Eine Bürgerversicherung würde laut Bundesärztekammer eine Zwei-Klassen-Medizin nicht verhindern. (Imago: Jochen Tack)
Gesundheit

Irrweg Bürgerversicherung

Die Einführung einer Bürgerversicherung, wie die SPD sie fordert, hätte für das Gesundheitssystem fatale Folgen. Der BAYERNKURIER fasst zusammen, was eine Vereinigung der privaten und gesetzlichen Krankenkassen bedeuten würde.

Die Sozialdemokraten fordern im Zuge der Koalitionsverhandlungen die allgemeine Bürgerversicherung in der Krankenversorgung. Auf dem Parteitag in Nürnberg hat sich die CSU in einem Dringlichkeitsantrag gegen diese Idee ausgesprochen: „Eine Einheitsversicherung führt zu Qualitätseinbußen, wie die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen.“ Ein Überblick über die Bürgerversicherung.

Was ist eine Bürgerversicherung?

Eine Bürgerversicherung bedeutet keine Trennung mehr von gesetzlichen und privaten Versicherungen. Aktuell sind neun von zehn Bundesbürgern gesetzlich krankenversichert, privat dagegen nur einer von zehn.

Wer wird aufgenommen?

Die gesetzliche Kranken- und auch Pflegeversicherung soll künftig für jedermann gelten, auch für Selbstständige und Beamte – also alle Privatversicherten. Dazu zählen auch Angestellte, die im Monat mehr als 4800 Euro verdienen.

Die SPD will die Private Krankenversicherung (PKV) nicht auf einen Schlag abschaffen, was rechtlich auch nicht möglich ist. Aber Privatversicherte sollen in die Bürgerversicherung wechseln können. Jeder Neuversicherte, etwa Berufseinsteiger, soll automatisch Mitglied sein.

Was kostet die Bürgerversicherung?

Die Bürgerversicherung soll das derzeitige Doppelsystem zugunsten einer paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gezahlten gesetzlichen Versicherung beenden.

Der Kieler Gesundheitsökonom Thomas Drabinski rechnet in diesem Fall wegen der geänderten Ausgabenstruktur mit einem Anstieg der Beiträge bei den gesetzlichen Kassen um rund 1,5 Prozent. Experten der Krankenkassen meinen: Für die heute gesetzlich Versicherten würde sich zunächst wenig ändern. Die SPD rechnet mit niedrigeren Beiträgen – der ständige Kostenanstieg im Gesundheitswesen würde durch die vielen Gutverdiener, die neu in der Bürgerversicherung wären, zunächst ausgeglichen.

Explodierende Beiträge

Aktuell richtet sich die Beitragshöhe von gesetzlich Versicherten nach dem Lohn. Kinder und Ehepartner ohne Einkommen sind kostenlos mitversichert. Bei privat Krankenversicherten spielen Gesundheit, Alter und der gewählte Umfang des Versicherungsschutzes eine Rolle. Vor allem Ältere leiden unter Beitragssteigerungen der PKV: Erhöhungen zwischen drei und sieben Prozent pro Jahr sind mittel- und langfristig nicht ungewöhnlich, laut Bund der Versicherten.

Beamte zahlen den Beitrag in einer gesetzlichen Kasse allein, rund 85 Prozent sind privat versichert. Behandlungskosten werden zu 50 bis 70 Prozent vom Staat als Beihilfe übernommen, den Rest zahlt die Versicherung. Laut Bertelsmann-Stiftung würden Bund und Länder bis 2030 mit einem Großteil der Beamten in der gesetzlichen Versicherung rund 60 Milliarden Euro sparen. Im Gespräch ist ein bundesweiter Arbeitgeberzuschuss statt Beihilfe.

Wer trotzdem privat versichert bliebe, müsste dann also wohl mit explodierenden Beiträgen rechnen. Was aus den mehr als 230 Milliarden Euro an Altersrückstellungen wird, die die PKV angesammelt hat, steht nicht fest. Hier müsste das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob die zur Bürgerversicherung Wechselnden ihren Anteil mitnehmen könnten.

Welche Vorteile bringt die Bürgerversicherung?

Die SPD verspricht ein „Ende der Zwei-Klassen-Medizin“, mit höheren Arzthonoraren für Privatversicherte will sie Schluss machen. Das soll auch dem Ärztemangel in Gebieten mit wenig Privatversicherten entgegenwirken.

Die Bürgerversicherung ist ein Irrweg.

Bertram Brossardt, vbw-Hauptgeschäftsführer

Was kritisieren die Gegner?

Sowohl Union, vbw, als auch Bundesärztekammer wollen beim bisherigen System bleiben. Sie nennen weitere Argumente gegen die Bürgerversicherung:

  • Kein medizinischer Fortschritt

Falle der Wettbewerb weg zwischen gesetzlichen und privaten Kassen, leide die Patientenversorgung und der medizinische Fortschritt. Die CSU formuliert in ihrem Dringlichkeitsantrag: „Gerade der Wettbewerb zwischen GKV und PKV hat zu der hohen Leistungsfähigkeit und Versorgungsqualität unseres Gesundheitssystems geführt“. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) sagt: „Viele Behandlungsmethoden werden von der PKV eingeführt, lange bevor sie Eingang in die GKV-Regelversorgung finden.“ Natürlich fürchten Ärzte um ihren Gewinn. Im Schnitt 25 Prozent der Praxiseinnahmen werden von den 10 Prozent Privatversicherten erbracht. Das fließt aber auch in die Ausstattung der Praxis und kommt damit allen zugute, schreibt der Spiegel.

  • Kein Ende der Zwei-Klassen-Medizin

Weiter werden Zusatzversicherungen für ergänzende Leistungen fällig. „Käme die Bürgerversicherung, gäbe es sofort einen riesigen Markt für zusätzliche Gesundheitsleistungen und zusätzliche Versicherungen“, sagt Ärztepräsident Montgomery. Das wäre erst recht Zwei-Klassen-Medizin.

  • Milliardenkosten für die Wirtschaft

Die Bürgerversicherung würde laut Experten mehr als 50.000 Stellen in der PKV kosten. „Die Unterschiede in den Honorarsystemen führen dazu, dass Privatversicherte jährlich 12,6 Milliarden Euro Mehrumsätze auslösen. Ein Systemwechsel zu einer Einheitskasse hätte somit nicht nur gravierende Folgen für das Niveau der Gesundheitsversorgung, sondern würde für die gesamte Wirtschaft zusätzliche Belastungen in Milliardenhöhe bedeuten“, sagt die vbw.

Wie sich eine Bürgerversicherung im Detail auswirken würde, liegt auch an der Ausgestaltung. Würden entgegen der Wünsche der SPD zum Beispiel nur Privatversicherte wechseln, die besonders viel zahlen müssen, könnte es für die gesetzlichen Kassen teurer werden. Laut vbw drohen dann Beitragssatzsteigerungen von heute 15,7 auf fast 16,7 Prozent.

Keine Bürgerversicherung mit der CSU

CSU-Parteichef Horst Seehofer sagte im Spiegel: „Bei der Bürgerversicherung gibt es viele Probleme, die ungelöst sind.“ Vor allem bei der Finanzierung: „Wie sollen Einkünfte wie Mieten und Pachten für die Finanzierung der Bürgerversicherung herangezogen werden? Das würde doch sofort auf die Mieten umgelegt.“ Eine Bürgerversicherung werde es daher mit der CSU nicht geben. Laut einer Allensbach-Umfrage von 2017 finden 86 Prozent der gesetzlich Versicherten und 91 Prozent der Privatversicherten das derzeitige Gesundheitssystem gut.