Die neuen Parteivorsitzenden der Grünen (v.l.): Robert Habeck und Annalena Baerbock. (Foto: Imago/Sven Simon)
Grüne

Zwiespältige Signale

Kommentar Die Grünen wählen eine gemäßigte Doppelspitze und werben damit um Anhänger aus der politischen Mitte. Schon meinen einige, die Grünen seien keine linke Partei mehr. Doch der linke Flügel der Grünen hält derzeit nur aus taktischen Gründen still.

64,5 Prozent für die bislang unbekannte 37 Jahre alte Annalena Baerbock aus Brandenburg, eine herbe Niederlage für ihre Gegenkandidatin, die Parteilinke Anja Piel aus Niedersachsen. Und sogar 81,3 Prozent für den 48 Jahre alten schleswig-holsteinischen Umweltminister Robert Habeck, der ohne Gegenkandidat angetreten war: Nach der gängigen Flügelarithmetik der Grünen bedeutet dieser neue Bundesvorstand eine kleine Revolution.

Denn nun ist kein erklärter Parteilinker mehr im Führungsduo vertreten, stattdessen zwei, die eher zum gemäßigten Realo-Flügel gerechnet werden. Zudem stimmte der Parteitag mit großer Merhheit einer Lockerung des bisher sakrosankten Grundsatzes zu, dass ein Parteichef kein Regierungsamt innehaben darf. Habeck hat nun acht Monate Zeit, in der er weiter an der Küste als Minister fungieren darf. Auch dies ein kleines Partei-Erdbeben, ein Bruch mit bis dato ehernen Traditionen, die die Grünen seit ihren Ursprüngen als Antiparteien-Partei ausweisen sollte – was sie längst nicht mehr sind.

Wirklicher Aufbruch oder reine Taktik?

Einige Journalisten sprechen schon von „Aufbruchsstimmung“, die die Grünen auf ihrem Parteitag in Hannover erfasst habe, gar von Habeck und Baerbock als „Prinzenpaar der Grünen“. Wenn man einmal die erwartbare Euphorie pro-grüner Beobachter angesichts einer feschen neuen Führung herausrechnet, ist festzuhalten: Die Grünen haben offenbar an einigermaßen guten Wahlergebnissen und einer möglichen Regierungsoption im Bund Gefallen gefunden. Die gibt es eben nur für Parteien der Mitte, nicht mit radikalem Verbotswahnsinn wie einst unter Claudia Roth und Jürgen Trittin.

Der Trend, Realos ins Schaufenster zu stellen, zeigte sich bereits bei der Auswahl der Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2017: Mit Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt waren da bereits zwei Realos angetreten und hatten überraschend einen kleinen Zuwachs herausgeholt – von 8,4 auf 8,9 Prozent. Bei diesem Parteitag war Özdemir als Parteichef nicht mehr angetreten, auch seine Fundi-Kollegin Simone Peter trat freiwillig ab.

Bleiben die Linken ideologisch dominant?

Die mögliche Aussicht auf schwarz-grüne Regierungsbeteiligung führte nun dazu, dass der linke Parteiflügel, der ideologisch auf Grünen-Parteitagen stets den Ton angab, sich offenbar ein Schweigegebot auferlegt hat. Die Parteilinken schauen jetzt, wie weit sie mit einer reinen Realo-Führung kommen und wie links deren Politik dann tatsächlich sein wird. Weiterhin sind ja drei der sechs Posten in der engeren Führung mit Parteilinken besetzt.

Zugeständnisse und inhaltliche Bücklinge nach links gab es auch von den neuen Vorsitzenden: „Kohleausstieg, eine andere Mobilität, eine andere Landwirtschaft“, nannte Habeck nach seiner Wahl als Kernpunkte der grünen Programmatik. Bereits bei seiner Vorstellungsrede hatte er Steuererhöhungen und mehr soziale Wohltaten befürwortet. Baerbock geißelte in ihrer Bewerbungsrede einen angeblichen „Alltagsrassismus“. Diesel-Fahrverbote und Verbot aller Verbrennungsmotoren bis 2030, die prominent im 2017er-Wahlprogramm platziert waren: Diese Themen muss die neue Führung jetzt inhaltlich bearbeiten angesichts der inneren Widersprüche der Grünen. Der wirtschaftsfreundliche Flügel um den Südwest-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann lehnt solchen Verbotswahnsinn ab.

Habeck steht für Umverteilung

Habeck wird zwar dem Realo-Flügel zugerechnet, er vertritt aber keine so pragmatisch-marktwirtschaftlichen Positionen wie Özdemir oder gar Kretschmann. In Hannover forderte er ausdrücklich bedingungsloses Grundeinkommen, staatliche Umverteilung und die Vermögensteuer. Das Verhältnis des Landesministers zu „seinen“ schleswig-holsteinischen Landwirten wird von Kennern vor Ort als schwierig, gar als „Feindschaft“ bezeichnet, obgleich man sich zuletzt, unter Jamaika-Bedingungen, etwas zusammengerauft hat.

Dass Habeck durchaus grüne Klimaschutz-Ideologie vor die ganz realen Existenzsorgen der Bauern stellt, zeigt eine bemerkenswerte Kritik des heutigen CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther – damals noch Oppositionsführer – an Minister Habeck vom Juli 2016: „Landeshilfe für die Milchbauern lehnt er mit der Begründung ab, die Milchkrise sei nur auf Bundes- und Europäischer Ebene zu lösen“, sagte Günther damals. „Aber das Weltklima will er von Kiel aus mit einem eigenen Landesgesetz retten.“ Dies sei „endgültig scheinheilig“, so Günther. Das Weltklima sei Habeck wohl wichtiger als die eigenen Bauern.

Habecks Co-Vorsitzende Annalena Baerbock ist inhaltlich bislang ein komplett unbeschriebenes Blatt und punktete auf dem Parteitag vor allem mit der Ausstrahlung jugendlicher Frische in einer schwungvollen Rede. Ob die Grünen sich mit dieser Führung ernsthaft und nachhaltig in die Mitte orientieren, sich glaubwürdig von ihren schädlichen linken Ideologien entfernen und sich langfristig als möglicher Koalitionspartner der Union etablieren, muss sich noch zeigen.