Wohnungen für Hartz-IV-Empfänger sind einer der größten Posten bei den Sozialausgaben der Kommunen. (Foto: imago)
Deutscher Städtetag

Kommunen wollen Entlastung bei den Sozialausgaben

Trotz stabiler Wirtschaft und sprudelnder Steuereinnahmen sind die Sozialausgaben der Kommunen auf einen neuen Rekordwert von 78 Milliarden Euro gestiegen. Die 1000 Delegierten der derzeit in Dresden stattfindenden Hauptversammlung des Deutschen Städtetags pochen auf die im Koalitionsvertrag zugesagte Entlastung der Kommunen um 5 Milliarden Euro ab 2018.

Laut einer neuen, jetzt veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung kletterten die Kosten für Langzeitarbeitslose, Kinder und Behinderte binnen zehn Jahren um mehr als 50 Prozent. Vor allem wirtschaftsschwache Städte und Kreise ächzen unter dem Ausgabendruck. Zu den Gründen zählt unter anderem der Kita-Ausbau, wie die Stiftung in Gütersloh mitteilte.

Die Belastungen für die kommunalen Haushalte waren nach diesen neuesten Daten von 2014 regional sehr unterschiedlich: Während die Stadt Wolfsburg nur 17 Prozent ihres Etats für Sozialleistungen aufwendet, binden diese in vielen Städten des Ruhrgebiets und Norddeutschlands mehr als 50 Prozent des Haushalts.

Einigen besonders strukturschwachen Kommunen bleiben kaum noch Handlungsspielräume – weder für notwendige Investitionen noch zum  Schuldenabbau. Die Autoren der Studie schlagen daher vor, der Bund solle Kommunen mit hoher Langzeitarbeitslosigkeit und daher hohen Wohnkosten für Hartz-IV-Empfänger mehr unterstützen als bislang.

Sozialausgaben sind der dickste Brocken

Der größte Anteil der Sozialausgaben fließt mit rund 36 Milliarden Euro in die Kinder- und Jugendhilfe. Insbesondere die sich zwischen 2006 und 2013 verdoppelten Ausgaben für Kindertagesstätten, aber auch gestiegene Kosten für Familienhilfen schlagen hier zu Buche.

Die Sozialhilfe wuchs laut Bertelsmann-Stiftung auf 27 Milliarden Euro. Dies resultiere vor allem aus Mehrausgaben bei den Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderung. Der dritte große Posten sind die Wohnkosten für Hartz-IV-Empfänger: Diese machten zuletzt rund 14 Milliarden Euro aus.

Bund soll schwache Kommunen unterstützen

Hier sehen die Autoren der Studie einen Hebel, um schwache Kommunen gezielt zu unterstützen. Bislang erstattet der Bund ein knappes Drittel der Wohnkosten. Mit jährlich 5 Milliarden Euro, die Union und SPD bereits im Koalitionsvertrag ab 2018 an Unterstützung zugesagt haben, könnte der Bund seinen Finanzierungsanteil an den Wohnkosten mehr als verdoppeln.

„Das Geld kommt dann ganz automatisch bei den Richtigen an“, betonte René Geißler, Finanzexperte der Bertelsmann-Stiftung. Denn: Diese Ausgaben ballen sich in armen Städten, ohne für diese steuerbar zu sein. So binden die Wohnkosten im wirtschaftsstarken Baden-Württemberg nur drei Prozent des kommunalen Etats, im strukturschwachen Sachsen-Anhalt hingegen elf Prozent. Gleichzeitig seien die Regeln für die Wohnkosten bundesweit einheitlich, anders als etwa bei der Behindertenhilfe oder der Kinderbetreuung.

„Bei anderen Verteilungswegen könnten daher große Teile in den Länderhaushalten hängen bleiben oder bei eigentlich stabilen Kommunen verloren gehen“, befürchtet Geißler.

