Bei der Preisverleihung: Charlotte Knobloch und Horst Seehofer. Bild: Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern/AndreasGregorDesign
IKG

Verteidiger des jüdischen Lebens

Mit einem Festakt feierte die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG) am Mittwoch ihr 200-jähriges Bestehen und ihre Neugründung nach dem Zweiten Weltkrieg vor 70 Jahren. Unter den Festrednern war der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Ministerpräsident Horst Seehofer erhielt die höchste Auszeichnung der jüdischen Gemeinde.

Im Rahmen der Feier wurde Horst Seehofer von der Präsidentin der Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, die Ohel-Jakob-Medaille in Gold verliehen, der höchsten Auszeichnung, die die jüdische Gemeinde zu vergeben hat. Die Laudatio hielt Edmund Stoiber. Mit dieser würdigt die IKG laut Urkunde Seehofers „fortwährendes und glaubwürdiges Engagement für die Verständigung zwischen Juden und Nichtjuden“. Der Ministerpräsident bedankte sich so: „Heute blüht jüdisches Leben wieder im Herzen unserer Stadt. Jüdische Kultur und Lebensweise sind unverzichtbarer Teil unseres Landes. Die Verleihung der Ohel-Jakob-Medaille als höchster Auszeichnung der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern erfüllt mich mit Demut und Dankbarkeit.”

Bayern ist die beste und sicherste Heimat für Juden in Europa.

Charlotte Knobloch

„Jüdisches Leben war, ist und bleibt in unserer Heimat, die wir lieben, tief verwurzelt. Das ist die Botschaft, die wir mit unseren Jubiläums-Feierlichkeiten verbinden. Um es mit anderen Worten zu sagen: Mia san auch Mia“, so Charlotte Knobloch in ihrer Begrüßung. Sie erinnerte an den „verheerenden Kreislauf von Ansiedelung, Vertreibung, Vernichtung und Neubeginn“, dem die Juden in Bayern über Jahrhunderte immer wieder ausgesetzt waren. Auch heute gebe es „die Schattenseite“, die sich in den letzten Jahren weiter verdunkelt hätte. Dennoch hielten die jüdischen Menschen an dem „bewussten Bekenntnis zu unserer Heimat und unserem Vertrauen in ihre Menschen“ fest. In jüngerer Zeit werde sie immer öfter gefragt, „ob jüdisches Leben in Deutschland eine Zukunft hat“, erläuterte die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. „Meine Antwort ist klar und deutlich: Ja, und zwar ein gute, eine sehr gute! Bayern ist die beste und sicherste Heimat für Juden in Europa.“ Sie wünsche sich, „dass das jüdische Leben hierzulande eines Tages wieder selbstverständlich und normal ist – dazu gehört auch, uns diese Frage nicht mehr zu stellen. Sondern stattdessen leidenschaftlich und beherzt selbst die Antwort zu geben: Natürlich muss es in Deutschland ein Judentum geben. Und jeder Einzelne trägt dafür Verantwortung.“ Mit Bezug auf die Bayernhymne appellierte sie an die Gäste: „Lassen Sie uns gemeinsam eine anhaltende Blütezeit erleben – in Demokratie, in Verantwortung und Freiheit – auf dass wir, ‚uns’rer Väter wert, fest in Eintracht und in Frieden bauen uns’res Glückes Herd!‘“

Neuanfang nach dem Krieg

Die jüdische Gemeinde wurde 1815 in einem mehrmonatigen Verfahren gegründet, nachdem das sogenannte Judenedikt zwei Jahre zuvor den Menschen jüdischen Glaubens mehr Rechte zuerkannt hatte. Auch Synagogen wurden errichtet. Vor dem Ersten Weltkrieg prosperierte die Gemeinde mit mehr als 11.000 Mitgliedern. Doch bald darauf wurde die Situation schwieriger und es kam immer wieder zu Übergriffen und Anfeindungen, die ihren Höhepunkt mit dem Terror der Nationalsozialisten erreichten. Bis 1945 starben mehr als 4500 Münchner Juden, weil sie von den Nazis verfolgt wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es am 15. Juli 1945 einen schüchternen Neuanfang, zunächst nur mit 70 Mitgliedern. Eigentlich waren alle überzeugt, die Gemeinde würde sich nach und nach auflösen.

