Wieviel Migration verträgt der Rechtsstaat?
Der Rechtsstaat hängt davon ab, dass die Gesellschaft seine rechtsstaatlichen Normen akzeptiert. Für Zuwanderer aus kulturfremden Regionen ist genau das nicht immer selbstverständlich. Wächst in Zeiten millionenfacher Zuwanderung die Distanz zum Rechtsstaat? Wie soll der Rechtsstaat darauf reagieren? Fragen für ein Strafrechtssymposium mit Justizminister Bausback und Verfassungsrichter Papier.
Hanns-Seidel-Stiftung

Wieviel Migration verträgt der Rechtsstaat?

Der Rechtsstaat hängt davon ab, dass die Gesellschaft seine rechtsstaatlichen Normen akzeptiert. Für Zuwanderer aus kulturfremden Regionen ist genau das nicht immer selbstverständlich. Wächst in Zeiten millionenfacher Zuwanderung die Distanz zum Rechtsstaat? Wie soll der Rechtsstaat darauf reagieren? Fragen für ein Strafrechtssymposium mit Justizminister Bausback und Verfassungsrichter Papier.

„Dass wir darüber überhaupt diskutieren!“ Das war die bittere Reaktion eines Gasts nach zwei Stunden Diskussion über den Umgang des Rechtsstaats mit Phänomenen wie Vollverschleierung, Ehrenmord oder Kinderehen. „Wirkt sich die Zuwanderung auf unseren Rechtsstaat aus?“ Die Frage hatte die Hanns-Seidel-Stiftung einem juristisch hochprominent besetzten Podium gestellt. Über die Antwort hatte von vornherein niemand Zweifel: Ja, sie tut es. Jedenfalls dann, wenn der Rechtsstaat nicht sehr bald sehr klare Linien zieht.

Akzeptanz von Normen nicht mehr selbstverständlich

Im Herbst 2015, während des „massenhaften und unkontrollierten Zustroms von Flüchtlingen nach Deutschland“ habe der „Rechtsstaat einen schwachen Moment“ gehabt, erinnerte Bayerns Justizminister Winfried Bausback: Für eine gewisse Zeit war der Eindruck entstanden, „der Rechtsstaat habe die Kontrolle über die Situation verloren“. Dass dies auch der erste Eindruck war, den Millionen kulturfremde Migranten vom deutschen Rechtssaat erhielten, macht die Sache noch fataler. „Das Recht muss gerade in schwierigen Zeiten Leuchtturm und Richtschnur allen Handels sein – und klare Grenzen ziehen“, betonte Justizminister Bausback.

Eine Gesellschaft funktioniert besser, wenn sie sich über die Anerkennung ihrer Normen einig ist.

Soziologe Friedrich Heckmann

Auf dem Rechtsstaat und der Rechtstaatlichkeit baut alles auf, erläuterte der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier: Demokratie, Grund- und Menschenrechte, Schutz der Menschenwürde, Gewaltenteilung, Herrschaft des Rechts – die gesamte freiheitlich-demokratische Grundordnung. Und eine Gesellschaft kann nur funktionieren, „wenn sie sich über die Anerkennung ihrer eigenen Normen einig ist“, ergänzte der Bamberger Soziologe und Migrationsexperte Friedrich Heckmann. Aber genau das ist in der „durch die Zuwanderung pluralistischer gewordenen Gesellschaft“ – so die bemerkenswerte Formulierung von Moderatorin Helene Bubrowski (Frankfurter Allgemeine Zeitung) – in Frage gestellt. Es häuften sich Hinweise, dass die Selbstverständlichkeit der Akzeptanz dieser Werte „abhanden kommen kann“, so Bausback.