Städtetag fordert Notprogramme

Angesichts dieser Zahlen appellierte der der Präsident des Deutschen Städtetages, der Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly, heute in Dresden an Bund und Länder: „So hilfreich Notprogramme sind, Ziel muss es für die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen sein, die Notwendigkeit von Ad-hoc-Programmen für die Kommunen zu verringern. Eine neu geordnete Finanzstruktur muss sich daran messen lassen, dass die Leistungskraft der Kommunen gesichert und gestärkt wird. Das heißt: Die Kommunen müssen, wie im Koalitionsvertrag zugesagt, um 5 Milliarden Euro jährlich von Sozialausgaben entlastet werden. Das muss rechtzeitig in dieser Legislaturperiode beschlossen werden, damit wir in unseren Haushalten damit planen können.“

Der Hauptgeschäftsführer des kommunalen Spitzenverbands, Stephan Articus, sieht sich durch die Zahlen der Bertelsmann-Studie in seinen Forderungen nach einer deutlichen Entlastung der Kommunen bestätigt.

Der Deutsche Städtetag fordert Bund und Länder auf, auf dieser Basis bei der Ministerpräsidenten­konferenz am 18. Juni zusammen mit der Bundesregierung Beschlüsse zu fassen und anschließend zügig zu verwirklichen, die die Kommunen organisatorisch und finanziell stärker und dauerhaft bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen unterstützen. Um die Unterbringungssituation in den Kommunen zu erleichtern, fordern die Städte von Bund und Ländern, zeitnah die beste­henden Programme zur Wohnraumförderung auszuweiten. Das sei vor allem in Regionen mit angespannten Wohnungsmärkten geboten, um zusätzlichen Bedarf an Wohnungen zu decken und soziale Spannungen zu vermeiden.

„Auf angespannten Wohnungsmärkten sollten Geringverdiener, Alleinerziehende mit Kindern oder sozial schwächer gestellte Familien nicht mit Menschen um Wohnungen konkurrieren müssen, die vor Gewalt und Verfolgung geflohen sind“, sagte Maly bei seiner Städtetagsrede am Mittwoch. Wichtig sei auch die Gesundheitsversorgung, für die der Bund die Kosten für die Dauer der Asylverfahren übernehmen solle. „Menschen, die länger bei uns bleiben, brauchen außerdem Sprach- und Integrationskurse, eine Kita- und Schulversorgung für die Kinder und die Vermittlung in Arbeit. Diese Aufgaben werden uns in den Städten lange beschäftigen. Sie sind nur gemeinsam mit Bund und Ländern zu stemmen.“

An die Länder appelliert der Deutsche Städtetag, den Kommunen vollständig die Kosten zu erstatten, die ihnen für die Aufnahme und Versorgung von Asylbewerbern und Flüchtlingen entstehen. Bislang gebe es nur in wenigen Ländern – etwa in Bayern – eine hinreichende und faire Kostenüber­nahmeregelung für die Aufwendungen der Städte. Zudem müssten die Länder die vom Bund zugesagten Gelder von jeweils 500 Millionen Euro in den Jahren 2015 und 2016 vollständig an die Kommunen weitergeben. Die Länder sollten die Förderung von Flüchtlingskindern und Jugendlichen in der Kinderbetreuung und in Schulen verbessern und ausbauen. Gemeinsam mit dem Bund sollten Möglichkeiten geschaffen werden, dass ausländische Schul- und Ausbildungs­abschlüsse anerkannt oder nachgeholt werden können.

Für gleichwertige Lebensverhältnisse

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Dr. Stephan Articus, forderte in seiner Rede am Mittwoch Bund und Länder auf, gleichwertige Lebens­verhältnisse und Teilhabe-Chancen der Menschen stärker in den Fokus zu stellen. Dazu könnte das Leitbild zur Strukturförderung für benachteiligte Regionen dienen, das schon erfolgreich nach der Deutschen Einheit den Rahmen für praktische Politik absteckte. Voraussetzung für einen Entwick­lungsschub für strukturschwache Städte und Regionen sei die Lösung der Altschuldenproblematik.