Doch immer mehr Juden kamen nach München, viele aus der ehemaligen Sowjetunion. Inzwischen zählt die Kultusgemeinde rund 9600 Mitglieder. Auch Synagogen gibt es wieder in München, allen voran die Hauptsynagoge am Jakobsplatz mit Kulturzentrum, Schule, Museum und Restaurant. Seit 1995 besteht in München zudem die Liberale Jüdische Gemeinde Beth Shalom. Zur jüdischen Gemeinden gehörten im Laufe der 200 Jahre viele bekannte Bürger wie Max Littmann, der Erbauer des Hofbräuhauses, die Kunsthändlerfamilie Bernheimer oder der Schriftsteller Lion Feuchtwanger.

Stoiber: „Es war ein Wunder“

Die Laudatio auf Horst Seehofer sprach der ehemalige Bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, auch er ein Träger der Ohel-Jakob-Medaille in Gold. Er war es, der laut Knobloch als Ministerpräsident das Bild von den Juden als dem „Fünften bayerischen Stamm“ prägte. „Es war ein Wunder! Am 15. Juli 1945, kaum mehr als zwei Monate nach dem Ende des 2. Weltkriegs,  gründeten Überlebende des Holocaust die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern. Welche unbeugsame Liebe zur Heimat kam damit zum Ausdruck! Es ist ein Wunder!“, so begann Stoiber seine Rede. „Dieser Abend, diese Auszeichnung – das ist für Horst Seehofer nicht Alltag. Das ist eine große, eine ganz besondere Auszeichnung. Horst Seehofer wird mir aber ganz sicher zustimmen, wenn ich dies auch als eine große Auszeichnung für das Land Bayern interpretiere.“ Stoiber erinnerte daran, dass „das Menschheitsverbrechen des Holocaust insbesondere auch von Bayern aus seinen Anfang“ nahm und „insbesondere auch in Bayern begangen“ wurde. Heute aber sage Charlotte Knobloch: „In Bayern, in München – da bin I dahoam!“ Das sei ein ungeheurer Vertrauensbeweis.

Die Laudatio im Wortlaut:

Festakt-Laudatio-Edmund-Stoiber

Horst Seehofer habe sich seit seinem Amtsantritt 2008 als Freund Israels und insbesondere der jüdischen Gemeinde in Bayern erwiesen: „Horst Seehofer muss viele Kompromisse machen in seinem Amt. In seiner Haltung zur deutschen Geschichte und zu den jüdischen Menschen in Bayern und Deutschland ist er absolut kompromisslos.“ In seine Amtszeit falle die Eröffnung des ersten neuen israelischen Generalkonsulats in Europa seit rund 60 Jahren in München, die Eröffnung des neuen Dokumentationszentrums in München, der geplante Erinnerungsort für die Opfer des Olympia-Attentats, die bayerische-israelische Bildungskooperation und die verstärkte Einbindung von Holocaust-Überlebenden und anderen Persönlichkeiten aus Israel in die bayerische KZ-Gedenkstätten-Kultur. Stoiber unterstrich erneut die tiefe Zugehörigkeit der jüdischen Menschen zu Bayern: „Die jüdischen Bürger stehen als fünfter Stamm in Bayern voll in der Mitte unserer Gesellschaft.“ Angesichts der aktuellen Bedrohungen des demokratischen Wertefundaments – „Einzigartigkeit und Würde jedes Menschen, Freiheit, Nächstenliebe und soziale Verantwortung“ – mahnte der ehemalige Ministerpräsident, diese Werte wachsam zu vertreten: „Horst Seehofer macht es mit seiner unmissverständlichen Haltung vor. Er steht für eine tolerante und zugleich wehrhafte Demokratie.“

Horst Seehofer ist der Freund, der Unterstützer und – wenn es sein muss – der Verteidiger des jüdischen Lebens in München, in Oberbayern und im gesamten Freistaat.

Edmund Stoiber

Nach Bayern kämen viele Flüchtlinge aus dem arabischen Raum – aus Syrien, aus dem Irak, aus Libyen. Stoiber mahnte: „Die meisten von Ihnen kennen den Nahostkonflikt aus der arabischen Definition. Sie können nicht die Sensibilität haben, die wir Deutsche haben. Aber wer in Deutschland leben will, muss diese Sensibilität entwickeln. Das ist eine große Aufgabe im Rahmen unserer deutschen Willkommenskultur. Hier kann es keinen Rabatt geben! Kein persönliches Schicksal, keine Glaubensrichtung kann irgendetwas anderes rechtfertigen. Antijüdische Hetze wird in Deutschland nicht geduldet.“ Die deutsche Demokratie müsse auch wachsam und wehrhaft sein. Seehofer habe das verinnerlicht, er sei „der Freund, der Unterstützer und – wenn es sein muss – der Verteidiger des jüdischen Lebens in München, in Oberbayern und im gesamten Freistaat“, so Stoiber abschließend.

