Um allen in Deutschland neu Ankommenden Wohnraum zur Verfügung zu stellen, müsste erheblich mehr gebaut werden, fordert der Bayerische Städtetag. Foto: Fotolia
Wohnungsbau

Städte brauchen mehr Wohnungen

Der Bayerische Städtetag schlägt Alarm: Durch den ungebremsten Zustrom von Asylbewerbern wird der ohnehin knappe Wohnraum in den Kommunen immer enger. Zu wenige neue Wohnungen werden gebaut. Eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Gemeinden sei nötig. Die Bayerische Staatsregierung kündigt Hilfe an.

Auf Kommunen und kommunalen Wohnungsbauunternehmen lastet ein enormer Druck: Sie sollen ausreichend und für alle sozialen Schichten bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellen. In vielen bayerischen Städten übersteigt die Nachfrage nach preisgünstigem Wohnraum das Angebot um ein Vielfaches. Diese Situation spitzt sich zu, sobald anerkannte Asylbewerber und Flüchtlinge die staatlichen Unterkünfte verlassen müssen und zur eigenständigen Wohnraumsuche berechtigt sind.

Diese Problematik erörterten Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister der 25 kreisfreien Städte und der 29 Großen Kreisstädte bei einer Konferenz des Bayerischen Städtetags mit dem Innenminister Joachim Herrmann.

5.000 Wohnungen pro Jahr für Asylbewerber

Nach den vorliegenden Zahlen wird rund ein Drittel der zu uns kommenden Flüchtlinge und Asylbewerber anerkannt oder erhält ein Bleiberecht. Der Wohnungsbedarf dieser Menschen übersteigt bereits jetzt das Angebot deutlich. Das Bayerische Sozialministerium geht davon aus, dass sich hier ein zusätzlicher Bedarf von 5.000 Wohneinheiten pro Jahr ergibt. Mit dem bisherigen Ziel, im staatlichen Doppelhaushalt 2015/2016 jährlich 4.000 Wohneinheiten im geförderten Wohnungsbau zu errichten, lässt sich die Nachfrage nicht erfüllen.

Die Bayerische Staatsregierung hat das Problem erkannt und will neue Wohnungen für Flüchtlinge schaffen. Das Kabinett hat am 14. April 2015 eine Wohnungsbauinitiative für Flüchtlinge auf den Weg gebracht und am 19.5.2015 beschlossen, 2015 bis 2019 zusätzliche 50 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus sollen Mittel aus dem Bayerischen Modernisierungsprogramm und der Städtebauförderung zur Wohnraumschaffung bemüht werden.

In Gegenden, in denen Leerstand herrscht, kann nach Einschätzung des Bayerischen Ministerrats der Gebäudeerhalt bezuschusst werden. Frei werdende Militärliegenschaften könne der Freistaat vom Bund zur Wohnraumschaffung für anerkannte Flüchtlinge und Asylbewerber erwerben. Wohnungsneubau solle durch Bezuschussung von Investoren angekurbelt werden. Dem Vernehmen nach hat die Staatsregierung einen Instrumentenkasten mit weiteren Maßnahmen entwickelt.

Der Bayerische Städtetag begrüßte daher die Absicht der Bayerischen Staatsregierung, weitere Mittel für die Wohnbauförderung zur Verfügung zu stellen. Städtetagpräsident Ulrich Maly: „Das Maßnahmenbündel des Innenministers zur Verbesserung der Wohnraumversorgung zeigt, dass die Anliegen der Städte und ihrer Bürgerinnen und Bürger ernst genommen werden. Es geht in eine gute Richtung, aber der Freistaat muss weiter nachlegen, um den Wohnungsbau spürbar anzukurbeln.“

 Preiswerter Wohnraum – auch für Deutsche

Der Mangel an preiswertem Wohnraum ist nicht neu. Dieses Problem hat bereits bestanden, als sich die Kommunen noch nicht mit hohen Flüchtlingszahlen konfrontiert sahen. Es geht nicht allein um die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Das Angebot an bezahlbarem Wohnraum ist zu gering. Vor allem Städte brauchen mehr preiswerten Wohnraum. Es darf nicht zur Konkurrenz zwischen sozialbedürftigen Familien, Alleinerziehenden, Rentnerinnen und Rentnern sowie anerkannten Flüchtlingen und Asylbewerbern kommen.

Nach Ansicht des Bayerischen Städtetags lässt sich mehr billiger Wohnraum schaffen, wenn die Kräfte von Bund, Freistaat und Kommunen gebündelt werden und wenn der Wohnungsbestand mit Belegungsrechten mit einbezogen wird. Bund, Freistaat und Kommunen stehen gemeinsam in der Pflicht. Wohnen ist Grundvoraussetzung für die soziale Integration in die Stadtgesellschaft. Maly: „Einen spürbaren Erfolg können wir nur erreichen, wenn wir unsere Kräfte in einem Förderpooling bündeln.“ Der Bund kann mit einer Wiedereinführung der degressiven Abschreibung im Mietwohnungsbau zur Mobilisierung privaten Kapitals beitragen. Zinsvergünstigungen schaffen beim derzeit niedrigen Zinsniveau nicht den notwendigen Anreiz, in den sozialen Wohnungsbau zu investieren.