Articus ging in seiner Rede auf die wachsenden Unterschiede zwischen finanzschwachen und finanzstarken Städten und die Folgen für die Lebens­wirklichkeit der Menschen ein: „In den meisten ärmeren Städten gibt es eine überdurchschnittlich große Zahl hilfebedürftiger, armer, arbeits­loser, nicht ausreichend integrierter Menschen. Dort ist der größte Teil der knappen Mittel in den Sozialhaushalten der Städte gebunden; andere Aufgaben wie Investitionen müssen oft zurückstehen. Investitionshaus­halte sind zu Sozialhaushalten geworden. Diese Entwicklung ist besorg­niserregend und muss umgekehrt werden. Es kommt drauf an, die Ursachen der Strukturschwäche zu bekämpfen, damit dieser Teufels­kreis zerschlagen wird.“

Als Indikator für Strukturschwäche sei beispielsweise das Investitionsniveau der Kommunen aussagekräftig. 1992 haben die Kommunen etwa 33,5 Milli­arden Euro investiert. Für das Jahr 2014 lag das Investitionsvolumen bei rund 22 Milliarden Euro. Dabei seien die regionalen Unterschiede extrem: So konnten Kommunen in finanzstärkeren Regionen im Jahr 2013 beispielsweise rund 470 Euro je Einwohner investieren. In Bundesländern mit vielen finanz­schwächeren Kommunen betrugen die Investitionen dagegen nur zwei Drittel des Durchschnitts von 300 Euro, also rund 200 Euro je Einwohner.

 Länder helfen Kommunen bei Entschuldung

Die Entschuldungshilfen einiger Länder für ihre Kommunen sowie die Über­nahme der Ausgaben für Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung durch den Bund, das geplante Sondervermögen für kommunale Investitionen und die ab 2018 zugesagte jährliche Entlastung der Kommunen um 5 Milliar­den Euro bei den Sozialausgaben seien wichtige Hilfen, deren Wirkung allerdings vom Anstieg der Sozialausgaben geschwächt, wenn nicht neutralisiert werde, so dass die Finanzprobleme vieler Kommunen so nicht dauerhaft zu lösen seien. Articus bilanzierte: „Der Bund misst seine Hilfen an der Höhe seiner Leistungen, nicht an ihrer Gesamtwirkung für die Kommunen. So erstarren die Hilfebeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen und verfehlen ihr Ziel trotz immer höherer Mittel­transfers.“

Um die Probleme dauerhaft zu lösen, schlug Articus vor, an Erfahrungen nach der Deutschen Einheit anzuknüpfen: „Wir brauchen ein neu praktiziertes Leitbild der Gleich­wertigkeit der Lebensverhältnisse. Das heißt: Unterschiedliche regionale Schwerpunkte bei Ordnungs- und Entwicklungsaufgaben setzen, Fördermittel räumlich und sachlich gezielter einsetzen und regionale Eigenkräfte stärken, um Strukturschwäche zu überwinden. So wachsen auch Chancen für einen stärkeren sozialen Ausgleich.“

Voraussetzung für einen Entwicklungsschub strukturschwacher Städte und Regionen sei allerdings eine Lösung der kommunalen Altschuldenproble­matik. Die kommunalen Altschulden schränken den Handlungsspielraum vieler Städte massiv ein. Allein die Kassenkredite der Kommunen belaufen sich inzwischen bundesweit auf alarmierende 50 Milliarden Euro. Entschul­dungshilfen der Länder trügen dazu bei, die Summe in Schach zuhalten, ohne sie aber abbauen zu können. Das müsse die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen berücksichtigen: „Eine neue Initiative zur umfassen­den, also bei den Kommunen beginnenden Strukturförderung kann in den finanzschwächeren Kommunen nur gelingen, wenn ihre Altschulden – die sie aus eigener Kraft nicht mehr bewältigen können – auch mit Hilfe des Bundes getilgt werden. Nur eine Altschuldentilgung wäre ein Befreiungsschlag“, machte Articus deutlich.

Der Schutz der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sei gerade in den Ländern am dringendsten, in denen die dafür bereitstehenden Mittel am geringsten sind. Mit Blick auf die Beratungen der Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten der Länder in der kommenden Woche forderte Articus: „Infrastruktur und Investitionen zu fördern ist nachhaltiger als immer wieder Löcher bei den Sozialausgaben zu stopfen. Mehr starke und gut ausgebaute Strukturen sind auf Dauer für alle besser als immer mehr Sozialleistungen an Menschen auszahlen zu müssen.“