Burka im Gerichtssaal

Deutsche Normen und Werte nicht akzeptiert hatte etwa jene Mohammedanerin, die im vergangenen März als Zeugin vor Gericht geladen war – und in Vollverschleierung erschien. Erst als die Richterin die Fatwa eines saudischen Islam-Rechtsgelehrten präsentierte, der die Abnahme des Schleiers vor Gericht erlaubt, zeigte sich die muslimische Zeugin unverschleiert. Selbstverständlich könne der Richter fordern, dass der Schleier abgelegt wird, erklärte Justizminister Bausback. Interessant: „Das ist eine Fragestellung, die in Bayern schon häufiger aufgetreten ist.“

Problem: Auch ein Richter muss natürlich die Grundrechte beachten. Und hier eben das der Religionsfreiheit. „Eine schwierige Abwägung“, gab Verfassungsrichter Papier zu. Es gehe um den Schutz gleichrangiger Rechtsgüter: Funktionsfähigkeit der Rechtspflege gegen Religionsfreiheit, deren Schutzbereich vom Grundgesetz „sehr weit gezogen wird“.  Das Tragen religiös motivierter Kleidung gehöre eindeutig dazu und könne nur „auf gesetzlicher Basis beschränkt werden“.

Es geht um eine Entscheidung, welche Grundwerte wir in unserem Land nach außen tragen wollen: Die der Freiheit und Gleichberechtigung oder die der Unterdrückung und Bevormundung.

Justizminister Winfried Bausback

Aus genau dem Grund forderte denn auch Bausback eine entsprechende gesetzliche Reglung – Burka-Verbot – nachdrücklich ein. Es gehe dabei nicht um die Zahl der Burka-Trägerinnen und das Wann und Wo der Gesichtsverschleierung im öffentlichen Leben. Bausback: „Es geht um eine Entscheidung, welche Grundwerte wir in unserem Land nach außen tragen wollen: Die der Freiheit und Gleichberechtigung oder die der Unterdrückung und Bevormundung.“ Völlig klar sei: „Vor Gericht kann und darf es keine Verschleierung der Verfahrensbeteiligten geben.“

Ehrenmord ist Mord – sonst nichts

Sehr viel einfacher liegen die Dinge, wenn es um die Frage geht, ob Täter für schwere Straftaten wie Mord mildernde Umstände zuerkannt bekommen können, weil sie aus einem anderen Kulturraum stammen, wo eben andere oder gar keine Normen gelten – gerne als „kultureller Rabatt“ verspottet. Da helfe der schlichte Blick ins Gesetzbuch weiter, so Papier und verwies auf das „absolute Differenzierungsverbot“ im Grundgesetz-Artikel 3 über die Gleichheit vor dem Gesetz. Im dritten Absatz heißt es dort kurz und bündig: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Am allerwenigsten vor Gericht.

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden.

Grundgesetz Artikel 3, Absatz 3

Trotzdem haben in Strafverfahren mit kulturfremden Tätern manche Richter bei der Strafzumessung solchen kulturellen Rabatt gegeben. Ein unhaltbarer Zustand, der nach „einer klaren und eindeutigen Wertentscheidung des Gesetzgebers“ verlange, so Bausback: „Hier müssen wir mit klaren gesetzlichen Vorgaben sicherstellen, dass kulturelle oder religiöse Beweggründe des Täters keine Strafmilderung rechtfertigen.“

Vorstellungen, die einen Mord als Wiederherstellung der Ehre deuten, dürfen bei uns keinen Wert haben.

Winfried Bausback

Sogenannte Ehrenmorde, Zwangsheirat, Genitalverstümmelung oder andere Übergriffe blieben schwere Straftaten, auch wenn sie von Tätern mit anderen Rechts- und Wertevorstellungen begangen werden. Maßgeblich sei hier nur unser Rechtverständnis und sonst keines, stellte Bayerns Justizminister klar: „Wer zu uns kommt, der hat das verdammt noch mal zu akzeptieren.“ Bausback weiter: „Vorstellungen, die einen Mord als Wiederherstellung der Ehre deuten, dürfen bei uns keinen Wert haben.“ Soziologe Heckmann gab Bausback sofort recht und ergänzte, dass die Forderung nach kulturellem Rabatt nur eine übliche Strategie der Verteidiger sei – auch dann wenn es um Täter gehe, die schon seit 25 Jahren in Deutschland lebten. Für Richter sollte das ein Grund mehr sein, gar nicht darauf einzugehen.