Der Freistaat muss nach Ansicht des Städtetags mit einer Verknüpfung von Wohnraumförderung und Städtebauförderung zur gezielten Aufwertung der nachverdichteten Gegenden beitragen. Bund und Land stehen wegen der sozialpolitischen Bedeutung der Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum in der Verantwortung. Dies gilt auch nach dem Übergang der Zuständigkeiten auf die Länder im Zuge der Föderalismusreform.

„Fläche, Preis, Finanzierungskosten: Diese Parameter müssen so gesteuert werden, dass am Ende ein Mietpreis steht, den alte Menschen, Alleinerziehende, junge Familien, Geringverdienende und anerkannte Flüchtlinge zahlen können – möglichst ohne soziale Transferleistungen. Dafür stehen Bund, Freistaat und Kommunen gemeinsam in der Pflicht.“ Ulrich Maly, Präsident des Bayerischen Städtetags

Städte und Gemeinden sind bereits aktiv und ergänzen staatliche Förderprogramme mit eigenen Mitteln: etwa das München-Modell für Käufer und Mieter; das Modell der Sozialgerechten Bodennutzung in München, Nürnberg oder Erding; das Förderprogramm „100 Häuser für 100 Familien“ in Nürnberg; vergünstigte Baulandveräußerungen in Familien- und Einheimischenmodellen.

 Noch schlimmer: Die Situation in Gesamtdeutschland

Das Berliner Institut für Städtebau, Wohnungswirtschaft und Bausparwesen (ifs) warnt vor noch alarmierenderen Zahlen: Für 420.000 Menschen würde pro Jahr zusätzlicher Wohnraum in Deutschland benötigt, sollte die in den vergangenen Jahren deutlich gestiegene Zuwanderung und Flüchtlingszahl anhalten,  rechnet das ifs vor.

Blickt man auf die aktuellen Wohnungsbauzahlen, ist Deutschland darauf nicht vorbereitet: Nach Angaben des Instituts wurden 2014 rund 285.000 Wohnungen genehmigt. 34.000 davon werden in bestehenden Gebäuden geschaffen, zum Beispiel durch Dachausbauten. Von den übrigen 251.000 genehmigten Wohnungen in Neubauten wiederum entfallen 107.000 auf Ein- und Zweifamilienhäuser, 72.000 werden Eigentumswohnungen. Es verbleiben also gerade einmal 56.000 neu genehmigte Wohnungen in Mehrfamilienhäusern,die von Unternehmern und anderen Investorengruppen gebaut werden. Wenn überhaupt, dürften nur sie für Zuwanderer bezahlbar sein.

Auf den nur langsam wachsenden Wohnraum treffen derweil immer mehr Menschen. Laut ifs wächst die Bevölkerung in Deutschland bereits im fünften Jahr. Einem negativen Saldo aus Geburten und Sterbefällen von etwa 210.000 steht demnach ein Saldo aus Zuzug und Wegzug aus dem Ausland von 470.000 Menschen gegenüber. Insgesamt mache dies für das Jahr 2014 einen Zuwachs von 260.000 Menschen aus, „die zumeist aus EU-Ländern stammen“, heißt es.

Der aktuelle Flüchtlingsstrom verschärft das Problem: Das ifs rechnet in diesem Jahr mit zusätzlichen 160.000 Menschen, die eine Wohnung benötigen. Halte diese Entwicklung an, würden es künftig 420.000 werden. Immerhin hat Deutschland eine sogenannte Leerstandreserve von bundesweit rund 1,8 Millionen Wohnungen (Zensus 2011). Mit ihr könnte der starke Zuzug aber nur über einen kurzen Zeitraum gedeckt werden.

Neu errichtete Wohnungen kämen derweil „für diese Personengruppen in aller Regel“ nicht in Betracht. Das Institut fordert daher, „Umzugsketten in Gang zu setzen“: Gut verdienende Haushalte müssten sich dabei durch den Bezug eines eigenen Hauses oder einer Neubau(eigentums-) -Wohnung verbessern und zugleich eine preiswertere Bestandswohnung freimachen. Für diese „Sickereffekte“ sei Wohnungsneubau vor allem in Wachstumsregionen mit einem breiten Arbeitsmarktangebot erforderlich.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sieht bei der Lösung des Problems auch den Bund, Gemeinden und Kirchen in der Pflicht. Der Bund müsse mit den Ländern unverzüglich Verhandlungen über die finanzielle Unterstützung für dauerhafte Wohnraumversorgung anerkannter Flüchtlinge aufnehmen. An Gemeinden und Kirchen appellierte Herrmann, geeignete Flächen für den Wohnungsbau bereit zu stellen.