Schuss in den Rücken: Den erst 18 Jahre alten Peter Fechter ließen die Mauerschützen stundenlang qualvoll an der Mauer verbluten. (Bild: imago images / ZUMA)
Zeitgeschichte

Die DDR war ein Unrechtsstaat

Kommentar Die Ministerpräsidenten von Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern, Ramelow und Schwesig, haben sich gegen die Bezeichnung der DDR als „Unrechtsstaat“ ausgesprochen. Das ist falsch und der Versuch, die Verbrechen des SED-Regimes zu bagatellisieren.

Ausgerechnet anlässlich des 70. Jahrestages der DDR-Gründung – als ob man den feiern müsste – sagte die Mecklenburger Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: Der Begriff „Unrechtsstaat“ für die DDR werde von vielen Ostdeutschen als Herabsetzung empfunden. „Er wirkt so, als sei das ganze Leben Unrecht gewesen. Wir brauchen aber mehr Respekt vor ostdeutschen Lebensleistungen. Das ist wichtig auch für das Zusammenwachsen von Ost und West.“ Schwesig räumte etwas widersprüchlich ein: „Die DDR war eine Diktatur. Es fehlte alles, was eine Demokratie ausmacht: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit, freie Wahlen, das Recht auf Opposition.“

Die DDR war ein klarer Unrechtsstaat, weil das Unrecht von Staats wegen organisiert war.

Roland Jahn

Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagte zwar, die DDR sei „eindeutig kein Rechtsstaat“ gewesen. Auch bei ihm folgte dann die Bagatellisierung: „Der Begriff ‚Unrechtsstaat‘ aber ist für mich persönlich unmittelbar und ausschließlich mit der Zeit der Nazi-Herrschaft und dem mutigen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer und seiner Verwendung des Rechtsbegriffs ‚Unrechtsstaat‘ in den Auschwitz-Prozessen verbunden.“

Die Liste der DDR-Untaten

Beides ist so falsch, wie es nur falsch sein kann. „Die DDR war ein klarer Unrechtsstaat, weil das Unrecht von Staats wegen organisiert war“, stellte schon vor Jahren der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, fest. Die Liste des Unrechts ist lang.

Die Zahl der Opfer der DDR ist bis heute nicht vollständig klar. Ansgar Borbe kam 2010 in seinem Buch „Die Zahl der Opfer des SED-Regimes“ (Landeszentrale für politische Bildung Thüringen) auf mindestens 3,5 bis maximal 5,8 Millionen Opfer mit mindestens 1722 bis maximal 54.523 Toten sowie mindestens 42.700 bis maximal 343.000 körperlich-psychisch Versehrten – je nach Opfereinteilung.

Klar ist: In 40 Jahren DDR-Diktatur gab es weit mehr als 200.000 politische Gefangene. Regimegegner und Kritiker wurden massiv bespitzelt, verfolgt, diskriminiert und eingesperrt. In der Haft wurden sie auf vielfältige Art gefoltert und misshandelt. Tausende starben in anfangs sowjetischen-, dann DDR-Lagern und –Zuchthäusern. Mindestens 50 beim Volksaufstand von 1953.

Ab 1952 wurden die innerdeutschen Grenzanlagen gebaut, 1961 die Berliner Mauer, um die eigenen Bürger an der Flucht zu hindern. Sonst wäre die SED vermutlich schon in den 70er Jahren allein zu Hause gewesen. Schätzungen gehen davon aus, dass an den gesamten DDR-Grenzanlagen zwischen Ostsee und Tschechoslowakei sowie in anderen Ostblockstaaten ab 1949 in jedem Fall mehr als 1000 Menschen getötet wurden. Drei Beispiele: Der erste Mauertote Günter Litfin schwamm 1961 wehrlos im Wasser des Humboldthafens, als er in den Hinterkopf geschossen wurde. Der erst 18-jährige Peter Fechter verblutete 1962 nach Schüssen in den Rücken qualvoll im Sperrbereich. Beide wurden anschließend als „Kriminelle“ verunglimpft.