1500 Kinderehen

Die seit 2015 anhaltende Migrationswelle hat ein weiteres übles Phänomen nach Deutschland getragen: Kinderehen – Ehen von teil sehr viel älteren Männern mit minderjährigen Mädchen, teilweise sogar Kindern. Derzeit gebe es in Deutschland etwa 1500 minderjährige, verheiratete Migranten-Mädchen, so Moderatorin Bubrowski. Mit hoher Dunkelziffer, da Ehen nach islamischem Recht nicht registriert werden. 500 von ihnen seien jünger als 16 Jahre – 1000, korrigierte Bausback – und 380 sogar jünger als 14 Jahre. Bubrowski: „Wie gehen wir damit um? Verbieten, annullieren?“

Wir brauchen eine klare Linie: Im Ausland geschlossene Ehen mit Mädchen unter 16 Jahren dürften nicht anerkannt werden.

Winfried Bausback

Justizminister Bausback war beim Besuch einer Flüchtlingseinrichtung so ein Fall begegnet. Die Betreiber dort hatten „Schwierigkeiten“ mit einem syrischen Flüchtling, der äußerlich zwar unproblematisch wirkte, aber eben ein Mädchen als „meine Ehefrau“ bezeichnete, das nicht älter als 12,13 oder 14 Jahre war. „Das können wir nicht so laufen lassen“, so Bausback und forderte auch hier eine klare Linie und ein klares Signal des Gesetzgebers: Im Ausland geschlossene Ehen mit Mädchen unter 16 Jahren dürften nicht anerkannt werden. Die von den Familien vorgebrachten Argumente – Schutz, Versorgung – seien in aller Regel Scheinargumente. Auch eine auf der Flucht mit einem Kind geschlossene Ehe sei eine Zwangsehe. Bausback: „Akzeptieren wir, dass ein junger Mensch in einer Rechtsbeziehung festgehalten wird, die folgenreicher nicht sein kann?“

Andere verfolgen wir wegen Pädophilie.

Robert Heimberger, Präsident des Bayerischen Landeskriminalamtes

Viele der aktuellen Migranten kommen aus Regionen, in denen Mädchen mit 12 Jahren als ehefähig gelten. Das kann für den modernen Rechtsstaat nicht akzeptabel sein, warnte der Justizminister. Da brauche es eine klare gesetzgeberische Antwort, „sonst veränderten wir unsere Gesellschaft und die Wertmaßstäbe unserer Gesellschaft“. „Es ist eine große Errungenschaft, dass wir unsere Töchter und jungen Mädchen schützen“, erinnerte der Präsident des Bayerischen Landeskriminalamtes, Robert Heimberger, und wies auf einen schlichten Sachverhalt und den Grundsatz der Gleichbehandlung hin: „Andere verfolgen wir wegen Pädophilie.“ Was soviel hieß wie: Der Staat muss hier handeln.

Es gibt Grenzen der Anerkennung im Ausland geschlossener Ehen.

Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgericht

Das kann er auch, bestätigte Verfassungsrichter Papier. Wenn es um das „ordre public“ gehe, also um die Aufrechterhaltung der Öffentliche Ordnung, dann habe der Gesetzgeber großen Spielraum: „Es gibt Grenzen der Anerkennung im Ausland geschlossener Ehen.“ 16 Jahre, so Papier, sei das Mindestalter für eine frei und selbstbestimmt geschlossene Ehe. Was ebenfalls hieß: Der Staat muss handeln. Dringend. Die Migrantenwelle zwingt ihn dazu.

Werteordnung in Gefahr

Wieviel Zustimmung braucht eine Rechtsordnung? Kann Zuwanderung gefährlich werden für das Staatsgebilde, wenn immer mehr Menschen aus kulturfremden Regionen hiesige Normen und hiesiges Rechtsverständnis nicht mehr teilen? Wo liegt die zahlenmäßige Grenze? Das war eine kluge Frage aus dem Publikum. „Eine Kernfrage für unseren Rechtsstaat“, bestätigte Bausback. Im Grunde beruhe jeder Staat auf einem „plébiscite tous les jours“ – einer täglichen Volksabstimmung. „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“, so hat es der ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde einmal formuliert. Familien, Religionsgemeinschaften, die „moralische Substanz des Einzelnen“ und die „Homogenität der Gesellschaft“ müssen diese Voraussetzungen schaffen. Aber genau hier ist eben die Wirkung kulturfremder Zuwanderung am größten. Manche Zuwanderung verändert den Rechtsstaat – und mit ihm den ganzen Staat, die Gesellschaft und ihre Werteordnung – wenn er es zulässt.