit Pflanzenschutzmitteln mit bestimmten Neonikotinoiden ist in Deutschland bei Wintergetreide bereits untersagt. Doch es kann nicht ausgeschlossen werden, dass behandeltes Saatgut aus anderen Ländern importiert wird. Schmidt sagte der Zeitung: „Mit der Verordnung schützen wir die Bienen vor insektizid-haltigem Staub. Das nützt sowohl den Bienen als wichtigem Teil der Natur als auch den Bauern, die auf die Bestäubung ihrer Pflanzen durch die Bienen angewiesen sind.“ Experten befürchten, dass die Mittel zum gegenwärtig beobachteten Bienensterben beitragen. „Die Vitalität und Gesundheit der für die gesamte Natur und uns Menschen so wichtigen Bienen zu schützen ist mir ein großes Anliegen“, sagte der Minister.

Das Bienensterben

2006 wurde zum ersten Mal in Europa über das Phänomen „Bienensterben“ berichtet. Im gleichen Jahr wurde in den USA der Begriff „Colony Collapse Disorder“ geprägt. Allerdings schienen sich die Bienenvölker wieder zu erholen. Heuer haben aber nach Schätzungen der Imker in Deutschland rund 22,3 Prozent der Bienenvölker den vergangenen Winter nicht überlebt, mancherorts sogar bis zu 30 Prozent. Normalerweise sind es wie 2014 nur zehn Prozent. Bei insgesamt etwa 750.000 Bienenvölkern in Deutschland ergebe sich im Winter 2015 ein Verlust von 225.000 Völkern, so Petra Friedrich, die Sprecherin des Deutschen Imkerbundes. Besonders hohe Verluste gab es nach Angaben der Organisation in Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und dem Saarland. Die Abstände zwischen Jahren mit hohen Verlustraten werden kürzer. „Früher gab es einen Peak wie in diesem Jahr etwa alle zehn bis 15 Jahre“, erklärt Friedrich“, „heute eher alle zwei bis drei Jahre.“ Hauptursache sei, dass die Bienen aufgrund des milden Herbstes geschwächt in den Winter gingen. Dies habe sie anfälliger für den Befall mit Varroa-Milben, dem in den 70er Jahren aus Asien eingewanderten Hauptschädling europäischer Bienen, gemacht. Sie ernährt sich vom Blut der Bienen. Zudem können über die Bisswunden, die die Milben den Bienen zufügen, krank machende Viren in die Insekten eindringen. Verantwortlich dafür ist auch die jahrhundertlange Bienenzucht: So ist die in Amerika beheimatete, angriffslustige Afrikanisierte Honigbiene, bekannt als „Killerbiene“, gegen die Varroa-Milbe weitgehend gefeit, da ihr die Fähigkeit zur Gegenwehr noch nicht weggezüchtet wurde. Ein Grund sind aber auch die für Bienen ungeeigneten Monokulturen in der Landwirtschaft. Wenn die Pollenversorgung schlecht ausfällt, leiden die Bienen an Eiweißmangel und haben der Milbe weniger entgegenzusetzen. Außerdem wird die Nahrung für Bienen durch diese Veränderungen in der Landwirtschaft insgesamt knapper. Ein weiteres Risiko stellt die industrielle Massentierhaltung auch bei Bienen dar, die immer höheren Medikamenteneinsatz erfordert.

Immer neue Gefahren

Neben der Varroa-Milbe und den Monokulturen in der Landwirtschaft müssen sich Imker auch auf immer neue Gefahren für ihre Bienen einstellen. Neu hinzu gekommen sind Kirschessigfliege, asiatische Hornisse und kleiner Beutenkäfer sowie der Nosema-Pilz, verschiedene Viren und die noch unklare Gefahr durch in der Landwirtschaft eingesetzte Insektizide. Der bisher nur in Süditalien verbreitete Beutenkäfer legt in die Ritzen und Spalten des Stockes seine Larven ab, die die Vorräte und die Brut der Bienen auffressen. Die Kirschessigfliege, die bereits auch in Bayern fliegt, am liebsten überreife rote Früchte ansticht und darin ihre Eier ablegt, bringe gleich auf zwei Wegen Gefahren mit sich, sagte Ingrid Illies, Bienenexpertin der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) im fränkischen Veitshöchheim Anfang Juli. Die Bienen sammeln den ausgetretenen Saft und verunreinigen so den Honig. Und die Pflanzenschutzmittel gegen die Fliege sind nicht immer ungefährlich für die Bienen. Die Asiatische Hornisse wurde 2014 erstmals in Freiburg gesehen. „Bei ihrer Ausbreitungsgeschwindigkeit ist davon auszugehen, dass wir sie schon im nächsten Jahr hier haben“, schätzte Illies. Wie die heimische Hornisse jage das exotische Insekt Bienen, aber viel effektiver: „Die scheinen sich abzusprechen, entscheiden sich für ein Bienenvolk, überwachen das aus der Luft und fangen alle heimkehrenden Bienen ab.“ Die LWG stellte den bayerischen Imkern am 12. Juli in Veitshöchheim die neuen Schädlinge vor. „Wir wollen die Imker rechtzeitig informieren, damit sich darauf einstellen können und nicht in Hysterie verfallen“, so Illies. Gegen den Pilz Nosema hilft derzeit nur ein Antibiotikum, das in Deutschland verboten ist. Tödlich war kurioserweise auch der Poststreik vor ein paar Wochen: Die oft in Paketen an Imker versendeten Bienenköniginnen blieben liegen und verendeten.