Im Jahr 1967 geriet der 81-jährige niedersächsische Bauer Emanuel Holzhäuer versehentlich in den Minenstreifen. Beide Beine wurden ihm abgerissen, doch die DDR-Ärzte trauten sich nicht in das Minenfeld. Mehr als drei Stunden dauerte sein Todeskampf. Tausende weitere „Republikflüchtlinge“ bezahlten ihren Versuch, die Diktatur zu verlassen, mit dem Leben oder schweren Verletzungen, die oft in Langzeitschäden mündeten, und natürlich mit Haft und Diskriminierung.

Wenn wir die Geschichte vergessen, holt sie uns ein.

Gedenkstein für Maueropfer Günter Litfin

Es gab in der DDR keine unabhängige Justiz, keine Gewaltenteilung. Richter, Staatsanwälte und sogar Anwälte waren Knechte der SED, teilweise sogar ihre Spitzel. Während die Bundesrepublik als beklagte oder klagende Partei immer wieder und bis heute Prozesse verlor und verliert, gab es so etwas in der DDR nicht. Die Partei hatte immer Recht. Während der sozialistischen Diktatur der SED gab es keine freien Wahlen, die DDR-Regierung wurde nie demokratisch legitimiert. Allumfassend wurde allerdings bespitzelt und verraten, sogar Kinder wurden dazu angestiftet.

Es gab aus westdeutscher Sicht eine Unzahl an weiteren staatlichen Straftaten: Entführungen und Morde im Westen, Berufs- und Studierverbote für Regimegegner. Es gab Zwangsenteignete, Dopingopfer, Ausgebürgerte (wie Wolf Biermann), zur Scheidung gedrängte Häftlingsehefrauen (mit der Drohung, sonst würden die Kinder weggenommen), in die Psychiatrie oder in Kinder- oder Jugendheime Zwangseingewiesene. „Unsozialistischen“ Müttern wurden die Kinder geraubt und deren Tod vorgegaukelt.

Interessant ist dabei auch die insgesamt beschämende Bilanz der Strafverfolger nach der Wende: Gegen mehr als 100.000 Personen wurde wegen DDR-Unrechts ermittelt, davon etwa 70 Prozent wegen Rechtsbeugung – letztlich wurden nur 24 Prozent der Abgeurteilten deshalb bestraft! Rechtsbeugung ist ein Tatbestand, der nur in einem Unrechtsstaat in dieser Häufigkeit auftreten kann.

Herrschaft über die Sprache

Reichen diese Fakten nicht, um von einem Unrechtsstaat zu sprechen? Jedenfalls aber sind die Argumente von Schwesig und Ramelow verlogen und dienen nur der weit verbreiteten Bagatellisierung des kriminellen DDR-Sozialismus. Nebenbei widerspricht Ramelow dem eigenen rot-rot-grünen Koalitionsvertrag in Thüringen, der die DDR als „Unrechtsstaat“ einstuft. Wirklich „herabgesetzt“ dürften sich dadurch nur die DDR-Opfer fühlen.

Wir dürfen uns nicht im Kampf um Begriffe, im Kampf um die Sprache, von den Sozialisten verdrängen lassen.

Franz Josef Strauß

Denn wieso sollte die Lebensleistung der Ostdeutschen geschmälert werden, nur weil sie in einem Unrechtsstaat lebten? Wer sich nicht mit diesem gemein machte, dessen Leben bleibt ungetrübt. Wer aber beteiligt war, der muss damit leben, dass er ein verbrecherisches Regime unterstützte. Schwesigs und Ramelows unsinnige Unterscheidung zwischen Diktatur und Unrechtsstaat beinhaltet zudem die Schlussfolgerung, dass es auch „gerechte“ Diktaturen geben könnte.

Ramelows indirekte Behauptung, nur das NS-Regime dürfe als „Unrechtsstaat“ gelten, ist letztlich auch der typische Versuch linker Politiker, die Herrschaft über die Sprache und ihre Deutung zu erlangen. Rechts ist schlecht, links ist irgendwie doch immer gut. Dabei haben die zwei deutschen Diktaturen nicht nur in der Behandlung von Gegnern viele Gemeinsamkeiten.