Stamm gratuliert

Landtagspräsidentin Barbara Stamm gratuliert der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern zum 200-jährigen Bestehen. Anlässlich des heutigen Festakts erklärt Stamm: „200 Jahre und 70 Jahre Neugründung sind ein großartiges und zugleich denkwürdiges Jubiläum. Es gibt heute in unserem Land wieder blühendes jüdisches Leben. Im Zentrum Münchens steht eine neue Hauptsynagoge mit Kulturzentrum, die nicht nur rege von interessierten Bürgerinnen und Bürgern anderer Glaubensrichtungen besucht wird, sondern schon ein selbstverständlicher und unverzichtbarer Bestandteil der Altstadt ist.

Auch die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland sind verlässlich und gut. Wir sind stolz auf das hervorragende Miteinander zwischen der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und dem Bayerischen Landtag. Stellvertretend für alle Engagierten danke ich der langjährigen Präsidentin, Frau Dr. Charlotte Knobloch, für ihren unermüdlichen Einsatz um Frieden und Toleranz im Kleinen wie im Großen.“ Zugleich ruft die Landtagspräsidentin dazu auf, antisemitischen Tendenzen entschieden entgegenzutreten: „Wir haben eine historische Verantwortung und müssen jeden Tag aufs Neue dafür eintreten, dass jüdisches Leben und jüdische Kultur in Bayern niemals infrage gestellt wird.“

„Jüdische Gemeinden bereichern unser Land´“

„Ich bin sehr froh, dass jüdisches Leben in Bayern wieder eine Selbstverständlichkeit geworden ist und Ihre Gemeindezentren wieder Orte des freundschaftlichen Miteinanders von Juden und Christen sind. Denn jüdische Gemeinden bereichern unser Land und unsere Kultur. Deshalb ist mir sehr daran  gelegen, das jüdische Leben lebendig zu halten.“ Das sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann in seinem Grußwort beim Festakt zum 200-jährigen Bestehen der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und zum 70-jährigen Bestehen seit der Wiedergründung der Gemeinde nach dem Holocaust.

Herrmann erinnerte daran, dass die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern allen Anfeindungen und Greueltaten der NS-Zeit zum Trotz in München einen Neuanfang gewagt hatte. „Für dieses in uns gesetzte Vertrauen bin ich Ihnen unendlich dankbar.“ Es grenze an ein Wunder, dass nach der Befreiung Nazi-Deutschlands bereits im Juli 1945 die Kultusgemeinde neu gegründet wurde und zwei Jahre später die wiederhergestellte Synagoge in der Reichenbachstraße als erste in Deutschland nach dem Krieg ihre Türen öffnete. Die Israelitische Kultusgemeinde München sei mit rund 9.500 Mitgliedern die zweitgrößte Deutschlands. Mit dem neuen Zentrum am St.-Jakobs-Platz im Herzen von München sei ein klares Zeichen für die Integration jüdischen Lebens in der Landeshauptstadt gesetzt worden. Dies sei auch in hohem Maße das Verdienst der Israelitischen Kultusgemeinde, denn sie baue Brücken für eine Aussöhnung.

Wir werden deshalb alles daran setzen, dass es beim ‚Nie wieder‘ bleibt und Sie hier in Frieden und Sicherheit leben können.

Joachim Herrmann

Herrmann erinnerte auch an das selbstbewusste jüdische Bürgertum, das das geistige, kulturelle und wirtschaftliche Leben der Stadt nachhaltig mitgestaltet und  zum internationalen Ruf beigetragen habe: „Denken wir nur an Lion Feuchtwanger, Bruno Walter oder Hermann Levi. Und der FC Bayern wurde 1932 erstmals unter einem jüdischen Vereinspräsidenten Kurt Landauer und einem jüdischen Trainer Richard Kohn Deutscher Meister.“ Leider sei dieser Hochphase jüdischen Lebens ein jähes Ende gesetzt worden. Das jüdische Leben sei hier fast vollständig ausradiert worden. Nach Kriegsende seien nur noch 84 Juden in der Stadt gewesen. Herrmann: „Wir werden deshalb alles daran setzen, dass es beim ‚Nie wieder‘ bleibt und Sie hier in Frieden und Sicherheit leben können.“

(dpa/avd)