Die Gefahr durch Insektizide

In der jüngeren Vergangenheit lieferten außerdem mehrere Studien Hinweise darauf, dass Insektizide Bienen beeinträchtigen können, zum Beispiel indem sie ihr Lernvermögen und ihre Orientierungsfähigkeit stören. Diese Neonicotinoide könnten damit auch zum gegenwärtig beobachteten Bienensterben beitragen, fürchten Experten. Diese Befürchtungen waren Anlass für das Moratorium, das am 1. Dezember 2013 in Kraft trat. Die Anwendung der Neonicotinoide Imidacloprid, Thiamethoxam und Clothianidin wurde damit vorübergehend stark eingeschränkt, um in weiteren wissenschaftliche Studien das Gefährdungspotenzial genauer zu prüfen. Es handelt sich um synthetisch hergestellte Wirkstoffe, die zur Bekämpfung von Pflanzenschädlingen eingesetzt werden. Wird das Saatgut damit behandelt, verteilen sich die Mittel beim Wachstum auf die gesamte Pflanze, sind also später auch im Pollen und Nektar zu finden. Das Moratorium ist aber kein vollständiges Verbot, sondern nur eine eingeschränkte Zulassung. Man darf in Teilen Europas immer noch das Wintergetreide und im Gewächshaus spritzen. Diese eingeschränkte Zulassung läuft Ende 2015 aus.

Das ist wie Nikotin für Bienen.

Nun melden sich die Wissenschaftler, die die EU beraten, zu Wort. Sie bestätigen, dass der Einsatz bestimmter Gifte für das Bienensterben verantwortlich ist. Dem Bericht der Wissenschaftler zufolge sind vom Einsatz der Insektizide nicht nur Honigbienen, sondern auch Motten und Schmetterlinge betroffen, die ebenfalls Pflanzen bestäuben. Auch auf insektenfressende Vögel hätten die Pestizide Auswirkungen. Weitere Studien fanden heraus, dass Bienen mit Neonicotinoiden behandelte Pflanzen bevorzugt ansteuern und in ihrem Nervensystem die gleichen Mechanismen hervorruft wie Nikotin im Gehirn von Menschen.

Unter Verdacht

Es könnte aber noch viel schlimmer werden: Auch einige Imker berichten, dass Bienen aus dem Stock zum Pollensammeln ausfliegen und bei der Rückkehr verenden, oft noch vor dem Bienenstock. Varoa-Milben wurden auf vielen von ihnen gar nicht oder nur in geringem Maße aufgefunden. Sie können also nicht die Ursache für dieses Bienensterben sein.

Neonicotinoid-haltige Mittel werden unter anderem von den Chemiekonzernen Bayer CropScience und der Schweizer Syngenta hergestellt. Beide warnen davor, dass Verbote zu deutlichen Einbußen bei der Ernte führen. Umweltschützer etwa vom BUND kritisieren dagegen, dass auf bestimmten Insektizid-Verpackungen sogar der Aufdruck „nicht bienengefährlich“ stehe. In diesem Zusammenhang entschied das Düsseldorfer Landgericht kürzlich, dass der BUND weiter behaupten darf, zwei von Bayer hergestellte Produkte mit dem Neonicotinoid-Wirkstoff Thiacloprid seien schädlich für Bienen. Zudem darf der Pestizidwirkstoff Thiacloprid, der beispielsweise in den Bayer-Produkten „Schädlingsfrei Calypso“ und „Zierpflanzenspray Lizetan“ enthalten ist, nicht mehr als ungefährlich für Bienen bezeichnet werden. Bayer verzichtete darauf, gegen dieses Urteil Berufung einzulegen. Dagegen klagen die beiden Hersteller derzeit vor dem Europäischen Gerichtshof gegen das Moratorium. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace setzt sich sogar dafür ein, mindestens sieben Pestizide der Firmen Syngenta, Bayer, BASF und anderer Hersteller zu verbieten: nämlich auch Fipronil, Chlorpyrifos, Cypermethrin und Deltamethrin. Auch die Zeitschrift „Ökotest“ hat kürzlich in allen getesteten deutschen Honigen Rückstände von Thiacloprid gefunden.

Die Fakten:

Allein in Deutschland ist nach Angaben des Deutschen Imkerbundes die Zahl der Bienenvölker seit 1952 von 2,5 Millionen auf heute weniger als eine Million zurückgegangen. Ein Grund dafür war sicher auch der Imkerschwund, auch wenn mittlerweile die Imkerzahlen wieder steigen. Weltweit gibt es schätzungsweise 20.000 verschiedene Bienenarten, aber nur neun Arten produzieren Honig. Honigbienen, Wildbienen und andere Insekten wie Schmetterlinge spielen bei rund 35 Prozent der weltweiten Lebensmittelproduktion eine wichtige Rolle. Etwa 75 Prozent der Nahrungsmittelpflanzen werden von Bienen bestäubt, nicht jedoch Getreide wie Weizen, Reis und Mais. Aber Gemüse- und Obstsorten sind von der Bestäubung durch Insekten abhängig, außerdem Ölsaaten wie Raps und Sonnenblumen, Wildkräuter und Arzneimittelpflanzen. Bienen sind also ein enormer Wirtschaftsfaktor und – ohne Übertreibung – die wichtigsten Arbeitskräfte in der Landwirtschaft. Weltweit sorgen sie laut Studien mit ihrer Bestäubungsleistung für eine Wertschöpfung von etwa 200 Milliarden Euro pro Jahr. Die FAO, die Landwirtschaftsorganisation der UN, hat immerhin noch eine Wertschöpfung von etwa 70 bis 100 Milliarden Euro ermittelt. Nach der FAO wird die Bestäubungsleistung von Bienen und Wildbienen in Deutschland auf zwei bis zweieinhalb Milliarden Euro im Jahr geschätzt, in Europa sind es 15 Milliarden.

Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben.

Albert Einstein

Würden die Bienen aussterben, gäbe es nicht nur keinen Honig, auch Obst und Gemüse würden zu Luxusgütern. Wenn es nicht gelingt, die Bienenbestände zu halten, hätte dies nach Ansicht von Forschern um Samuel Myers von der Harvard-T.H.-Chan-Hochschule für Gesundheitswesen in Boston weitere fatale Folgen für den Menschen. Sollten die Tiere vollständig aussterben, würde das laut ihrer im Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlichten Studie zu einem Rückgang der weltweiten Früchteernte um knapp 23 Prozent führen. Die Gemüseernte ginge um 16 Prozent zurück, die von Nüssen und Getreide um 22 Prozent. Ein Dominoeffekt wäre die Folge: Natürlich könnten sich viele Pflanzen ohne Befruchtung durch Bienen nicht mehr vermehren und folglich ebenfalls aussterben. Und wenn bestimmte Pflanzen verschwinden, gibt es auch Tiere nicht mehr, die von diesen Pflanzen abhängen, nicht nur Insekten, sondern auch zahlreicher Vögel und Säugetiere. Mit dem Bienentod verbunden wäre zudem der Jobverlust aller Mitarbeiter von Firmen, die Obst verarbeiten.

Schon Albert Einstein soll 1949 gewarnt haben: „Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben. Keine Bienen mehr, keine Bestäubung mehr, keine Pflanzen mehr, keine Tiere mehr, kein Mensch mehr.“ Ganz so schlimm dürfte es nicht werden. In China behelfen sich die Menschen in einigen Gegenden mangels Bienen schon länger damit, in ganzen Trupps mit einem Pinsel die Blüten in Obstplantagen selbst zu bestäuben. Ob das aber auf alle Pflanzen zu übertragen wäre, darf bezweifelt werden. Einen überaus kritischen Blick auf das weltweite Bienensterben gibt der erfolgreichste Schweizer Dokumentarfilm aller Zeiten, „More than honey“ (Mehr als Honig), aus dem Jahr 2012.